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Jugend

Der Volksbund hat meine Einstellung verändert

Michael Kupiec ist in zwei Ländern zuhause
Ein Artikel von Diane Tempel

Im Mai erhielt er für seinen jahrelangen Einsatz in der Jugendarbeit einen Bundesverdienstorden: Michael Kupiec engagiert sich seit 2014 beim Volksbund. Von 2017 bis 2019 hat er an der Spitze der Nachwuchsorganisation, des Bundesjugendarbeitskreises (BJAK), gestanden und hat die jungen Ehrenamtler im Bundespräsidium vertreten. Vor allem aber war und ist er als Teamer und Leiter von Workcamps unterwegs. „Zuhause“ ist der 27-Jährige im Volksbund-Landesverband Thüringen. Im Interview mit Diane Tempel-Bornett erzählt „Michi“ Kupiec  von Erlebnissen seiner Kindheit und davon, was er im Volksbund gelernt hat.

Interview

Michi, du hast einen Bundesverdienstorden für dein Engagement zur Versöhnung und Erinnerungsarbeit erhalten. Im Volksbund hast du dich stark in der Jugendarbeit eingebracht – bei Workcamps, aber auch in der Gremienarbeit. Deine Volksbundkarriere hat auf dem Golm angefangen, dort hast du dein Freiwilliges Soziales Jahr in der Jugendbegegnungsstätte absolvierst. Wie bist du dort “gelandet“?

Auf den Golm bin ich gekommen, weil ich gerne Swinemünde wiedersehen wollte. Dort war ich als Kind oft mit meinen Eltern in Urlaub.
 

Du hast polnische Wurzeln. Inwiefern haben sie deine Volksbundarbeit geprägt oder zumindest beeinflusst?

Meine Eltern kommen beide aus Polen und wir haben zuhause nur polnisch gesprochen. Auch unser Katholizismus war in dem niedersächsischen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, eher ungewöhnlich. Insofern musste ich mir schon viele Sprüche anhören.
 

Die üblichen Polenwitze?

Ja, die natürlich auch. Manches war witzig, aber vieles auch ziemlich rassistisch. Meinen Brüdern hat das weniger ausgemacht, aber mich hat das belastet. Wenn wir ein neues Auto hatten, wurden wir schon gefragt, wo das her ist. Oder ich musste mich rechtfertigen, wenn ich polnisch gesprochen habe oder warum wir dorthin in Urlaub fahren. Warum denn nicht nach Mallorca oder nach Frankreich? Da hatten viele Leute ganz komische Vorstellungen von Polen.

Ich merkte das auch bei Jugendbegegnungen oder Workcamps in Polen. Wenn die Leute das erste Mal Warschau, Krakau oder Danzig gesehen haben, waren sie völlig beeindruckt, wie schön und modern die Städte waren. Mir war es schon wichtig, dass ich ein gutes Bild von Polen vermittele.

Wenn wir mal zurück in deine Kindheit schauen – war das ein Gefühl des Andersseins im Vergleich zu den anderen Jugendlichen?

Ein bisschen schon. Nicht dauerhaft, aber immer mal wieder. So richtig ist es mir erst in der Pubertät aufgefallen und da hat es mich schon genervt. Natürlich hatte ich auch die deutsche Geschichte im Hinterkopf. Manchmal hatte ich richtig Hass auf Deutsche.

Das ist eine erstaunliche Basis für ehrenamtliches Engagement in einem deutschen Verein. Wie haben sich deine Gefühle und deine Wahrnehmung dann weiterentwickelt?

Die Arbeit im Volksbund hat das aufgebrochen. So als richtig polnischer Patriot könnte ich ja keine deutschen Kriegsgräber pflegen. Aber ich finde, das ist eine gute Idee, Leute an Kriegsgräberstätten zusammenzubringen. Ich bin über den deutsch-polnischen Gedanken zur Volksbundarbeit gekommen. Und ich finde das Konzept wirklich überzeugend.

 

Wenn ich Workcampteilnehmerinnen und -teilnehmer nach ihren Erfahrungen frage, höre ich häufig beeindruckende Erklärungen. Eine Frau, deren Erfahrungen 30 Jahre zurücklagen, sagte dazu ganz schlicht: „Es hat mein ganzes Leben verändert“. Dass es Workcamps nun schon fast 70 Jahre gibt, spricht ebenfalls für sie. Aber der Volksbund hat wie viele Freiwilligenorganisationen auch Nachwuchssorgen. Viele Workcampteilnehmende kommen häufiger und werden auch Teamer, aber dann gibt es eine Lücke. Hast du eine Idee, was man verbessern könnte?

Die Workcamps sind schon gut. Aber man sollte noch offener für neue Projekte sein. Wir haben beispielsweise ein Projekt mit Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern gemacht, mit denen wir zu Themen wie Euthanasie gearbeitet und auch die Gedenkstätte von Topf und Söhne besucht haben. Dieses Unternehmen hat die Krematorien der Konzentrationslager gebaut. Später haben dann alle zusammen Rollstuhlbasketball gespielt und viel Spaß gehabt. Dieses Projekt hat uns durch eine starke Förderung der Aktion Mensch kaum Kosten verursacht. Trotzdem gab es vorher heftigen Gegenwind, so in die Richtung: Was hat das denn mit Kriegsgräberfürsorge zu tun?


Was planst du für die nächste Zeit?

Da  will ich weiter mein Workcamp in Masuren verfolgen und die Jugendarbeit in Thüringen als neuer Vorsitzender des Jugendarbeitskreises Thüringen mit einem neuen jungen Vorstand voranbringen. Privat bin ich als Lehramtsanwärter sehr eingespannt. Meine Tätigkeit in der Jugendarbeit des Volksbundes verschafft mir dabei viele Vorteile. Hier habe ich den Anspruch, das Beste aus mir rauszuholen und das Referendariat bestmöglich abzuschließen. Auch möchte ich natürlich meine Volksbundarbeit beruflich einbinden. Gerade Berufsschulen sind ja noch nicht so im Fokus unserer Schularbeit.

 

Als Mensch, der in beiden Ländern zuhause ist: Was verbindest du mit Deutschland, was mit Polen?

Mit Deutschland verbinde ich Vielfalt, Organisation, Bildung, Arbeit und Kindheit. Mit Polen verbinde ich Urlaub, Gastfreundschaft, Humor und Entspannung. Wobei die Grenzen mittlerweile sehr verschwimmen, durch den Volksbund habe ich auch Deutschland als Urlaubsziel kennen und lieben gelernt.

 

Was würdest du deinen Schülerinnen und Schülern zur Jugendarbeit des Volksbundes sagen?

Der Volksbund ist ideal, um neue Freunde zu finden, neue Orte in Europa kennenzulernen, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und gleichzeitig auch effektive Arbeit gegen Vorurteile und  Rechtspopulismus  zu leisten. Man arbeitet mit Kriegsgräbern, physisch und vor allem auch geistig, und verinnerlicht, wie wertvoll der Frieden ist. Die ganzen Bildungsangebote sorgen auch dafür, dass man ein gutes Allgemeinwissen aufbaut.

 

Verrätst du uns deine Lieblingsorte in Polen – und in Deutschland?

Mein Lieblingsort in Polen ist – obwohl ich Masuren liebe – das kleine Dorf Zabierzewo zwischen Stettin und Swinemünde, wo wir jedes Jahr im Urlaub waren und auch unser eigenes Ferienhäuschen gebaut haben.

Mein Lieblingsort in Deutschland ist schwieriger festzulegen. Aber ich merke immer wieder aufs Neue, wie viel Freude ich in Erfurt empfinde. Aber mir gefällt mittlerweile auch Rottweil sehr gut – und der Bodensee!

 

Kriegsgräbervorsorge hat ein Journalist mal in einem Zeitungsartikel geschrieben – statt Kriegsgräberfürsorge. Viele Volksbundmitglieder haben sich darüber geärgert, aber ich empfand den Fehler fast charmant und tauglich als Motto für die Zukunft. Was rätst du dem Volksbund für die Zukunft?

Das Tolle am Volksbund ist, dass wir auf so vielen unterschiedlichen Ebenen unterwegs sind. Das dürfen noch mehr werden. Ich denke, dass der Volksbund schon sehr viel erreicht hat und insgesamt – gerade in Bezug zu unserer Jugendarbeit – auf einem sehr guten Weg ist. Deshalb ist mein Rat für die Zukunft: weiter so und immer schön daran denken, Anreize für junge Menschen zu schaffen, damit sie auch tatsächlich Mitglieder werden.

Michi, wir danken für das Gespräch.
 

Einen Bericht zur Verleihung des Verdienstordens am 7. Mai 2021 im Schloss Bellevue in Berlin finden Sie hier