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Der 8. Mai 1945 - Ein Tag der Befreiung?

Gedanken zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren

 

Am 8. Mai 2020 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zum 75. Mal. Ein Thema, zu dem  – scheinbar – alles gesagt und alles erforscht worden ist. Und doch entdecken Historikerinnen und Historiker immer wieder neue Quellen, setzen sich mit neuen Facetten dieses Kapitels der Geschichte auseinander oder beleuchten alte aus einem anderen Blickwinkel. Doch nicht nur in der Wissenschaft, auch in der Öffentlichkeit ist das Interesse am Zweiten Weltkrieg ungebrochen.

Dies mag zum einen mit den ungeheuerlichen Ausmaßen und Folgen dieses von Deutschland ausgegangenen Angriffskrieges zusammenhängen, die einzigartig in der Geschichte sind: Über 60 Millionen Menschen weltweit verloren ihr Leben durch Krieg, Völkermord, Flucht und Vertreibung, unter ihnen auch etwa 6,3 Millionen Deutsche. Zum anderen interessieren sich immer mehr Menschen für die Geschichte ihrer eigenen Familien, von denen kaum eine von den Auswirkungen des Krieges ver­schont blieb.

Das große öffentliche Interesse lässt sich auch dadurch erklären, dass der nun 75 Jahre andauernde Friede in Mitteleuropa und dessen stärkster Garant, die europäische Einheit, selten so fragil wirkten wie heute. Im Osten der Ukraine tobt seit Jahren ein verlustreicher Krieg, Staatenlenker agieren despotisch oder spielen auf be­sorgniserregende Weise auf der politischen Weltbühne mit dem Feuer. Nationalisti­sche Egoismen machen sich in der Gesellschaft und in den Parlamenten breit. Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Worten und Taten sind in einer Quantität und Qualität zu beobachten, wie wir sie für längst überwunden gehalten hatten.

Das Gedenkjahr 2020 erinnert uns an die schrecklichen Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft, aber auch an die großen Leistungen der Versöhnung und Zusammenarbeit, die in den letzten 75 Jahren zwischen den ehemals verfeindeten Nationen erbracht wurden. 2,8 Millionen Kriegstote auf 832 Kriegsgräberstätten des Volksbundes weltweit erinnern uns an den hohen Preis, den die Menschen in Europa und der Welt zahlen mussten, bevor sich die Einsicht in die Notwendigkeit von Versöhnung, Frieden und Demokratie durchsetzen konnte. Diese Errungenschaften dürfen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden, es gilt, sich ihres Wertes und ihrer Entstehungsgeschichte bewusst zu sein und täglich für sie einzutreten.

Die Botschaft, die uns der Gedenktag des 8. Mai mit auf den Weg gibt, ist damit klar definiert und aktueller denn je. Doch seine Deutung und Wahrnehmung, seine nominelle Bezeichnung und sogar das Datum selbst sind durchaus kontrovers.

Hinsichtlich des Datums hilft ein Rückblick auf die Ereignisse im Mai 1945. Bereits einige Tage vor der Gesamtkapitulation der Wehrmacht hatten Teilkapitulationen gegenüber den westalliierten Streitkräften stattgefunden. So unterzeichnete am 29. April eine deutsche Delegation die Kapitulation der Wehrmacht in Italien, die mit dem 2. Mai ihre Gültigkeit erlangte. Auch der in Flensburg residierende Großadmiral Dönitz, den Hitler kurz vor seinem Suizid am 30. April zu seinem Nachfolger als Reichspräsident ernannt hatte, erkannte die Notwendigkeit von Kapitulationsverhandlungen im Westen. Hierbei spielte jedoch nicht nur die Einsicht in die militärische Sinnlosigkeit weiteren Widerstandes gegen die alliierten Truppen eine Rolle. Es war vor allem auch die Hoffnung, dass nach dem Tod des US-Präsidenten Roosevelt das Bündnis zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten zerbrechen und durch einen Separatfrieden im Westen die Front im Osten aufrechterhalten werden könnte.

Die Verhandlungen von Generaladmiral von Friedeburg, den Dönitz gesandt hatte, mit dem britischen Feldmarschall Montgomery führten am 4. Mai zu einer Kapitulation aller deutschen Truppen in Nordwest-Deutschland, Schleswig-Holstein, Holland und Dänemark mit Wirkung vom 5. Mai. Aus diesem Grund wird bis heute in den Niederlanden am 5. Mai der „Befreiungstag“ begangen.

Im süddeutsch-westösterreichischen Raum endete der Krieg mit der separaten Kapitulation der Heeresgruppe G, die am 5. Mai in Haar bei München unterzeichnet wurde und am 6. Mai in Kraft trat.

Die Abweichungen zwischen den Tagen der Unterzeichnungen der Kapitulationen und deren eigentlichem in Kraft treten, lagen darin begründet, dass nach erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen zunächst die einzelnen Truppenteile die nötigen Befehle zur Einstellung der Kampfhandlungen erhalten und deren Umsetzung vorbereiten mussten. Ebenso verhielt es sich auch mit der Gesamtkapitulation der deutschen Streitkräfte, die am 7. Mai 1945 durch Generaloberst Jodl als Chef des Wehrmachtsführungsstabes im alliierten Hauptquartier in Reims unterzeichnet wurde und am 8. Mai um 23:01 Uhr in Kraft trat. Zuvor hatte Generaladmiral von Friedeburg am 5. Mai den Versuch gestartet - wie zuvor mit den Briten - auch mit den US-Truppen einen Separatfrieden auszuhandeln. Doch US-General Eisenhower machte deutlich, dass die einzige Alternative zur Fortsetzung der Kampfhandlungen eine vollständige und bedingungslose Kapitulation der deutschen Streitkräfte sei. Damit folgte Eisenhower strikt den Vereinbarungen, die die Alliierten bereits im Januar 1943 bei der Konferenz von Casablanca getroffen hatten und die die bedingungslose Kapitulation Deutschlands als oberstes Kriegsziel festlegten.

In einem Zusatzprotokoll wurde am 7. Mai zusammen mit der Unterzeichnung der Kapitulation vereinbart, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt durch den Oberkommandierenden der Wehrmacht und die verantwortlichen Führer der deutschen Teilstreitkräfte verifiziert werden sollte, da Jodl nicht die entsprechende Kommandogewalt innehatte.

So wurden am 8. Mai Generalfeldmarschall Keitel, Generaloberst Stumpff und Generaladmiral von Friedeburg in das sowjetische Hauptquartier nach Berlin-Karlshorst gebracht, wo sie von den Vertretern der alliierten Siegermächte und einem Großaufgebot an Presse und Militär erwartet wurden. Zwar war die Kapitulation für den 8. Mai vorgesehen, die eigentliche Unterzeichnung konnte jedoch wegen der bis dahin fehlenden Übersetzung ins Russische erst um 0:15 Uhr am 9. Mai erfolgen.

Die Kapitulationsurkunde wurde dennoch auf den 8. Mai rückdatiert. Da es in Moskau durch die verschiedenen Zeitzonen jedoch bereits zwei Stunden später war, wird bis heute in Russland der 9. Mai als Tag des Sieges (Pobeda) über das nationalsozialistische Deutschland gefeiert.

Die Kämpfe im Pazifikraum dauerten noch vier Monate an. Erst nach dem Abwurf der amerikanischen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki schwiegen auch hier am 2. September 1945 die Waffen.

Auch wenn die Unterzeichnung der Kapitulation also einmal am 7. und einmal am 9. Mai erfolgte, war ihr Inkrafttreten beide Male für den 8. Mai vorgesehen, weshalb der 8. Mai 1945 in Deutschland  für das Ende des Zweiten Weltkriegessteht. Schwieriger als das Datum ist die begriffliche Umschreibung des 8. Mai 1945.

Aus heutiger Perspektive und mit dem rückblickenden Wissen, dass die militärische Niederlage und Besetzung Deutschlands durch die Alliierten 1945 die Voraussetzung für das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft war und letztlich in die Gründung unserer freiheitlich-demokratisch verfassten Bundesrepublik mündete, ist der 8. Mai eindeutig als „Tag der Befreiung“ zu werten.

Aus der historischen Sicht der damaligen Zeitzeugen (der Historiker spricht hier von „Geschichtsbewusstsein“) ist die Titulierung „Tag der Befreiung“ wesentlich kontroverser zu beurteilen. Ein Tag der Befreiung war es für all jene, die vom NS-Regime verfolgt worden waren, für die Insassen der Konzentrationslager, der Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlager und der Gefängnisse. Ein Tag der Befreiung war es für all jene, deren Länder durch deutsche Truppen besetzt und unterdrückt worden waren und natürlich für jene, die Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten. Zudem waren viele Menschen, unabhängig davon welche Haltung sie bisher gegenüber dem Nationalsozialismus eingenommen hatten, erleichtert, dass der Krieg und das damit verbundene Leid endlich ein Ende gefunden hatten.

Doch gleichzeitig bedeutete der 8. Mai für viele Deutsche auch den Beginn einer ungewissen und leidvollen Zukunft. Dies galt nicht nur für schuldhaft verstrickte Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher, die zu Recht befürchten mussten, von den Alliierten zur Verantwortung gezogen zu werden. Das Kriegsende bedeutete für Millionen von Deutsche Flucht und Vertreibung aus der Heimat oder den ungewissen Weg in die Kriegsgefangenschaft, die je nach Gewahrsamsmacht viele Jahre unter menschenverachtenden Bedingungen andauern konnte und für Hunderttausende den Tod bedeutete. Für viele Deutsche, nicht nur, aber insbesondere in den von sowjetischen Truppen besetzten Landesteilen, bedeutete das Kriegsende eine Zeit voller Hunger und Entbehrungen, willkürlicher Gewaltakte und Vergewaltigungen, voller Recht- und Schutzlosigkeit.

Aus der Perspektive dieser Menschen muss die positiv konnotierte Formulierung „Tag der Befreiung“ zynisch und bar jeden Geschichtsbewusstseins erscheinen, dies insbesondere, da die Alliierten sich selbst als Sieger und Besatzer, nicht aber als Befreier Deutschlands sahen.

Wenn man sich nun fragt, welche der kursierenden Benennungen für den 8. Mai („Tag der Befreiung“, „Tag der Katastrophe“, „Tag der Niederlage“, „Tag des Kriegsendes“, „Stunde Null“) die richtige ist, so gibt es keine eindeutige Antwort. Die neutralste, unverfänglichste und historisch korrekteste Variante ist sicherlich der „Tag des Kriegsendes“ (zumindest für Europa). Doch geht es bei der Wahl des richtigen Terminus technicus vor allem darum, ob man der Darstellung der historischen Ereignisse oder der gedenkpolitischen Deutung den Vorzug geben will.

Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christian Hillgruber urteilte hierzu 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wie folgt:

„Man kann nach wie vor mit Fug und Recht bezweifeln, dass diese schlagwortartige Bezeichnung des 8. Mai 1945 als ‚Tag der Befreiung‘ der wesentlich komplexeren und ambivalenten Bedeutung dieses Tages für die Deutschen gerecht wird.“

Hillgruber hat damit insofern Recht, als dass man die oben bereits genannte historische Divergenz nicht außer Acht lassen darf und die abweichende Wahrnehmung vieler Zeitzeugen berücksichtigen und akzeptieren muss.

Dennoch erscheint die Bezeichnung des 8. Mai als „Tag der Befreiung“ aus gedenkpolitischer Sicht heute legitim, denn wie vieles andere, so hat sich auch die Wahrnehmung des 8. Mai in der deutschen Geschichte gewandelt.

Während in der DDR der 8. Mai von 1955 bis 1966 als „Tag der Befreiung“ ein gesetzlicher Feiertag war, wurde er in der Bundesrepublik bis 1985 eher wenig wahrgenommen und wenn, dann eher als Tag der Niederlage gewertet. Die kontroverse Auseinandersetzung begann hier 1985, als Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede zum 8. Mai den Begriff „Tag der Befreiung“ prägte. Gleichzeitig schränkte er ein, dass der 8. Mai für die Deutschen kein Tag zum Feiern sei. Diese Rede stieß in der deutschen Gesellschaft ebenso auf Zustimmung wie auch auf heftige Kritik (so zum Beispiel seitens des konservativen Flügels der CDU/CSU). Die Bezeichnung „Tag der Befreiung“ ist zwar bis heute nicht unumstritten, sie hat sich jedoch immer mehr etabliert. Dies liegt vor allem daran, dass es der Kriegskindergeneration, vor allem aber der Enkel- und Urenkelgeneration nach 1985 und bis heute wesentlich leichter fällt, als der inzwischen rapide schwindenden Kriegsgeneration, einer gedenkpolitischen Deutung des 8. Mai den Vorrang zu geben. In den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern (2002) und Brandenburg (2015) ist der 8. Mai als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des 2. Weltkrieges“ ein offizieller Gedenktag. In Berlin wird er im Gedenkjahr 2020 sogar einmalig ein gesetzlicher Feiertag sein.

Durch die positiv konnotierte Titulierung „Tag der Befreiung“ soll heute vor allem zum Ausdruck gebracht werden, dass wir dankbar dafür sind, dass die nationalsozialistische Gewaltherrschaft am 8. Mai 1945 ein Ende gefunden hat. Denn dieses, wenngleich unzweifelhaft leidvolle, Ende war die Voraussetzung für den Neuanfang, aus dem letztlich unsere freiheitlich-demokratische Bundesrepublik als fester Bestandteil eines friedlichen und geeinten Europas hervorgegangen ist.

Dieses hohe Gut gilt es zu bewahren und dafür einzustehen. Getreu dem Motto des Volksbundes „Gemeinsam für den Frieden“.

Verwendete Literatur in Auszügen: Hurrelbrink, Peter: Befreiung als Prozess – Die kollektiv-offizielle Erin­nerung an den 8. Mai 1945 in der Bundesrepublik, der DDR und im vereinten Deutschland, in: Schwan, Gesine / u.a. (Hrsg.): Demokratische politische Iden­tität – Deutschland, Polen und Frankreich im Vergleich, Wiesbaden 2006. S. 71-119. Jahn, Egbert: Nochmals: Niederlage oder Befreiung am 8. Mai 1945, in: Frank­furter Montags-Vorlesungen – Politische Streitfragen in zeitgeschichtlicher Perspektive, Frankfurt 2013. Kershaw, Ian: Das Ende – Kampf bis in den Untergang NS Deutschland 1944/45, München 2011. Quinkert, Babette: Die deutsche Kapitulation im Mai 1945, Berlin 2010. Schreiber, Gerhard: Der Zweite Weltkrieg, München 2013 (5. Aufl.). Zimmermann, John: Pflicht zum Untergang – Die deutsche Kriegführung im Westen des Reiches 1944/45, Paderborn 2009.

Download: www.volksbund.de/bayern/bayern-aktuell.html

Lokalhistorische Informationen zum Kriegsende 1945 in Bayern: 
www.volksbund.de/fileadmin/redaktion/Mediathek/LV_Bayern/Handreichung_2019_www.pdf

Informationen über die Kriegsgräberstätten in Bayern: 
www.volksbund.de/fileadmin/redaktion/Mediathek/Wenn_Steine_reden_koennten/Wenn-Steine-reden-koennten_KGS-Bayern-mittel.pdf

Weitere Infos: www.volksbund.de

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