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Fachtagung: „Frieden braucht unkonventionelle Lösungen“

Volksbund und Partner Gastgeber in Berlin – Thema: „Friedensprozesse, Friedensschlüsse und Kriegsfolgen“

Mit dieser brennenden Aktualität hatten die Planer nicht gerechnet, als sie das Thema vor über einem Jahr festgelegt hatten: „Friedensprozesse, Friedensschlüsse und Kriegsfolgen“ war eine Fachtagung in Berlin überschrieben. Eingeladen hatte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit Partnern.


Größte Aufmerksamkeit galt dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Er sprach über den „Krieg in der Ukraine – Herausforderungen für Deutschland und Europa“. Fast 150 Gäste hörten dem emeritierten Professor der Humboldt-Universität Berlin in der Landesvertretung Niedersachsen am ersten Tag zu. Mehr als 150 weitere waren per Live-Stream zugeschaltet.
 

„Ukraine stark machen“

„Es war zu optimistisch, zu glauben, wir könnten militärische Macht durch wirtschaftliche Macht ersetzen“, sagte Münkler. Aber: „Wirtschaftliche Macht hat man, in militärische Macht muss man investieren.“

Wer den aktuellen Krieg beenden wolle, müsse die Ukraine so stark machen, dass Russland klar werde: Seine Ziele sind nicht zu erreichen – auch nicht mit einem lang andauernden Ermattungskrieg. Aber: „Die Deutschen und die Europäer sind auf die Führung eines solchen Krieges, an dem wir als Zulieferer beteiligt sind, schlecht eingestellt“.

Münklers Prognose: „Verhandlungen werden – wenn sie denn zustande kommen – die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sein, weil beide Seiten unbedingt auf die Einhaltung ihrer Kriegsziele bestehen und auch bestehen müssen." Putin stütze sich vermutlich darauf,  dass eine Reihe von „Neutralen” die Sanktionen nicht mitmachen, auf die größeren Ressourcen Russlands und darauf, dass der Ukraine „die jungen Männer ausgehen” – solange Putin „davon ausgeht, dass er damit noch durchkommt, wird dieser Krieg weitergehen, auch wenn verhandelt wird.”

Westfälischer Friede 1648

Wie gelingt ein nachhaltiger Friedensschluss? Wie gelang das früher? Und wie verankert man Friedensbildung stärker in den Schulen? Diese drei Fragen bildeten den Rahmen der Tagung. Erste aufschlussreiche Antworten gab es beim Rückblick auf den Westfälischen Frieden, der vor 375 Jahren den 30-jährigen Krieg beendet hatte.

Anuschka Tischer, Professorin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, fasste die wichtigsten Merkmale zusammen: Erklärtes Ziel war Freundschaft zwischen den Kriegsparteien; die politische Existenz der Gegner blieb unangetastet; die Frage nach Kriegsschuld und Verantwortung wurde nicht gestellt.
 

Baukasten statt Anleitung

Auf vier Jahre des Verhandelns folgten ab 1648 weitere Jahre der Umsetzung. Frieden dürfe darum nicht nur bis zu einem Vertrag gedacht werden, sagte die Referentin. Zentral sei die Frage, wie aus ihm dauerhafter Frieden werden könne.

Die historische Perspektive können keine Anleitung geben, sondern nur einen Werkzeugkasten mit Elementen für alle möglichen Denkweisen stellen. „Frieden braucht unkonventionelle Lösungen“, sagte Anuschka Tischer, und „gegebenenfalls Druck von außen“.
 

Friedensschlüsse von Wien bis Potsdam

Die Friedensschlüsse von Wien 1815, Paris 1919 und Potsdam 1945 analysierte Prof. Robert Gerwarth vom University College Dublin. Zwei von vielen Unterschieden: 1919 saßen die unterlegenen Mächte und Nachfolgestaaten schon nicht mehr am Verhandlungstisch. Und: 1945 waren Eckpfeiler wie Besatzungszonen und Alliierter Kontrollrat längst gesetzt.

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg betonte Gerwarth, dass ein Friedensprozess „natürlich auch die Demobilisierung der Köpfe und Mentalitäten ebenso erfordert wie die Demobilisierung der Streitkräfte“. Es werde keinen dauerhaften Frieden in Region und keine dauerhafte internationale Sicherheitsordnung geben, „wenn ein solcher Frieden die Fehler der Vergangenheit wiederholt und Rachegelüsten Vorrang vor einer gewissen Kompromissbereitschaft einräumt.“
 

Hindernisse am Beispiel Südosteuropa

Fehler der Vergangenheit zeichnete Dr. Thorsten Gromes vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung an den Beispielen Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo in den 1990er Jahren nach – in Phasen, in denen Friedensbemühungen scheiterten. Mal waren nicht alle kriegführenden Parteien einbezogen, die Verhandelnden nicht anerkannt oder durchsetzungsfähig in den eigenen Reihen oder der Friedensplan wich zu stark von der militärischen Lage ab.

Aussicht auf militärische Intervention und die Uneinigkeit externer Akteure nannte Gromes als weitere Hindernisse. Weitere Faktoren, die Friedensschlüsse verhinderten: Furcht vor dem Bruch eines Abkommens, zu viele Konfliktparteien und irrationales Verhalten. In aktuellen Konflikten seien diese Hindernisse schwer zu identifizieren, so Gromes. Zentral sei die Frage, wie sie sich überwinden lassen.
 

Blick auf das Gräbergesetz

Zum Blick zurück gehörte auch ein Vortrag aus juristischer und Verwaltungsperspektive: Prof. Dimitrij Davydov von Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen sprach über „Staatliche Erinnerungskultur und Kriegstotengedenken - die juristische Bewältigung von Kriegsfolgen“ – und damit auch über das dauernde Ruherecht und darüber, wie sich das Gräbergesetz entwickelt hat.

Friedensbildung an Schulen

Am zweiten Tag ging es um die Herausforderungen für die Politik heute und um Konsequenzen für die Friedensbildung an Schulen. Ein wichtiger Aspekt: eine wachsende Zahl von Schülerinnen und Schülern haben selbst Krieg, Flucht oder Vertreibung erlebt – darauf wies unter anderem Prof. Oliver Plessow von der Universität Rostock hin.

Dr. Volker Jacoby plädierte für ein neues, ganzheitliches Denken und für vernetztes Handeln angesichts massiver Krisen zur selben Zelt. Sein Thema: „Gesellschaftliche Resilienz und der vernetzte Ansatz“. Neue Foren für bisher nicht geführte – auch schmerzhafte – Debatten seien nötig, sagte der Leiter und Gründungsdirektor des European Centre of Excellence for Civilian Crisis Management in Berlin.

Volksbund als Akteur

Prof. Dr. Manuela Pietraß von der Universität der Bundeswehr München forderte, Friedens- und Sicherheitspolitik zusammen zu denken. Sie hatte untersucht, wie und wo sich Friedfertigkeit und Völkerverständigung als oberste Bildungsziele an Schulen niederschlagen und welche Akteure an der Bildungspraxis beteiligt sind. Einer davon: der Volksbund.

Die Rolle von Experten im Unterricht beleuchtete Dr. Stefan Kroll vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Wissenstransfer im Dialog mit Schülerinnen und Schülern – wenn möglich auf Augenhöhe – nannte er als wichtiges Ziel.
 

„Dann hat Bildung versagt“

Erfahrungen und Ansätze für eine zeitgemäße Friedenspädagogik skizzierte Prof. Uli Jäger von der Berghof Foundation/Institut für Friedenspädagogik Tübingen. Er forderte einen Lehrplan für Friedenspädagogik und mehr Zeit und Raum für die Beschäftigung mit Friedensprozessen und friedlichem Zusammenleben. „Wenn das nicht möglich ist, hat Bildung versagt“, so der Professor.

Das neue Drei-Jahres-Thema

Die Tagung war als wissenschaftlicher Einstieg für das nächste Drei-Jahres-Thema des Volksbundes konzipiert: Ab 2024 stehen „Friedensprozesse, Friedensschlüsse und Kriegsfolgen” auf unterschiedlichsten Ebenen beim Volksbund im Fokus.

Jugend- und Bildungsarbeit ist eine der tragenden Säulen. Unterstützen Sie den Volksbund bei dieser wichtigen Aufgabe – in schwierigen Zeiten wie diesen ist er besonders auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen!

Ein ausführlicher Beitrag zum Vortrag Herfried Münklers im Rahmen der Tagung erscheint in der nächsten Ausgabe der Mitgliederzeitschrift FRIEDEN Anfang April.