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9.000 Kilometer bis zum Volksbund-Archiv

Ein Gespräch mit der amerikanischen Historikerin Jackie Olson

In Florida aufgewachsen, promoviert Jackie Olson zurzeit an der Stanford University in Kalifornien. Für ihre Recherche kam die junge Frau Mitte März für drei Tage nach Niestetal bei Kassel. Sie forscht über Kinder und Jugendliche im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in der Nachkriegszeit. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit sind jüdische Friedhöfe.

 

Wie sind Sie mit dem Volksbund in Kontakt gekommen?

Das ist eine lange Geschichte. Als ich im College an meiner Abschlussarbeit saß, habe ich mich für das amerikanische Militär interessiert und mich damit beschäftigt, wie die US-Armee ihre Kriegstoten aus unterschiedlichen Gebieten und Ländern zurückgeholt hat – insbesondere aus Ost-Deutschland. Zum Teil habe ich dafür die Volksbund-Zeitschrift ausgewertet.
 

Das ist sehr ungewöhnlich! Hatte Ihnen jemand vom Volksbund erzählt?

Nicht direkt. Ich habe ein Buch gelesen: „Tod in Berlin“ („Death in Berlin“) von Monica Black. Sie ist Geschichtsprofessorin an der University of Tennessee in den USA und hat Volksbund-Quellen genutzt, die mir aufgefallen sind. Daraufhin habe ich die Bibliothekare meines Colleges gebeten, den Volksbund zu kontaktieren. Daraufhin habe ich Kopien der Zeitschrift bekommen. Wirklich cool! Das war 2020. Anschließend habe ich meinen Abschluss gemacht und zwei Jahre in Österreich gearbeitet.
 

Dann sprechen Sie ja fließend Deutsch!

(lacht) Nein! Aber ich kann alles lesen. Wenn ich das nicht könnte, wäre ich nicht hier.

Damals wusste ich, dass ich nach Deutschland kommen wollte, um mehr über den Volksbund zu recherchieren. Denn in den Ausgaben der Zeitschrift aus den 1950er Jahren hatte ich gelesen, dass Kinder und Jugendliche ganz vorne dabei waren, als es in der Nachkriegszeit darum ging, Kriegsgräberstätten in Frankreich oder Belgien anzulegen und zu pflegen.

Das ist bemerkenswert. In den USA sind bis heute junge Menschen bei Bau und der Pflege von Kriegsgräberstätten nicht involviert. Aber beim Volksbund schon. Warum ist das so? Hat das mit dem Krieg zu tun und mit der Frage, wer im Krieg kämpft oder gekämpft hat? Dafür interessiere ich mich sehr.

 

Vor 71 Jahren fand das erste internationale Volksbund-Jugendlager im belgischen Lommel statt. Junge Leute pflegten gemeinsam eine Kriegsgräberstätte und lernten sich kennen. Es kam zu „Versöhnung über den Gräbern“.

Im Archiv sichte ich viele Quellen. Ich möchte herausfinden, was die Jugendlichen damals gedacht haben, als sie an den Camps teilgenommen haben und mit ihren Schulklassen auf Friedhöfen gewesen sind. Oder wenn sie von Tür zu Tür gegangen sind, bei den Nachbarn geklopft und um Spenden gebeten haben, um die Volksbund-Mission zu unterstützen.

Für diese Nachkriegsgeneration interessiere ich mich ganz besonders. Sie stirbt jetzt langsam aus. Gerne würde ich einige von ihnen noch interviewen – die allerersten Teilnehmer dieser Programme, das wäre faszinierend!
 

Welche Entdeckungen machen Sie im Volksbund-Archiv?

Der Volksbund veröffentlichte sogar Dichtungen von jungen Mädchen. Ich erinnere mich an einige Zwölf- oder Dreizehnjährige: Sie schrieben über die Gräber und warum niemand zum Trauern komme oder sich um die Gräber kümmere.

Ein Mädchen erzählte, dass es seinen Onkel verloren habe und sich daran erinnere, wie seine Mutter die Nachricht erhielt und weinend durch die Haustür kam. Es beschrieb dieses Erlebnis als den Moment, in dem es erwachsen wurde. So als ob es vorher noch mit Puppen gespielt hätte, hinterher aber nicht mehr. Besonders die Sprache reizt mich, die Art, wie die Kinder über alles nachgedacht haben.
 

Sie beschäftigen sich mit dem historischen Volksbund. Jetzt sind Sie hier in Kassel und erleben den zeitgenössischen, modernen Volksbund. Ist der Verein so, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?

Selten findet man Archive, die Kopien von Quellen per E-Mail verschicken, ohne irgendwelche Bedingungen – ohne Geld zu fordern oder arrogant zu sein. Letzten Sommer hat Franziska Haarhaus, die Leiterin des Archivs, mir viele Unterlagen geschickt. Das ist auf der ganzen Welt einmalig! Da habe ich mir gedacht: Das müssen wirklich sehr nette Leute beim Volksbund sein. Ich sage das jetzt nicht nur so dahin. Jeder hier ist supernett.

Kassel selbst ist anders als ich erwartet hätte. Aber bisher war ich noch nicht in den Parks und Museen. Insgesamt ist die Stadt für mich ein guter Ort, denn es gibt viele Archive in der Gegend.
 

Denken Sie, dass junge Menschen im Volksbund auch weiterhin eine Rolle spielen werden?

Die Jugend wird sich immer für Geschichte interessieren. Mit meiner Erfahrung in den USA und auch an Gymnasien in Österreich, wo ich zwei Jahre lang gearbeitet habe, kann ich sagen, dass Geschichte im Lehrplan sehr wichtig ist. Selbst auf Social Media ist Geschichte ein Thema. Aber ich frage mich, wie wir das Curriculum verändern müssen, um besser den Erwartungen der Jugendlichen gerecht zu werden.
 

Also nicht nur im Klassenzimmer sitzen und Schulbücher lesen?

Ja! Wie zum Beispiel interaktive Touren und Führungen. Videos, die einen Ort oder ein Denkmal zeigen, wie sich die Geschichte und ihre Rezeption im Laufe der Zeit verändert hat.

Wie gesagt: Ich glaube nicht, dass das Interesse an Geschichte erlischt. Aber ich denke, die Art und Weise, wie wir Geschichte präsentieren, wird sich ändern.
 

Wie unterscheiden sich deutsche und amerikanische Friedhöfe?

Amerikanische Friedhöfe des Zweiten Weltkrieges sind etwas „positiver“ und natürlich nationalistischer als deutsche Friedhöfe. Wenn man amerikanische Friedhöfe in der Normandie oder in England besucht, sieht man viel weißen Marmor. Alles ist patriotisch: ganz zentral die amerikanische Flagge. Auf deutschen Friedhöfen spürt man die Trauer. Sie sind zurückhaltend und unauffällig. Das muss so sein. Das ist die logische Konsequenz aus dem Zweiten Weltkrieg.

Die Friedhöfe und Denkmäler des Ersten Weltkrieges sind etwas anders. Da sind auch die deutschen Kriegsgräberstätten nationalistischer und monumentaler.
 

Sie forschen über Gräber und Friedhöfe. Werden Sie in Stanford als eine Art „exotische“ Historikerin gesehen?

Ja, ein kleines bisschen schon. Es gibt dort wenige, die schwerpunktmäßig über europäische Geschichte arbeiten. In Stanford geht es mehr um US- oder ostasiatische Geschichte. Der Fokus liegt nicht unbedingt auf dem Thema „Tod“. Ein bisschen werde ich schon als Exotin gesehen, aber das ist in Ordnung.

Wenn Wissenschaftler in den USA über Friedhöfe, Denkmäler und Grabstätten forschen, konzentrieren sie sich in der Regel auf den amerikanischen Bürgerkrieg. Erinnerungskultur in den USA dreht sich eher um die Frage, ob Denkmäler der konföderierten Staaten zerstört werden sollten oder nicht.
 

Was gefällt Ihnen an Deutschland?

In Deutschland schätzt man es, draußen in der Natur zu sein. Man geht mehr zu Fuß und wandert mehr. Ich mag den öffentlichen Nahverkehr – die „Öffis“. Na ja, mit den Streiks dann vielleicht nicht mehr so sehr…(lacht) Aber insgesamt ist es großartig, dass man dieses Angebot hat. Man braucht nicht unbedingt ein Auto.

Viele Amerikaner, die in Deutschland oder Österreich leben, schätzen die frischen Lebensmittel. Die Qualität ist besser und das zu einem niedrigeren Preis. Insgesamt ist es ein tolles Land. In Deutschland hat man eine bessere „Work-Life-Balance“ – mehr Zeit für Hobbys, Familie und Freunde. Das liebe ich an Deutschland.

Frau Olson, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen für Ihre Promotion alles Gute!
 

Workcamps heute

Auf mehr als sieben Jahrzehnte Jugendarbeit blickt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. zurück. Bei internationalen Jugendbegegnungen und Workcamps treffen junge Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen aufeinander. Sie setzen sich mit Geschichte auseinander und lernen die Vielfalt Europas kennen. Die Anmeldungen für den Sommer 2024 laufen!

Der Volksbund ist ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht und birgt, sie würdige bestattet und ihre Gräber in 46 Ländern dieser Erde pflegt. Seine Arbeit finanziert er überwiegend über Mitgliedsbeiträge und Spenden.

 

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