Die Geschäftsfähigkeit einer Person darf nicht ohne Beweisaufnahme des Gerichts bejaht werden, wenn ...
Die Geschäftsfähigkeit einer Person darf nicht ohne Beweisaufnahme des Gerichts bejaht werden, wenn ...
Die Geschäftsfähigkeit einer Person darf nicht ohne Beweisaufnahme des Gerichts bejaht werden, wenn der Vortrag zur Geschäftsunfähigkeit konkrete Anhaltspunkte, aufgrund derer die Möglichkeit der Geschäftsunfähigkeit nicht von der Hand zu weisen ist, beinhaltet.
(BGH-Urteil vom 26.4.2022, X ZR 3/20, BeckRS 2022, 17784)
Der Fall
Der 1928 geborene Kläger übertrug im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unter Anrechnung auf etwaige Pflichtteilsansprüche der rund 53 Jahre jüngeren Beklagten, einer Bekannten, zwei Grundstücke. Die Beklagte hatte sich seit ca. 3 Jahren um die Verwaltung der Mietshäuser des Klägers gekümmert. Rund zwei Monate nach diesem notariellen Vertrag widerrief der Kläger alle zugunsten der Beklagten abgegebenen Willenserklärungen und machte geltend, er sei zum Zeitpunkt der Übertragung der Grundstücke nicht geschäftsfähig gewesen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, dass objektive Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit nicht vorlägen, sodass eine Beweisaufnahme zurecht unterblieben sei.
Da die Revision zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe zugelassen wurde, hatte sich dieser mit der Angelegenheit zu beschäftigten.
Die Entscheidung
Der Bundesgerichtshof als höchste zivilgerichtliche Instanz entschied, dass die Geschäftsfähigkeit des Klägers nicht ohne Beweisaufnahme bejaht werden durfte. Im Urteil führten die Richter aus, dass eine mögliche Geschäftsunfähigkeit ausreichend dargelegt ist, wenn ein Gericht auf Grundlage des Parteivorbringens zu dem Ergebnis gelangen muss, dass die Voraussetzungen von § 104 Nr. 2 (Geschäftsunfähigkeit) und § 105 Abs. 2 BGB (Nichtigkeit der Willenserklärung wegen Störung der Geistestätigkeit) vorlägen. Auf die Wahrscheinlichkeit des Vortrags kommt es nicht an. Es genügt der Vortrag konkreter Anhaltspunkte, aufgrund derer die Möglichkeit der Geschäftsunfähigkeit nicht von der Hand zu weisen ist. Ausreichend kann beispielsweise ein Attest eines behandelnden Arztes sein, nach dessen Einschätzung eine deutliche kognitive Beeinträchtigung und erhebliche Beeinträchtigung der Geschäftsfähigkeit vorgelegen haben und ergänzend beantragt ist, ein Sachverständigengutachten einzuholen und die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen zu vernehmen.
Der Bundesgerichtshof entschied daher, dass die Sache selbst nicht entscheidungsreif ist, weil zunächst noch eine Beweisaufnahme zur Frage der Geschäftsfähigkeit des Klägers durchgeführt werden muss. Diese hat durch das Berufungsgericht zu erfolgen.
DVEV-Expertenrat
Vermögensverfügungen im fortgeschrittenen Alter, gleich ob durch Schenkung oder Testament, werden in der Regel von den Personen, die hierdurch beeinträchtigt bzw. enterbt werden, stets kritisch gesehen. Sie werden versuchen alle Register zu ziehen, um sich ihre Vorteile zu verschaffen. Wenngleich der vom BGH entschiedene Fall die seltene Konstellation hat, dass der Schenker selbst behauptet geschäftsunfähig zu sein, lassen sich jedoch auch für Streitigkeiten über Testamente Rückschlüsse ziehen. Diese können nach den genannten Kriterien des BGH recht schnell mit dem Argument angegriffen werden, zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung haben konkrete Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit bestanden. Rechtsanwalt Jan Bittler, Geschäftsführer der DVEV und Fachanwalt für Erbrecht in Heidelberg empfiehlt daher, entweder rechtzeitig seine Vermögensnachfolgeplanung anzugehen oder, um Streit im Erbfall zu vermeiden, durch ein neurologisches Attest festzuhalten, dass man im Zeitpunkt der Schenkung oder der Testamentserrichtung noch geschäfts- bzw. testierfähig war.
Weitere Informationen
Fundstelle: BGH-Urteil vom 26.4.2022, X ZR 3/20, BeckRS 2022, 17784
Quelle: Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V. (www.dvev.de)