Helme und Kreuz vor einer 25 Meter breiten Grube, gefüllt mit Särgen. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gab den Toten im Rahmen einer Gedenkveranstaltung ein würdiges Grab im früheren Neumark (heute Stare Czarnowo). (© Simone Schmid)
319 Kriegstote in Stare Czarnowo eingebettet
Deutsch-polnisches Gedenken an Soldaten und Zivilisten auf der Kriegsgräberstätte des Volksbundes nahe Szczecin (früher Stettin)
Sechs verrostete Stahlhelme, ein Kreuz, dahinter sieben Reihen mit Särgen bestimmen die Szenerie auf der Kriegsgräberstätte Stare Czarnowo (früher Neumark) im polnischen Glinna (früher Glien). 319 Kriegstoten, darunter 19 Zivilisten, gibt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 77 Jahre nach Kriegsende ein würdiges Grab.
Wenn diese Helme Geschichten erzählen könnten, was würden sie verraten? Vielleicht wäre es die Geschichte der „Stolper Reiter“, von der Militärpfarrer a.d. Dr. Karl-Heinz Kuhlmann bei der Gedenkveranstaltung spricht. Er war Zeitzeuge der Kämpfe auf pommerschem Boden vor 77 Jahren.
„Stolper Reiter“ kämpften und starben
„Ich war damals zehn Jahre alt“, sagt er. „Am 2. Februar 1945 rollten die sowjetischen Panzer durch das kleine 200-Seelen-Dorf Eichelshagen. Wenige Tage zuvor hatte sich eine Kavallerieeinheit der Wehrmacht in dem Dorf einquartiert: 3. Schwadron der Kavallerie-Ausbildungs-Abteilung 100 aus Stolp.“
Die „Stolper Reiter“ kämpften und starben. „Begraben wurden die deutschen Soldaten zunächst, wo die Kugel sie getroffen hatte, wenn es noch Zeit dafür gab“, berichtet Kuhlmann weiter. „Mancher ist auch nur verscharrt worden. Später hat man dann Sammelgräber angelegt und die sterblichen Überreste zusammengetragen. Hier in Glien ist nun ein solcher Ort – ein Soldatenfriedhof zur letzten Ruhe.“
Nummer 29567
Sterbliche Überreste. Wenn sich jemand mit den Gebeinen Kriegstoter auskennt, dann ist es Thomas Schock. Der Umbettungsleiter des Volksbundes hat die Einbettung auf der Kriegsgräberstätte Stare Czarnowo koordiniert. Ungezählte Kriegstote hat er bereits aus Feldgräbern, Sümpfen, Wüsten und Steppen weltweit geborgen. Aufmerksam hört er dem Militärpfarrer zu, blickt auf die Särge.
29567 steht auf einem von ihnen. Was bedeutet diese Zahl? Es ist die Umbettungsnummer, die Gebeinen bei einer Exhumierung zugeordnet wird. Hinter jeder steckt eine Lebensgeschichte, ein tragisches Ende.
Schulterklappen, Knöpfe, Uniformreste
Erfahrene Umbetter wie Thomas Schock können anhand der Anatomie, des Knochenbefunds auf Alter, Größe und Geschlecht von Kriegstoten schließen. Erkennungsmarken und Beifunde wie Schulterklappen, Knöpfe und Uniformreste gebenbei Soldaten im besten Fall Aufschluss über Nationalität und militärische Einheit. Ort und Zeitraum, in dem sie gestorben sind, lassen weitere Rückschlüsse zu.
Welches Schicksal steckt hinter der Nummer 29567? Es ist eine Zivilistin, etwa 50 Jahre alt. Am 25. Februar dieses Jahres exhumierten die Volksbund-Umbetter im Gebiet Sianowska Huta, Gemeinde Kartuzy außerdem ein sechs- oder siebenjähriges Kind. Sein Sarg trägt die Nummer 29568.
„Wofür sind sie gestorben?“
Karl-Heinz Kuhlmann blickt in die Gesichter der Zuhörerinnen und Zuhörer – deutsche und polnische Besucher, die den Soldaten und Zivilisten die letzte Ehre erwiesen. Vertreter der Kirche und der umliegenden Gemeinden gehören ebenfalls dazu. „So fragen wir heute immer noch: Wofür sind sie gestorben?“
„Die Kriegsgräberstätte Stare Czarnowo, Neumark, ist heute nicht nur ein Symbol für die Schrecken der Vergangenheit und die Unmenschlichkeit des Krieges”, sagt Kreistagspräsidentin Sandra Nachtweih in ihrer Ansprache. „Dieser Ort ist auch ein Symbol für die Versöhnung und den Frieden geworden.“
„Wenige Wochen vor Kriegsende starben in dieser Region unterschiedslos Tausende Frauen und Männer, Kinder und Erwachsene, deutsche Soldaten und Zivilisten, polnische Zwangsarbeiter. Menschen, die Schuld auf sich geladen hatten und völlig Unschuldige, Flüchtlinge und Einheimische. Ihrer wollen wir heute gedenken.“
Totengedenken und Schweigeminute
Das Totengedenken verlas Oberst a.D. Heribert Schneider, Bundeswehrbeauftragter des Volksbundes in Mecklenburg-Vorpommern. Es folgten eine Schweigeminute und eine Kranzniederlegung am Hochkreuz, das zentral in der Mitte des Friedhofes steht.
Zu besonderen Anlässen werden Flaggen an den Masten gehisst, erklärt Friedhofsverwalter Piotr Nycz-Wasilec – die polnische, die deutsche, die europäische und die Volksbund-Flagge. Umgeben ist der zentrale Platz von Gräberfeldern, die durch Symbolkreuzgruppen gekennzeichnet sind. Auf der Kriegsgräberstätte Stare Czarnowo ruhen 27.000 Kriegstote, die während des Zweiten Weltkrieges in Polen gestorben sind.
Zwischen 17 und 50 Jahren alt
Tausende Namen sind auf den großen Granitstelen eingraviert, die sich über den gesamten Friedhof verteilen. Umbetter Thomas Schock bleibt vor einer Stele stehen. „KARL ROHDE *8.2.1903 – † 22.1.1945“ steht dort, „GERHARD KLEINICKE *20.2.1922 – † 31.10.1943“ und
„HORST BALZER *1.8.1927 – † 12.2.1945“. Drei Namen, die für drei Schicksale stehen.
„Wir haben heute 319 Gefallene eingebettet. Das waren bis auf einige Zivilisten alles Soldaten, der jüngste 17 Jahre, der Älteste 50 Jahre alt. Bei den Zivilisten waren es drei tragische Geschichten, zwei Frauen und eine Försterfamilie, die erschossen wurde. Jetzt sind sie in geweihter Erde. Heute ist wieder ein Stück zu Ende gegangen.“
Der Volksbund ist ...
... ein gemeinnütziger, 103 Jahre alter Verein, der seine Arbeit vor allem aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert. 2021 hat er fast 14.000 Kriegstote in mehr als einem Dutzend Ländern exhumiert. Mehr als 4.138 Tote wurden identifiziert. Wer noch einen Angehörigen vermisst, kann die „Gräbersuche online“ nutzen. Sie umfasst inzwischen mehr als 4,8 Millionen Datensätze. Weitere rund 500.000 werden noch aufgenommen.
In der Arbeitsbilanz 2021 erfahren Sie mehr über die Arbeit des Volksbundes, unter anderem über einen Einsatz der Umbetter in Transnistrien:
„Wir sind 25 Jahre zu spät“ (S. 8/9).