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Allee der Versöhnung

Internationales Workcamp in Gotha

„Dieser Friedhof ist voller Symbole. Er ist ein Sinnbild für unsere Geschichte, für zahllose Kriege – und unseren Umgang mit den Opfern“, sagt Friedhofsmeister Rainer König. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern pflegt er die Gothaer Gräber des Hauptfriedhofes. Hier finden sich zahlreiche Kriegsgräberstätten verschiedener Nationen und Epochen. Heute hat der Mann, den man meist mit einer Schirmmütze und einem Volksbund-Shirt bei der Arbeit sieht, viele helfende Hände an seiner Seite. Es sind die 30 jugendlichen Teilnehmer des internationalen Workcamps im thüringischen Gotha. In diesem Sommer haben sie sich viel vorgenommen. Denn neben den üblichen Pflegearbeiten wollen sie eine neue Allee bauen, welche die russischen mit den deutschen Gräbern verbindet. Sie nennen sie die Allee der Versöhnung.

 

Etwas Gutes tun

 

Für die Jugendlichen, die hier zwei Wochen lang gemeinsam arbeiten, lernen und ihre Freizeit verbringen, ist diese Idee äußerst einleuchtend. Schließlich stammen sie selbst aus neun verschiedenen Ländern Europas, die sehr unter den Weltkriegen zu leiden hatten: Belarus (Weißrussland), Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Deutschland, Italien, Moldawien, Russland und Türkei. Ivan Fukin ist einer der beiden weißrussischen Teilnehmer. Der 21-Jährige, der gerade mit der Schaufel in der Hand die spezielle Kieselmischung auf der eben entstehenden Allee verteilt, ist schon das zweite Mal in einem deutschen Workcamp. Nachdem er vergangenes Jahr die Kriegsgräberstätte in Halbe und die dortige Arbeit des Volksbundes kennengelernt hatte, brachte er diesmal noch einen Freund mit: „Denn ich finde, dass dies eine gute Möglichkeit ist, das Land aus einer ganz anderen Perspektive kennenzulernen und zugleich etwas Gutes zu tun.“ Die deutsche Sprache hat er übrigens am Goethe-Institut in Minsk erlernt. Auch viele andere ausländische Teilnehmer verfügen über gute Deutschkenntnisse, ansonsten verständigt man sich mit der Campsprache Englisch oder mit fantasievollen Gesten.

 

Ohne große Worte

 

 

Die Arbeit selbst verläuft meist ohne große Worte. Jeder packt mit an. Jungen und Mädchen wuchten gemeinsam die soeben entfernten morschen Äste auf einen großen Haufen, putzen die Gräber oder beweisen sich im akkuratem Heckenschnitt. Die Arbeit an der künftigen Allee der Versöhnung ist dabei etwas Besonders. Denn morgen kommt die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, die zugleich Schirmherrin des ausrichtenden Volksbund-Landesverbandes ist. Ohnehin haben sich auf Einladung des Landesgeschäftsführers Henrik Hug auch anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Landesverbandes zahlreiche Ehrengäste angemeldet. Bis dahin sollen die ersten Meter der Alle der Versöhnung schon fertig sein. So legen sich die Jugendlichen um Workcamp-Leiter Sebastian Fehnl und seine Teamer Anne Weggässer, Sandra Fuhrmann, Natalia Negrus und André Kellermann, gemeinsam mit König und seinen Mitarbeitern mächtig ins Zeug. Sie alle verteilen mit ihren Schaufel und Haken den aufgeschütteten Kies und pflanzen beidseitig am Wegesrand junge Laubbäume.

 

Wachsendes Verständnis

 

 

Und auch diese jungen Setzlinge besitzen nicht nur in den Augen des Friedhofsmeisters eine große Symbolkraft: Diese Neuanpflanzungen ersetzen jene absterbenden Bäume, die hier zu Zeiten und im Geiste des Nationalismus in den Zwanziger und Dreißiger Jahren gepflanzt wurden.  Sie sollen ein neues Zeichen der historischen Versöhnung und des aktuellen Verstehens unter den Menschen der jüngeren Generation darstellen. So soll ihr Wachstum auch das wachsende Verständnis in der jungen Generation versinnbildlichen. Wie zum Beweis, dass die Gothaer Gräber dazu besonders geeignet sind, findet sich im Mausoleum der Anlage die Urne Bertha von Suttners. Sie war die erste Trägerin des Friedensnobelpreises.

 

 

Weimar und Buchenwald

 

Dass das Wissen um die schrecklichen Verbrechen der Vergangenheit dazu die Voraussetzung ist, lässt sich aber auch an dem übrigen, von Camp-Leiter Sebastian Fehnl entworfenen Programm deutlich ablesen. So verbindet er einen Ausflug in die überaus sehenswerte Hochburg der deutschen Kultur in Weimar mit dem Besuch im nahe gelegenen Konzentrationslager Buchenwald. Für Teilnehmer Pavel Veshnovez und Friedhofsmeister König hatte dies auch eine sehr persönliche Bedeutung. Denn beide haben oder hatten Angehörige, die ebenfalls in solchen Todeslagern inhaftiert waren. „Meine Großmutter hat mir häufig erzählt, wie grausam die Zeit in dem deutschen KZ gewesen ist. Glücklicherweise hat sie überlebt“, berichtet der 24-jährige Pavel, „doch so richtig verstanden, was das alles für sie bedeutete, habe ich erst jetzt, wo ich es selbst gesehen habe.“

 

Mit offenen Augen

 

Für Rainer König, dessen Großonkel als Kriegsdienstverweigerer in einem Lager ums Leben kam, scheinen das gesamte Workcamp und die Allee der Versöhnung fast wie ein nachträglicher Sieg der historischen Gerechtigkeit: „Wenn Sie hier mit offenen Augen über das 20 Hektar große Gelände gehen, sehen Sie die Gräber der so genannten Märzgefallenen, der Zwangsarbeiter, der Kriegsgefangenen, der Soldaten vieler Nationen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie der zahlreichen zivilen Toten. Die meisten dieser Opfer wurden ihn den vier Jahrzehnten der DDR-Diktatur totgeschwiegen. Das hört sich schlimm an, aber so war es!“ Und heute, 20 Jahre nachdem der Volksbund auch in Thüringen und den vier anderen neuen Bundesländern seine Friedensarbeit betreibt, werde endlich wieder an sie erinnert. Das mache auch einen großen Teil seiner Motivation aus, die ihn schon vor langer Zeit dazu bewog, ehrenamtlich im Landesvorstand des Volksbundes mitzuarbeiten.

 

All dies wird auch auf dem anschließenden Empfang im Gothaer Rathaus mit Dank zum Ausdruck gebracht. Und während einige Jugendliche im Bürgersaal die Fragen der Journalisten und Gäste beantworten, sammeln die übrigen Camp-Teilnehmer draußen die roten Handabdrücke der Passanten. Es ist eine bekannte Aktion gegen den Missbrauch von Kindersoldaten in vielen Staaten dieser Erde.  Wenn die Jugendlichen, die Organisatoren und Besucher dieses 18. Workcamps in Gotha wieder in ihre Heimatorte zurückkehren, werden sie noch lange über alles nachdenken. Sie haben viel gesehen, viel erlebt und erfahren, das nachwirkt. Und auch die Allee der Versöhnung wird weitergebaut – jedes Jahr ein Stückchen mehr.

 

Maurice Bonkat

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