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Besuch aus Sibirien

Volksbund betreut russischen Angehörigen

Der Volksbund ist verantwortlich für die deutschen Kriegsgräber im Ausland. Innerhalb Deutschlands berät die Kriegsgräberfürsorge zudem die zuständigen Kommunen. Doch was ist mit den Menschen, die nach einem der unzähligen ausländischen Kriegsgräber auf deutschem Boden suchen? Auch hier kann der Volksbund helfen – und zwar in Form des persönlichen Engagements seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter. Evelin Mühle vom Volksbund-Ortsverband Görlitz ist dafür ein gutes Beispiel.

In diesem Winter erlebt Evelin Mühle etwas ganz Besonderes: Sie betreut den Enkel eines Sowjetsoldaten, der auf dem örtlichen Friedhof seine letzte Ruhestätte hat. So etwas kommt nicht sehr häufig vor. Schließlich ist es ein langer Weg von Sibirien nach Görlitz. Der Mitbegründerin des Görlitzer Volksbund-Ortsverbandes ist es daher ein persönliches Anliegen, dem fremden Besucher zu helfen. Für sie spielt es keine Rolle, welcher Nation der Verstorbene angehörte. Im Tode sind alle gleich, heißt es. „Und wer würde sich nicht freuen, wenn er bei so einem bedeutsamen Besuch am Grab des Großvaters jemand an seiner Seite hätte?“, fragt Evelin Mühle.

Sie kennt sich aus, versteht die Gefühlslage des russischen Besuchers. Neben ihrem ehrenamtlichen Engagement für den Volksbund beschäftigt sie sich hauptberuflich mit dem Thema der Gräberfürsorge und ihrer großen Bedeutung für die Angehörigen. Sie ist Chefin des Städtischen Friedhofs in Görlitz. So ist es ein glückliches Zusammentreffen aber doch kein Zufall, dass sie bereits im Juli 2012 die erste E-Mail aus Sibirien erreicht.

Herzlicher Empfang

Das gesuchte Grab des Großvaters, der seit 1945 auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof in Görlitz-Rauschwalde ruht, ist bald gefunden. So wird aus der guten Idee konkrete Wirklichkeit: Plötzlich steht Vladimir Melnikov, der Enkel des russischen Kriegstoten, auf dem Bahnhof in Görlitz. Er ist da. Einfach so. Später stellt sich heraus, dass er zusätzlich auch berufliche Termine wahrnimmt. Als Leiter des akademischen Auslandsdienstes der Universität Tomsk kommt man herum in der Welt. Neben dem Grab seines Großvaters gilt der Besuch also auch der Berliner Humboldt-Universität. Aus diesem Grunde beherrscht Vladimir Melnikov auch die deutsche Sprache. Das macht Vieles einfacher.

Da sein Bruder aber entgegen der ursprünglichen Planung die aufwändige Reise dann doch nicht antreten konnte, ist er ganz alleine gekommen – bleibt es aber nicht. Evelin Mühle vom Volksbund, der zuständige Kollege Ingo Ulrich vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes sowie Pfarrer Erdmann Wittig von der  Christus-Kirchengemeinde warten schon auf ihn. Der Empfang des russischen Gastes fällt sehr herzlich aus.

Evelin Mühle informiert Vladimir Melnikov anschließend über die umfangreichen Arbeiten, die in den Jahren 2006 bis 2009 auf den drei Kriegsgräberanlagen in Görlitz-Rauschwalde (sowjetischer Ehren- sowie Zivilfriedhof, deutscher Soldatenfriedhof) erfolgt sind. Die gute Pflege der Anlage ist für den Gast etwas überraschend. Dass man in Deutschland so viel Sorgfalt auf die Pflege ausländischer Gräber verwendet, hätte er nicht vermutet. Das ist eine positive Überraschung und bietet guten Erzählstoff für die daheim gebliebenen Freunde und Verwandte.

Dann geht es gemeinsam zum Grab von Gavril Michailowitsch Melnikov. Der Großvater von Vladimir Melnikov wurde 1906 geboren und starb am 27. Mai 1945, nur wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Er hatte drei Söhne, die damals im Alter von 16, 15 und 9 Jahren waren. Er war Buchhalter und lebte wie sein Enkel ebenfalls in der Nähe von Tomsk. Nach Deutschland kam er als Kriegsgefangener. Das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte er bereits schwer erkrankt im Lazarett, das heute das Malteser Krankenhaus St. Carolus beherbergt. So wurde sein Kranken- auch zum Todesbett.


Eines der schönsten Gefühle

Heute, knapp 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist sein Enkel nur noch wenige Meter von der Grabplatte mit der kyrillischen Inschrift entfernt. Das Wetter an diesem Wintertag ist für deutsche Verhältnisse mehr als scheußlich. Es regnet und ist eisigkalt. Darüber kann der Gast aus Sibirien nur schmunzeln. In seiner Heimat sind hohe zweistellige Minusgrade im langen Winter ganz normal. Über das Wetter macht sich Herr Melnikov in diesem Moment ohnehin wenig Gedanken. Mit jedem Schritt, der die Gruppe näher an das gesuchte Kriegsgrab bringt, wird die Stimmung feierlicher. Als Pfarrer Wittig schließlich das Totengedenken liest und ein Gebet spricht, wird allen klar, dass sie hier einen ganz besonderen Moment erleben. „Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Fremde sich nah sein können. Wenn es aber doch passiert, ist dies eines der schönsten Gefühle, die man unter Menschen teilen kann“, sagt Evelin Mühle.

Dann zitiert sie einen Auszug des Totengedenkens, das alljährlich zum Volkstrauertag an vielen Orten verlesen wird: „… unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der Welt.“ Und genau dies sind die humanitären Grundsätze, denen sich Volksbund-Ehrenamtler wie Evelin Mühle verpflichtet sehen.

Maurice Bonkat