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Bewegte Geschichte: mit PEACE LINE über den Balkan

Jugend-Format von Volksbund und Auswärtigem Amt nach Südosteuropa ausgeweitet – nächste neue Route folgt

Zur Blauen PEACE LINE-Route Richtung Nordosten und zur Grünen nach Süden und Westen kam 2022 die Gelbe Route auf den Balkan dazu. Sie nimmt das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens in den Fokus. 2023 soll das neue Volksbund-Format für junge Leute noch um eine weitere Route wachsen. Stefan Finkele, Referent im Organisationsteam, berichtet:
 

Das Interesse an der neuen Route war enorm, die 24 Plätze waren rasch besetzt. Sie beginnt in Sarajevo, wo der Erste Weltkrieg mit dem Attentat des serbischen Nationalisten Gavrilo Princip auf den österreich-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand im Juni 1914 seinen Auslöser fand.

Mehr als 100 Jahre später trafen dort junge Erwachsene aus 19 europäischen Nationen zusammen, um in einer zweiwöchigen Reise über die Geschichte des 20. Jahrhunderts zu lernen. Dabei sollten sie auch ihren eigenen Blick auf die Geschichte und die historischen Perspektiven ihrer Heimatländer mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern teilen.
 

Gespräch über ungelöste Konflikte

Der Blick in die Vergangenheit verfolgt das Ziel, aus der Geschichte für die aktuellen Herausforderungen und Probleme zu lernen. Mit diesem Gedanken begaben wir uns zum Büro des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina und sprachen mit dem stellvertretenden Hohen Repräsentanten, Tobias Privitelli, über die zahlreichen noch ungelösten Konflikte im Land. Sie erfordern, dass dieses Amt fast 30 Jahre nach seiner Gründung weiterbesteht.

Nach vier Tagen in Sarajevo fuhren wir in die Republika Sprska – den serbisch dominierten Landesteil – und besuchten die Gedenkstätte Srebrenica. Die Geschichte des Völkermordes an den muslimischen Bosniaken durch die bosnisch-serbischen Truppen wurde uns in den zahlreichen Ausstellungen der Gedenkstätte sowie von unserem Guide – einem Überlebenden des Massakers – vor Augen geführt.

Die Zeitzeugin Fazila Efendić, lokale Präsidentin der Opfervereinigung „Mütter von Srebrenica“, berichtete unserer Gruppe, wie sie im Juli 1995 ihren Mann und ihren Sohn während des Völkermords verlor und wie sie heute mit diesen Erinnerungen umgeht.
 

Versuche der Versöhnung

Die PEACE LINE führte weiter nach Belgrad. Dort organisierten wir mit der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft eine Veranstaltung. Ivana Antonijević als Vertreterin des „Regional Youth Cooperation Office“ (RYCO) und Sofija Todorović von der „Youth Initiative for Human Rights“ (YIHR) berichteten über ihre Organisationen und die balkanweite Jugendarbeit. Sowohl RYCO als auch YIHR setzen sich für Versöhnung und Frieden ein und bieten dazu zahlreiche Programme der internationalen Jugendbegegnung an.

Die Vertreterinnen dieser lokalen NGOs diskutierten mit Miguel Waltereit von der Deutschen Botschaft und unserem Teamer Steffen Kamenicek über die unterschiedlichen nationalen Perspektiven auf Geschichte und was sie heute für den Balkan bedeuten. Die Veranstaltung ermöglichte auch den Austausch mit jungen Erwachsenen aus Serbien und Nordmazedonien.
 

Ein Park als Gedenkort

Auf dem Weg nach Skopje hielten wir in Kragujevac, um das „Museum 21. Oktober” und den Gedenkpark zu besichtigten. Dieser Ort erinnert an eines der schlimmsten Kriegsverbrechen der Wehrmacht auf dem Balkan: das Massaker von Kragujevac. Über 2.000 Zivilisten – darunter auch Schülerinnen und Schüler – waren im Rahmen des „Sühnebefehls“ von den deutschen Truppen ermordet worden.

Im Park erinnern zahlreiche Gedenkelemente an die Opfer, mit denen sich die Gruppe in einem Workshop befasste. Hier trafen wir auch  eine serbische Teilnehmerin der Blauen Route: Dunja Pavlović, die in Kragujevac aufgewachsen ist, erklärte uns den besonderen Stellenwert dieses Gedenkortes für Serbien.
 

Individualität sichtbar machen

In der Hauptstadt Nordmazedoniens setzte sich unsere Gruppe kritisch mit dem Stadtbild Skopjes auseinander: Die zahlreichen Statuen und Gebäude im antiken Stil, die im Rahmen des Projekts „Skopje 2014“ entstanden sind, wurden von den benachbarten Ländern als kulturelle Aneignung ihrer Geschichte kritisiert.

In Prilep besuchten wir die deutsche Kriegsgräberstätte und setzten uns mit Biographien dort bestatteter Soldaten auseinander. So wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern klar, dass in jedem Grab ein Mensch mit einer ganz persönlichen Geschichte liegt. Dieses Bewusstsein ist wichtig, denn in den Statistiken des Krieges verschwindet das Individuum hinter der Anonymität der enormen Opferzahlen.
 

Reflexion in Thessaloniki

Die letzte Station der Gelben Route war Thessaloniki. Zwei volle Tage der Reflexion waren nötig, um alle Eindrücke und die Menge an historischer Information zu verarbeiten, die in zwei Wochen auf die Gruppe eingewirkt hatten.

Für das Format PEACE LINE stellt die Gelbe Route einen großen Gewinn dar: Die Geschichte des Balkans in beiden Weltkriegen und die Jugoslawienkriege sind Themenkomplexe, die in vielen europäischen Ländern häufig nicht ausreichend wahrgenommen werden.
 

Zwei Gruppen 2023 unterwegs

Vor dem Hintergrund der angestrebten EU-Beitritte im Westbalkan ist es wichtig, diese Region in historischen Bildungsprojekten stärker in den Fokus zu nehmen. Deshalb wird die Gelbe Route 2023 sogar zwei Gruppen auf den Balkan führen, um möglichst vielen jungen Menschen einen Zugang zu dessen bewegter Geschichte zu eröffnen.
 

Neue Rote Route führt nach Westen

In diesem Jahr wird PEACE LINE um eine weitere Route wachsen: Die Rote Route führt Richtung Westen und nimmt historische Friedensschlüsse in den Fokus. Damit fügt sie sich in das nächste Dreijahresthema „Friedensprozesse, Friedensschlüsse und Kriegsfolgen“ des Volksbundes ein, das  ab 2024 im Fokus steht.

Die jungen Erwachsenen von 18 bis 26 Jahren beginnen ihre Reise in Münster und Osnabrück, wo sie sich zum 375. Jahrestages des Westfälischen Friedens am Ort des Geschehens treffen werden. Von da aus fährt die Gruppe in die Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte (JBS) Ysselsteyn in den Niederlanden und anschließend nach Amsterdam.
 

Brüssel, Paris, Verdun

Auf einen Zwischenstopp in Brüssel folgen Paris und schließlich Verdun, bevor die Gruppe in der JBS Niederbronn-les-Bains im Elsass ihre Reise reflektiert. Zurzeit entsteht didaktisches Material, das den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zur Erklärung, aber auch zur Selbsterkundung der historischen Stätten dienen wird.
 

Der Autor
Stefan Finkele ist Referent im PEACE LINE-Team und zuständig für die Grüne und die Gelbe Route. Bevor er für den Volksbund tätig wurde, arbeitete er unter anderem für die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und für den Verein „Berliner Unterwelten“. Der studierte Historiker nahm sich mit viel Motivation der Ausarbeitung der Gelben Route über den Balkan an.

Mehr Informationen zu diesem Jugend-Format von Volksbund und Auswärtigem Amt unter www.peaceline.eu.

Ein Schlaglicht auf die Blaue und die Grüne Route wirft unter anderem dieser Artikel:
PEACE LINE blau und grün: zwei weitere Gruppen unterwegs