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Blockade Leningrads: „Kriegsverbrechen nicht vergessen“

80 Jahre nach dem Ende der Belagerung nehmen der deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff und der Volksbund an Gedenkveranstaltung teil

Am 27. Januar 1944 endete die Blockade der Stadt Leningrad nach 872 Tagen. Rund 1,1 Millionen Menschen – gut ein Drittel der Einwohner – war bis zu diesem Tag ums Leben gekommen. Anlass zum gemeinsamen Gedenken über Ländergrenzen hinweg, könnte man meinen. Doch wir leben in „eisigen” Zeiten und darum gab es zwei Veranstaltungen auf dem Piskarjowskoje-Gedenkfriedhof im heutigen Sankt Petersburg. Hermann Krause, der Leiter des Moskauer Volksbund-Büros, war bei einer dabei.
 

Für die normale Bevölkerung und die Vertreter der „unfreundlichen Staaten“ war der Nachmittag auf dem Friedhof reserviert. In Russland werden als „unfreundliche Staaten“ alle Länder bezeichnet, die die Ukraine unterstützen – die USA und die gesamte Europäische Union, natürlich Deutschland an erster Stelle. Am Vormittag hatten der russische Präsident Wladimir Putin sowie die Vorsitzende des Föderationsrates, die frühere Gouverneurin von St. Petersburg, Valentina Matwijenko, und zahlreiche russische Regierungsvertreter Kränze an diesem Ort des Gedenkens niedergelegt.
 

Keine offizielle Begleitung

Vormittags war die Stadt an der Newa aus Sicherheitsgründen so gut wie abgesperrt, doch am Nachmittag war davon nichts mehr zu spüren. Im Gegensatz zu früheren Jahren gab es auf dem Friedhof kein Protokoll für das diplomatische Korps. Von offizieller Seite kümmerte sich niemand um die Vertreter der Generalkonsulate aus Frankreich, Ungarn, Polen, Zypern und anderen „unfreundlicher Staaten.“ Als einziger Botschafter war Alexander Graf Lambsdorff aus Moskau angereist. Seit August 2023 ist er im Amt.

Am Nachmittag waren bei bedecktem Himmel und drei Grad minus zehntausende Petersburger auf dem Friedhof, darunter auch Eltern mit ihren Kindern. Fast jede Familie hat während der Blockade Angehörige verloren, sodass dieser Tag im Bewusstsein der Bevölkerung eine große Rolle spielt. Dennoch war die Stimmung sehr gelöst – auch als der deutsche Botschafter seinen Kranz niederlegte.
 

Volksbund-Arbeit erklärt

Mit Interesse beobachteten viele, wie der langjährige Volksbund-Mitarbeiter Viktor Muchin und ich das Blumengebinde des Volksbundes drapierten. Mehrfach wurden wir gefragt, was denn der Schriftzug „Kriegsgräberfürsorge“ auf den Schleifen bedeute. Das gab uns Gelegenheit, unsere Arbeit ausführlich darzustellen. Die Freundlichkeit der Besucher uns gegenüber war frappierend.

Das stand in krassem Gegensatz zur scharfen, aktuellen Kritik von offizieller Seite an der Politik Deutschlands: So schrieb der Vorsitzende der Duma, Wjatscheslaw Wolodin, auf seinem „Telegram”-Account: „Für die Führung der NATO-Länder ist die faschistische Ideologie zur Norm geworden. Die Bundesregierung unter Olaf Scholz unterstützt eine Politik des Genozids in der Ukraine.”
 

Putin trifft Studenten

Wladimir Putin war am Vortag mit einer Gruppe von Studenten zusammengetroffen, die bereits als Soldaten in den besetzten Gebieten im Donbass im Einsatz gewesen waren. „So sehen Sie, wie die Wirklichkeit in den neuen Territorien tatsächlich ist, das ist doch besser als im Internet. Wir wissen, dass Ihre Angehörigen sich um sie sorgen und täglich für Sie beten. Aber wir erleben auch, wie sehr Russland zusammensteht, wenn es darauf ankommt, unser Land wieder einmal gegen Faschisten zu verteidigen.” Die jungen Männer bedankten sich anschließend erwartungsgemäß ausführlich für die Möglichkeit, dem russischen Vaterland dienen zu dürfen.

Botschafter: Erinnern bleibt wichtig

Von antiwestlicher Stimmung aber war auf dem Friedhof nichts zu spüren. Die Besucher waren interessiert an dem Besuch aus Moskau. In einem Statement gegenüber dem Fernsehsender n-tv sagte Botschafter Alexander Graf Lambsdorff: „Wir stehen hier auf dem größten Friedhof dieser Welt. Hier liegen 470.000 Menschen – Zivilisten, die durch ein deutsches Kriegsverbrechen ums Leben gekommen sind. Und die Russen haben diese Stadt gerettet, sie sind stolz darauf. Deshalb sind es hier ehrliche Emotionen, die wir sehen – für mich ist das hier sehr bewegend.”

Trotz des Krieges, den Russland in der Ukraine führt, sei es für Deutsche wichtig, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wach zu halten und „die schrecklichen Taten der Nazis nicht zu vergessen”. Mehr als eine Million Zivilisten seien bei der Blockade ums Leben gekommen – „durch ein deutsches Kriegsverbrechen. Mir ist es wichtig als Botschafter, daran zu erinnern und das Motto unserer Politik – ´Nie wieder Krieg!´ – noch einmal zu verdeutlichen.“
 

Weitere Tote in Sologubowka 

Am 27. Januar 1944, also vor 80 Jahren, hatten sowjetische Truppen die fast dreijährige Blockade der deutschen Wehrmacht durchbrochen. Neben den Zivilisten starben auf sowjetischer Seite mehrere hunderttausend Soldaten, die genauen Zahlen sind nicht bekannt. In dem kleinen Ort Sologubowka, rund 70 Kilometer vom Zentrum Sankt Petersburgs entfernt, weihte der Volksbund im Jahr 2000 eine deutsche Kriegsgräberstätte ein. Ein wichtiger Teil des Projekts war die Wiederherstellung der 1851 eingeweihten, verfallenen russisch-orthodoxen Kirche Mariä Himmelfahrt als versöhnende Geste.

In Sologubowka sind mehr als 55.000 Soldaten begraben. Regelmäßig finden weitere Beisetzungen statt, denn die Volksbund-Umbetter bergen noch immer Gebeine auch in dieser Region (mehr lesen). Allein in Osteuropa ist noch mit mehr als zwei Millionen Soldaten zu rechnen, die noch nicht geborgen sind. 

Text: Hermann Krause (Leiter des Volksbund-Büros in Moskau)
Kontakt

Über die Belagerung vor mehr als 80 Jahren hat Hermann Krause ebenfalls einen Artikel geschrieben: Blockade von Leningrad, veröffentlicht in der neuen Reihe #volksbundhistory.
 

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... ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung im Ausland Kriegstote sucht und birgt, sie würdig bestattet und ihre Gräber pflegt. Daraus leitet er einen Bildungsauftrag ab und bringt junge Menschen aus verschiedenen Ländern unter anderem in Workcamps zusammen (Anmeldung für den Sommer läuft). Seine Arbeit finanziert der Volksbund vor allem aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Danke für Ihre Hilfe!