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"Bloß nicht so werden wie die Eltern!"

Sabine Bode liest in Bielefeld aus ihrem neuen Buch "Nachkriegskinder"

„Das hätte ich mir vor fünf Jahren nicht vorstellen können, wie sehr diese Dunstglocke von Schuld und Verschweigen über meinen ersten Kindheitsjahren lag.“ Mit diesen Worten zitiert Sabine Bode einen von zwölf Gesprächspartnern, die sie in ihrem neuen Buch „Nachkriegskinder“ vorstellt.

Der Sonderausstellungssaal des Bauernhausmuseums Bielefeld ist an diesem zweiten Advent bis auf den letzten Platz gefüllt. Mehr als 100 Zuhörerinnen und Zuhörer sind der Einladung des Volksbundes gefolgt und lauschen gespannt den Ausführungen der Kölner Journalistin. Viele von ihnen gehören eben jener „Nachkriegskindergeneration“ an, um die es an diesem Vormittag geht.

Die seelischen Folgen des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkriegs – das ist es, was Sabine Bode seit zehn Jahren beschäftigt. Nach ihren Büchern über die Kriegskindergeneration („Die vergessene Generation“) und deren Kinder, die „Kriegsenkel“, lässt sie nun Menschen zu Wort kommen, die zwar erst nach 1945 geboren wurden, deren Eltern jedoch den Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger aktiv miterlebt haben.

Packend und bewegend zugleich sind die Beispiele, die Sabine Bode vorstellt. Sie erzählt von Menschen, die durchaus im Leben Fuß gefasst haben, denen aber zur wirklichen Zufriedenheit etwas fehlt: Vom erfolgreichen Berater, der ein Leben lang Probleme mit Autoritäten hatte. Oder von der kreativen Bühnenbildnerin, die nie eine Paarbeziehung eingehen konnte. Probleme mit Vaterfiguren und Kinderlosigkeit ist in dieser Generation ein häufiges Muster.

Allen dargestellten Biografien gemein ist das schwierige Verhältnis zum Vater, der belastet, traumatisiert oder desillusioniert aus dem Krieg oder der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Ob autoritär oder in sich zurückgezogen – viele dieser Väter konnten ihren Kindern nicht die notwendige Orientierung bieten. Die Kinder kehrten sich ab sobald sie selbständiger waren. Dankbar wandten sie sich der Jugend- und Protestbewegung der sechziger und siebziger Jahre zu und schworen sich, „bloß nicht zu werden wie die Eltern“.

Die Unzufriedenheit mit den privaten Verhältnissen fand ihre Entsprechung im gesellschaftlichen Protest gegen die staatlichen Autoritäten und den „Muff aus tausend Jahren“. Aber auf die Frage der Kinder an die Eltern: „Was habt ihr gewusst?“ bzw. „Was habt ihr gemacht?“ ernteten die Kinder meist nichts als Schweigen.

Die Sprachlosigkeit hielt Jahrzehnte an und belastete das Vater-Kind-Verhältnis oft ein Leben lang. Die Antwort nahmen die Väter mit ins Grab.

Dass diese Fragen die Generation der Nachkriegskinder heute noch bewegt, zeigt das starke Interesse am Buch und an der Lesung von Sabine Bode. „Hätten Vater und ich vielleicht doch eine andere, eine bessere Beziehung haben können? Mussten unsere politischen Auseinandersetzungen ausschließlich im Schwarz-Weiß-Modus geführt werden?“ Diese Frage eine der im Buch vorgestellten Personen bewegt heute viele Angehörige der Generation der „Nachkriegskinder“.

Nach mehreren Jahrzehnten, die seit dieser Konfrontation vergangen sind, besteht jetzt die Chance, sich den Vätern behutsam zu nähern. „Die meisten Nachkriegskinder wollen nicht beschuldigen“, sagt Sabine Bode. „Aber es wächst die Zahl derer, die Nachforschungen anstellen. Sie tun es weil sie verstehen wollen. Sie wollen etwas ins Gleichgewicht bringen. Deshalb machen sie sich auf die Suche nach ihren Wurzeln – und ihre Soldatenväter gehören ohne Zweifel dazu.“

Stefan Schmidt

 

Literaturtipp: Sabine Bode, Nachkriegskinder, Klett-Cotta, Stuttgart 2011