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Die Lücke bleibt – auch nach siebzig Jahren

Gedenken an die Toten der Schlacht um El Alamein

Am 20. Oktober : Die Schlacht um El Alamein in Ägypten, ein Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges in Nordafrika, jährt sich zum siebzigsten Mal. Viele Angehörige der Gefallenen und Veteranen der Schlacht kamen in die nordafrikanische Wüste, um der Toten zu gedenken.

Dorothea Heiser, die Tochter eines der Gefallenen, ist auch in diesem Jahr wieder mit einer Reisegruppe des Volksbundes dabei. Sie erwartet kritisch die vor ihr und den anderen Angehörigen liegenden Gedenkfeiern auf den verschiedenen Friedhöfen in Nordägypten. Ihr selbst liegt nichts daran, der Ruhmestaten von Soldaten und deren Kommandeuren zu huldigen – sie will gemeinsam mit den anderen Betroffenen innehalten, mit den Kindern der Toten, die vielleicht wie sie, die gerade drei Monate alt war, als ihr Vater fiel, die ihren Papa nie kennen lernen durften.

Sie möchte die Jugend dafür gewinnen, gemeinsam über Ländergrenzen hinweg, am Frieden in der Welt zu arbeiten. Heinz Kälberer, Vizepräsident des Volksbundes, betont in seiner Ansprache, dass der Volksbund jährlich bis zu zwanzigtausend Jugendliche aus sprichwörtlich aller Herren Länder zusammen bringt, um an den Gräbern zu arbeiten und Freundschaften zu schließen. Da dies hier in Afrika aus Kostengründen kaum zu realisieren ist, hat der Veranstalter der Gedenkstunde, die deutsche Botschaft in Kairo, wie schon in den vergangenen Jahren den Chor und eine Geschichtsklasse der deutschen Schule der Borromäerinnen aus Alexandria zu Teilnahme gewinnen können. Die jungen Mädchen heißen die Gäste mit ihren traditionellen ägyptischen Gesängen im Orient willkommen und umrahmen musikalisch das Gedenken.

Der deutsche Botschafter Michael Bock dankt den Anwesenden für ihr Kommen und das Wachhalten der Erinnerung an die Leiden vor siebzig Jahren. Monsignore Joachim Schroedel von der katholischen Gemeinde Kairo beendet seine eigene, ergreifende Rede mit einem gemeinsamen Vaterunser.

Mit der Reisegruppe des Volksbundes unter der Leitung des ehemals für Nordafrika zuständigen Mitarbeiters Wolfgang Hoerle, sind aber nicht nur Kinder der Gefallenen angereist. Hans Werner Richter und Günter Neugebauer gehören zu den letzten noch lebenden Teilnehmern der Schlacht, die vor einem Menschenleben hier in Nordafrika so viele Leben kostete.

Der 91-jährige Richter hat als Fallschirmjäger die Kämpfe um Belgien, den Kanal von Korinth, den Absprung über Kreta und die sogenannte Winterschlacht im Osten überstanden. Nach dem russischen  Winter mit über vierzig Grad minus kam er im August 1942 in die heiße Wüste Nordafrikas. Heute legt er zusammen mit Günter Neugebauer den Kranz des Bundes Deutscher Fallschirmjäger nieder.

Günter Neugebauer, mit seinen 89 Jahren der jüngste der heute anwesenden Kriegsteilnehmer, war als Kraftfahrer auf dem gesamten Vormarsch von Tunesien bis El Alamein dabei. Bei seiner ersten Wiederkehr nach so langer Zeit sieht er all die Ortsnamen auf den Straßenschildern, mit denen er so viele Geschichten verbindet. Er möchte die Erinnerung an diesen sinnlosen Krieg wach halten. All das Leiden der damaligen Zeit in dieser heute so schönen Urlaubsregion darf nicht vergessen werden.

Am Vorabend der Gedenkveranstaltung treffen beide zufällig zwei britische Veteranen. Dabei stellt sich heraus, dass Richter und einer der beiden englischen Brüder sich im Jahr 1943 bei der Einnahme der Insel Leros durch die deutsche Fallschirmtruppe erneut gegenüber gelegen haben. Sie sind dankbar, diese Schrecken überlebt zu haben und erzählen immer wieder jungen Leuten, die ihnen zuhören wollen, von dem vielen sinnlos vergossenen Blut erzählen zu können.

Gerne folgen sie einer Einladung der britischen Botschaft zu einem Vortrag über die Schlacht von El Alamein. Dort treffen sie weitere Kriegsteilnehmer, aus Italien. Fragen wie: „Warst Du auch bei Marsah Matrouh?“ und „ Wie heiß war es doch in der Qatarra Senke, weißt Du noch?“ wechseln zwischen den alten Männern. Ohne sich zu kennen umarmen sie sich herzlich. Und immer wieder kommt die Frage: „Warum nur so viele Tote?“

Das war auch das zentrale Thema von Monsignore Schroedel. In seiner Ansprache auf dem deutschen Friedhof vermittelt er, wie sehr es ihn ergriff, als er vor Jahren seine Mutter durch den Kreuzgang des burgartigen Gruftbaus geführt hatte. 4 285 deutsche Soldaten und 30 Gefallene unbekannter Nationalität ruhen dort. Sie las all die Namen auf den Metalltafeln und fragte unter Tränen immer wieder: „Warum?“

Die Frage wurde ihr nie beantwortet. Doch zeigt sich im gemeinsamen Gedenken der ehemaligen Gegner, dass Lernen aus den Schrecken des großen Krieges möglich ist. Dass wir seit fast siebzig Jahren in Europa in Frieden leben dürfen, liegt wesentlich daran, dass die Europäer nach zwei Weltkriegen gemeinsam auf den Frieden achten. So tun es auch die Soldaten der aus dem Gedanken der Versöhnung bewusst geschaffenen Deutsch-Französischen Brigade täglich zu Hause und im Einsatz für den Frieden. Aus diesem symbolträchtigen Verband sind heute junge Offiziere abgeordnet, um die Ehrenwache an den Gräbern der Kriegstoten zu stellen. Dies ist kein rückwärts gerichtetes Ritual. Im Totengedenken wird dann auch der gefallenen Soldaten der Bundeswehr und der Toten der anderen Einsatzkräfte der heutigen Zeit gedacht.

Der Verband Deutsches Afrikakorps, ein Zusammenschluss alter Afrikaner und ihnen Nahestehender, engagiert sich auch in der Versöhnungs- und Friedensarbeit. Auch sie gedenken heute und hier der Toten. Sie überzeugen sich vom guten Zustand des Friedhofes. Die Mittel in vierstelliger Höhe, die der Verband jährlich zur Unterstützung der Arbeit des Volksbundes aufwendet, werden gut eingesetzt.

Viele der anwesenden Gäste, unter ihnen auch der neuseeländische Verteidigungsminister Jonathan Coleman, verharren nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung auf ihren Plätzen. Sie gedenken ihrer Toten, als ein Fallschirmjägerreserveoffizier auf seiner Mundharmonika das Lied vom Guten Kameraden spielt.

Immer wieder einmal gibt es Fragen, warum die deutsche Kriegsgräberstätte El Alamein eine solche „Totenburg“ sei. Eine Antwort gibt der wohltuende Schatten ... während die Gluthitze bei der internationalen Gedenkveranstaltung auf dem Commonwealth-Friedhof die Besucher sehr belastet. Es folgen Gedenkzeremonien an den Gräbern der italienischen, griechischen und französischen Kriegstoten. Danach besuchen die Teilnehmer wechselseitig die Friedhöfe der jeweils anderen Nationen. So kommen auch Busse mit Neuseeländern und Australiern und eine Gruppe griechischer Pfadfinder zum deutschen Friedhof, als gerade die amerikanische Botschafterin eine Führung durch den deutschen Botschafter und einen Volksbundmitarbeiter erhält.

Die Beduinenfamilie El Wa`ier heißt alle Gäste herzlich willkommen. Sie empfindet es als große Ehre, dass alle Besucher  sich über den gepflegten Zustand des Friedhofes freuen, den sie im Auftrag des Volksbundes seit Generationen in ihrer Obhut halten. Zum Dank für den Schutz des Friedhofes wurde das Familienoberhaupt und ein Nachtwächter, die kürzlich einen Diebstahl verhinderten, mit der Ehrennadel des Volksbundes ausgezeichnet.

Der von den Gedenkveranstaltungen ausgehende Wunsch nach Frieden wurde einzig durch eine Demonstration von Beduinen getrübt. Sie riefen vor der Commonwealth-Gedenkstätte mit Plakaten zur Entminung ihrer Ländereien auf. Der Boden ist nach nun inzwischen sieben Dekaden durch zum Teil noch immer intakte Minen des Zweiten Weltkrieges verseucht – eine reale Gefahr für Leib und Leben der Hirten und ihrer Tiere. „Kann denn dieses Problem nicht endlich gelöst werden?“ fragt Dorothea Heiser?

Es ist ihr ein Herzenswunsch. Sie hofft, dass sich endlich Menschen finden mögen, die dem berechtigten Wunsch der am Krieg in ihrem Land ja nun wirklich unschuldigen Beduinen mehr Nachdruck verleihen. Schon damals wurden durch den Krieg so viele bleibende Lücken gerissen, so viel überdauerndes Leid erzeugt. „Das muss doch endlich aufhören!“ sagt die Angehörige: „Die Minen müssen weg, damit nicht noch mehr Väter und Großväter und leider auch immer wieder Kinder sterben!“