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Ausstellung „gute und wichtige Botschaft für Gegenwart und Zukunft“

Karlsruhe – Craonne: Gespräch mit dem Kurator und Historiker Dr. Rainer Brüning

Dr. Rainer Brüning, gebürtiger Hamburger und promovierter Historiker, arbeitet seit fast 25 Jahren im Generallandesarchiv Karlsruhe. Er kuratierte die vom Volksbund geförderte Ausstellung zum Winterbergtunnel, die am 18. Mai 2022 in Karlsruhe eröffnet wurde. Diane Tempel-Bornett traf ihn  Anfang April in Craonne im Norden Frankreichs bei der Suche nach dem Tunnel.
 

Herr Dr. Brüning, es gibt hier in Ostfrankreich zahlreiche Tunnel aus dem Ersten Weltkrieg. Was hat Sie bewegt, diesem einen Tunnel eine ganze Ausstellung zu widmen?

Da muss ich gleich eine Erläuterung vorausschicken: Wir haben im Generallandesarchiv sehr umfangreiche und wichtige Unterlagen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, darunter auch viele Dokumente zu den Kämpfen am Chemin des Dames. Als ich Ende 2020 in der Zeitung und im Internet davon erfuhr, dass der Tunneleingang wiederentdeckt worden sei und möglicherweise auch geöffnet werden sollte, wurde ich sofort aufmerksam. Und als ich dann noch vom badischen Reserve-Infanterie-Regiment 111 las, dachte ich gleich: „Das ist doch unser Regiment!“
 

Wie ging es dann weiter?

Das Landesarchiv Baden-Württemberg befand, dass dieses Thema unbedingt wissenschaftlich aufbereitet werden muss – und dass dazu eine deutsch-französische Wanderausstellung entwickelt werden sollte. Wir knüpfen damit an eine sehr erfolgreiche Vorgängerin an: Unsere deutsch-französische Ausstellung „Menschen im Krieg am Oberrhein 1914 - 1918“ lief über vier Jahre lang und wurde von mehr als 75.000 Menschen besucht.
 

Wissenschaftliche Aufbereitung und Wanderausstellung – wie muss ich mir das vorstellen?

Die Ausstellung selbst ist natürlich aus den Originalquellen heraus wissenschaftlich erarbeitet. Sie wird ergänzt durch pädagogisches Begleitmaterial und Vorträge bekannter Historikerinnen und Historiker. Hinzu kommt eine Datenbank mit den Biografien von 320 Soldaten, die mit den Geschehnissen am 4. Mai 1917 verbunden waren. Die Ausstellung reist nach der Eröffnung auch durch Frankreich, Deutschland und Belgien. Sie können sie auch im Internet unter „LEO BW“ anschauen.
 

Wie lange dauerten die Recherchen?

Das war zwar sehr aufwändig, ging aber diesmal doch relativ schnell:  Ein gutes Jahr haben mein Team und ich daran gearbeitet, wurden dann jedoch durch Corona etwas ausgebremst.
 

Dann hatten Sie eine gute Quellenlage?

Ja, unsere Quellen sind sehr aussagekräftig. Es gibt Akten, Fotos, Karten und Pläne. Die wichtigste Quelle sind dabei die Kriegsstammrollen mit den einzelnen Biografien der Soldaten. Hinzu kommen hochinteressante Dokumente wie Briefe und Tagebücher von den Toten und den Geretteten. Außerdem stellten die französische Forstbehörde und der Volksbund freundlicherweise Originalexponate vom Fundort zur Verfügung – beispielsweise einen Helm und ein Bajonett, vor allem aber den Soldatenmantel mit den Abzeichen des RIR 111 als zentrales Beweisstück.
 

Wie muss man sich eine Kriegsstammrolle vorstellen? 

Ursprünglich war es tatsächlich eine Rolle, aber seit dem 19. Jahrhundert ist es ein Buch, in dem Namen und militärischer Werdegang eines Soldaten eingetragen wurden. Wichtig zu wissen ist, dass bei den militärischen Angaben in den Akten immer nur die einsatzbereiten Soldaten gezählt wurden. Wenn jemand ausfiel – ganz egal, ob krank oder tot, vermisst oder gefangengenommen – wurde er nicht mehr gezählt. Der Grund war egal, wichtig war nur die Kampffähigkeit. Ein Soldat muss kämpfen können, sonst zählt er nicht mehr – im doppelten Wortsinn.
 

Wie haben Sie die Ausstellung aufgebaut?

Sie beginnt mit einer Vorstellung des Generallandesarchivs, Informationen über den Ersten Weltkrieg und das Reserve-Infanterie-Regiment 111. Im zweiten Teil werden die Ereignisse am Winterbergtunnel gezeigt: Am 4. Mai 1917 wurden nach einem französischen Artillerieangriff zahlreiche badische Soldaten verschüttet. Wir gehen von 100 bis 150 Menschen aus. Wir schätzen, dass ungefähr 70 oder mehr im Tunnel blieben und die anderen möglicherweise auch in der Nähe des Tunnels ihr Leben verloren. Die Quellenlage ist hier sehr schwierig – letzte Gewissheit könnte da nur die Öffnung des Tunnels bringen.

Der dritte Teil der Ausstellung erzählt dann von den Toten und der Suche nach ihnen. Sie endet mit der ersten Erkundungsgrabung im April 2021. Die zehn Stationen der Ausstellung sind baulich jeweils einem Tunneleingang nachempfunden.
 

Jetzt waren Sie das erste Mal direkt dort und standen vor dem – zumindest vermuteten – Tunneleingang. Wie fühlte sich das für Sie an?

Es war sehr beeindruckend für mich, die Gegend einmal mit eigenen Augen zu sehen. Ich kannte den Ort nur durch Karten, Fotos und Beschreibungen sowie natürlich auch Google. Aber wirklich am authentischen Ort zu sein, der noch heute die Narben des Krieges zeigt – das ist nochmal etwas ganz anderes. Es zeigt mir wieder, wie wichtig die Arbeit des Volksbundes gerade hier ist.
 

Wir hätten es uns vor Anfang 2022 nicht vorstellen können oder wollen, aber nun haben wir einen Krieg in Europa. Warum ist eine Ausstellung über einen Krieg, der mehr als 100 Jahre her ist, wichtig?

Die Ausstellung ist notwendig, da sie hilft, zu rekonstruieren, was damals tatsächlich geschehen ist. Mit der Datenbank können wir Angehörigen Gewissheit über das Schicksal der Soldaten geben. Vor allem die jüngeren Besucher lernen, wie das Grauen des Krieges ausgesehen hat – und immer noch aussieht. Letztendlich ist die Ausstellung ein Symbol der deutsch-französischen Freundschaft. Sie ist eine gute und wichtige Botschaft für die Gegenwart und auch die Zukunft, denn sie zeigt ja zugleich, was sich aus einer alten Feindschaft entwickeln kann.

Herr Brüning, wir danken für dieses Gespräch.
 

Einen Bericht zur Eröffnung der Ausstellung finden Sie hier:
„Ausstellung in Karlsruhe eröffnet: 'Der Tod im Winterberg-Tunnel'“
 

Foto Konferenz Winterberg