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Ein Tag wie kein anderer

50 Jahre Kriegsgräberstätte Andilly

Hartmut Teuffel ist einer von den Guten. Als er vor 55 Jahren das erste Mal mit seiner Pfadfindergruppe nach Frankreich reist, hat er dennoch böse Vorahnungen: Wie würde der ehemalige Feind reagieren? Schließlich bestehen die guten Taten seiner Pfadfinder-Gruppe vornehmlich darin, hier in Frankreich die deutschen Toten des Zweiten Weltkrieges zu suchen. Doch was er findet, sind nicht nur die Gebeine der Verstorbenen, sondern auch die Freundschaft der Franzosen. Daran erinnern er und über 600 weitere Gäste am 8. September 2012 anlässlich des 50-jährigen Bestehens der deutschen Kriegsgräberstätte im französischen Andilly (Departement Meurthe-et-Moselle).

Über 33 000 deutsche Soldaten ruhen hier – und eine Frau: Klara Engl. Wer mehr über sie erfahren möchte, fragt den Volksbund-Mitarbeiter Frank Salomon. Direkt vor dem kunstvollen Eingangsgebäude der Kriegsgräberstätte Andilly hat er seinen Infostand aufgebaut. Den besucht auch die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Petra Merkel. Neben dem deutschen Verteidigungsattaché Brigadegeneral Werner Weisenburger und dem eingangs erwähnten Hartmut Teuffel ist sie eine der Hauptrednerinnen in Andilly. Über den Eintrag im Namenbuch am Volksbund-Informationsstand erkundigt sich Petra Merkel, wo genau das Grab von Clara Engl liegt. Später sieht man sie im Block 14, Reihe 9 am Grab 671 eine stille Andacht halten. Es ist ein stellvertretendes Innehalten für alle, die hier vom Volksbund würdig bestattet wurden.

Für die Kameraden

Ganz ähnlich geht auch Dr. Carl Maier vor. Der 90-Jährige hält eine lange Liste mit Namen in seinen Händen. Sie alle waren seine Kameraden. Auch sein Vorgesetzter, Hauptmann Reinhold Vogt, ist hier begraben. Nachdem einer seiner Unteroffiziere völlig zu unrecht durch ein deutsches Standgericht verurteilt und dann erschossen wurde, suchte auch der im Zivilberuf als Pfarrer tätige Kompanieführer den Tod. „Ohne jegliche Deckung lief er in den gegnerischen Kugelhagel. Er hatte die Geschehnisse nicht verkraftet. Sie alle haben ein tragisches Ende gefunden“, sagt Carl Maier. Später hat er dessen Witwe häufig besucht, bekam sogar zeitweise einen Schlafplatz auf dem Sofa im Wohnzimmer, als der damals mittellose Student noch nicht einmal eine Bude hatte. Heute steht er während der offiziellen Gedenkreden in Andilly abseits der Besucherbänke über Stunden allein im gleißenden Sonnenlicht. Der 90-Jährige ist der letzte Überlebende seiner Einheit. Einsam nimmt er Abschied von seinen guten Kameraden. Zuvor sorgt er dafür, dass an jedem einzelnen ihrer Gräber ein Blumenstrauß steht.

Unglaublich schön

Für die vielen Unbekannten, an deren Gräbern sonst nie Blumen niedergelegt werden, sorgt dagegen der Volksbund mit einer Neuauflage seiner bekannten Blumenaktion. Die kommt bei den Besuchern der Gedenkveranstaltung ebenso gut an, wie die gesamte Arbeit des Volksbundes: „Was der Volksbund mit den Spendengeldern macht, ist wirklich enorm und sehr anerkennenswert. Das muss man wirklich mal sagen“, meint auch Günther Holzenkämpfer. Er ist mit seinem Enkel Florian angereist und besucht das Grab seines Bruders Benno. Er selbst hatte Glück – könnte man fast sagen. Das Schicksal wollte es so, dass er als 16-Jähriger ohne direkten Kriegseinsatz „lediglich“ in französische Kriegsgefangenschaft geriet. Das Fatale dabei war, dass seine Mutter ein Jahr lang nichts davon wusste, ihn womöglich für sogar tot hielt. Zudem war der Vater einen Tag vor Kriegsende durch einen Bombenangriff ums Leben gekommen. Wie die Familie dies alles bewältigt hat, ist kaum zu begreifen. Dann aber wurde Günther Holzenkämpfer entlassen und machte sich auf den Heimweg. Als er dann in die Küche der Mutter trat, hatte diese gerade ihren Kopf für einige Minuten Erholung im Unterarm vergraben. Als sie Geräusche vernahm, blickte sie leicht verschlafen auf und konnte ihren Augen kaum glauben. Der Sohn war endlich wieder zuhause! Was sich dabei in den Herzen dieser Familie ereignete, ist wahrscheinlich ebenfalls nicht zu beschreiben. „Es war einfach nur unglaublich schön“, sagt Günther Holzenkämpfer in Andilly.

Glücklicherweise werden die meisten der jungen französischen und deutschen Soldaten, die heute ebenfalls auf der Kriegsgräberstätte sind, solche Erfahrungen kaum verarbeiten müssen. Sie sind Vertreter des heutigen, des friedlichen Europas und der deutsch-französischen Freundschaft. Dies zeigen schon die beiden Ehrenzüge der 3. Kompanie des Jägerbataillons 291 aus Illkirch und des französischen Train-Regimentes 516 aus Toul, die hier Seite an Seite stehen. Musikalisch unterstützt wird der Volksbund zudem zum wiederholten Male vom Männergesangverein Leichlingen-Oberschmitte. Zuvor hatten die Soldaten des Nachschubbataillons 462 aus Diez in einem freiwilligen Arbeitseinsatz ganze Arbeit geleistet. In wochenlanger Fleißarbeit hatten sie den Rasen gemäht und zahllose Kreuze geschrubbt sowie deren Inschriften leserlich nachgezeichnet. Für viele Angehörige war dies besonders wichtig und ein bedeutendes Zeichen der Ehrerbietung.

Der goldene Ring

Das Grab von Heinrich Schlagheck profitiert ebenfalls von der Pflege durch die fleißigen Helfer in Uniform. Das registriert seine gesamte Familie. Denn neben den Kindern Monika (heute: Ordensschwester Bonifatie) und Mechthild samt Schwiegersohn Günther ist auch dessen Ehefrau Maria angereist. Die 92-Jährige war gemeinsam mit Tochter Mechthild schon bei der Einweihung vor 50 Jahren dabei. „Damals waren mehrere tausend Angehörige hier, die mit der Bahn, Bussen und zahllosen Autos angereist sind. Ich bin froh, dass ich auch heute noch einmal hier sein darf“, sagt Maria Schlagheck und betrachtet liebevoll den Ehering an ihrer Hand. Der gehörte eigentlich ihrem Mann und wurde ihr damals von der Deutschen Dienststelle in Berlin übergeben. Den Ehering ihres Mannes trägt sie seither anstelle ihres eigenen. So ist ihr verstorbener Mann immer bei ihr.

Auch Karl Mohr ist jemand, der immer für andere da ist. Der ehemalige Jugendreferent und spätere Bezirksgeschäftsführer aus Karlsruhe organisiert bereits seit über 30 Jahren zahlreiche Angehörigenreisen. Andilly liegt ihm dabei besonders am Herzen. Das wissen auch seine Mitreisenden, die sich Jahr für Jahr auf die Reisen mit Karl Mohr freuen. Eine seiner treuesten Begleiterinnen ist Thusnelde Rupp. „Wir haben Herrn Mohr sehr viel zu verdanken“, sagt die 94-Jährige, die zugleich die älteste Teilnehmerin ist. Auch Volksbund-Präsident Reinhard Führer lobt den Ehrenamtler: „Engagierte Menschen wie Karl Mohr und seine Reiseteilnehmer sind das Kernstück unserer Gedenkveranstaltungen. Durch ihre Besuche gewinnen die Kriegsgräberstätten an Bedeutung und werden so zu wichtigen Orten der Erinnerung und Mahnung.“

Am Ende dieses bewegenden Tages hat sich der Volksbund-Beauftragte für Frankreich, Julien Hauser, noch etwas ganz Besonderes ausgedacht. In monatelanger Vorbereitung organisiert er in Metz ein gut besuchtes Benefizkonzert mit dem Luftwaffenmusikkorps II der Bundeswehr aus Karlsruhe und dem Musikkorps der französischen Marineinfanterie aus Versailles, die zuvor schon auf der Kriegsgräberstätte Andilly eine Kost- oder besser Hörprobe ihres Könnens gegeben haben. In der imposanten Kirche Sainte-Thérèse-de-l'Enfant-Jésus lauscht neben dem Volksbund-Präsidenten Reinhard Führer, der Bundestagsabgeordneten Petra Merkel und Konsul Hubertus Legge ein bunt gemischtes deutsch-französisches Publikum den meisterhaft vorgetragenen Musikstücken von Bach bis Wagner. Musik verbindet Freunde wie kaum ein anderes Medium über alle Grenzen hinweg. So endet dieser bewegende Tag, der wohl allen Beteiligten wie kein anderer in Erinnerung bleiben wird.

Maurice Bonkat