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Greife nach jedem Strohhalm

Gunther Emmerlich spricht über den Tod seines Vaters

Herr Emmerlich, Sie sind bekannt aus Film, Funk, Fernsehen – und jetzt auch als Autor? Dem ersten Teil Ihrer Biografie, „Ich wollte mich mal aussprechen lassen“, folgt nun die „Zugabe“. Wechseln Sie nun von der Stimmgabel zum Dichterstift?

Emmerlich: Sicherlich nicht! (lacht) Es ist eine zusätzliche Beschäftigung, die mir quasi zugefallen ist. Einige Verlage meinten, dass ich doch zu dieser Generation gehöre, die eine ganze Menge erlebt habe. Noch im Gott sei Dank zusammenbrechenden Faschismus geboren, dann die Nachkriegszeit mehr oder weniger bewusst als Kind erlebt, dann die DDR, dann die Wende und bis zum heutigen Tage beruflich immer noch aktiv und immer noch da. Da gibt es schon eine Menge zu erzählen.

Ich selbst sehe mich auch als ein Geschichtenerzähler. Demzufolge war es für mich interessant, mal nachzudenken, wie weit die Erinnerung eigentlich zurückgeht. Und dann habe ich einfach angefangen, alles aufzuschreiben. So habe ich auch festgestellt, dass mir das Formulieren ungeheuer viel Freude bereitet. Das ist ja auch ein Teil meines Berufes als Moderator. Das ist aber die flüchtige Formulierung. Die Formulierung auf einem weißen Blatt Papier geht natürlich noch ein bisschen weiter. Da kann man ein bisschen länger nachdenken, da muss man sich nicht auf die fixe Intelligenz verlassen, sondern man kann ein bisschen tiefer gehen. Das ist jetzt eine neue Beschäftigung geworden, das Schreiben. Es gehört jetzt zu meinem Leben dazu. Dabei  ist es nicht so, dass ich jetzt etwas anderes mache als vorher. Denn das Publikum hat bei mir die berechtigte Hoffnung, dass ich im Rahmen der Lesungen auch etwas singe. Für mich ist es einfach spannend, ein paar Musikstücke herauszusuchen, die wirklich etwas mit den Geschichten zu tun haben. Ich mache das mit dem Dresden Swing-Quintett, aber auch ganz allein mit der Gitarre oder mit einem Pianisten. Das alles macht mir ungeheuer viel Spaß.

 

In ihrer Biografie wird ein besonderer Glaskrug erwähnt. Vor uns liegen zugleich ein paar Feldpostbriefe. Beides steht im Zusammenhang mit Ihrem Vater, der im Zweiten Weltkrieg verstorben ist. Wie war das für Sie, als so genanntes Kriegskind ohne Vater aufwachsen zu müssen? 

Emmerlich: Also, das ist für mich tatsächlich ein Thema, das mich schon mein ganzes Leben begleitet. Bis zum heutigen Tage weiß ich nicht genau, wo er nun eigentlich zu Tode gekommen ist. Und schon damals ist kaum ein Tag vergangen, an dem nicht über den Vater gesprochen wurde. Vor allem meine Mutter hat Zeit ihres Lebens die Hoffnung auf seine immer unwahrscheinlicher werdende Rückkehr gepflegt. Sie hat unter der Abwesenheit ihres Mannes, meines Vaters, so gelitten, dass sich dies letztlich auch auf ihre Gesundheit ausgewirkt hat. Man sagt, dass viele Krankheiten von der verletzten Seele herrühren. Wenn die Seele krank ist, kann der gesamte Mensch nicht gesund sein. Ich denke, das ist bei meiner Mutter ähnlich gewesen. Aus medizinischer Sicht starb sie an den Folgen der Multiplen Sklerose, aber ich denke, die Krankheit ist über die Seele gekommen.

Als Kind habe ich erlebt, dass einige Väter meiner Freunde tatsächlich zurückgekommen sind. Darüber habe ich mich immer sehr gefreut und dabei natürlich auch an meinen Vater gedacht. Das hat die Hoffnung wieder genährt, für lange, lange Zeit. Im Laufe der Jahrzehnte wird diese Hoffnung dann aber immer schwächer – bis sie irgendwann ganz ausbleibt.

 

In Ihrem zweiten Buch berichten Sie von einem gemeinsamen Besuch mit Ihrer Mutter in Hamburg. Dieser hatte auch etwas mit Hoffnung zu tun, Hoffnung darauf, dass Ihre Suche irgendwann erfolgreich sein könnte – oder zumindest Gewissheit über das Schicksal des Vaters brächte. Die Suche hält, wenn man Ihr Buch aufmerksam liest, bis heute an. Warum ist das so, dass man sich so schwer von dieser Suche, von dieser Hoffnung trennen kann?

Emmerlich: Die Hoffnung, dass er noch leben könnte, habe ich natürlich nicht mehr. Aber es gibt die Hoffnung, den Ort zu finden, wo er in diesem mörderischen Krieg ums Leben gekommen ist. Und da sind wir noch nicht allzu weit gekommen. Meine Mutter ist über den Suchdienst des Nordwestdeutschen Rundfunks damals auf diesen Kriegskameraden gestoßen, auf Herrn Lüstenöder in der Hamburger Tarpenbekstraße. Da hat es dann erst einen längeren Briefwechsel gegeben und irgendwann hat die Familie Lüstenöder meine Mutter eingeladen. Ich bin dann, das war Mitte der 50er Jahre, mitgefahren nach Hamburg und war dabei, als man die Gespräche führte über meinen Vater, über seinen Verbleib. Besonders beeindruckend war das unmittelbare Erleben durch den Bericht des Kriegskameraden. Er war an der Seite meines Vaters, als sie während eines Feuerüberfalls von einer Brücke sprangen. Herrn Lüstenöder hat das Schicksal oder auch nur der Fluss in die eigenen Reihen treiben lassen. Mein Vater aber wurde nie wieder gesehen. An der Stelle bin ich eigentlich bis zum heutigen Tage und greife nach jedem Strohhalm, indem ich mir historische Dokumentationen ansehe und denke, irgendwo sehe ich ihn vielleicht. Das würde mich zwar auch nicht weiterbringen in der Suche, aber man ist ansonsten ja beinah hilflos. So ist es gut, dass es den Volksbund gibt, wo man weiß, da sind Menschen dabei, akribisch zu suchen und vielleicht doch noch festzustellen, wo mein Vater ums Leben gekommen ist.

 

Die Chance ist leider nicht groß, aber dennoch gegeben, dass jemand noch gefunden wird, der schon über sechs Jahrzehnte verschollen ist. Es kann aber auch sein, dass wir ihn bereits gefunden und als Unbekannten bestattet haben. Angenommen, Sie stehen eines Tages auf einer Kriegsgräberstätte vor dem Grab Ihres Vaters. Welche Gedanken oder vielleicht auch Musikstücke kämen Ihnen da in den Sinn?

Emmerlich: Ich denke, ich würde ihm in der Hoffnung auf seine überirdische Anwesenheit einfach alles erzählen. Das habe ich aber auch so schon oft getan, ohne den Ort zu kennen. Man muss mit dem Vater gelegentlich reden, auch wenn er nicht da ist. Kennt man jedoch den Ort seiner letzten Ruhestätte, würde dieses Gespräch eine weitere Dimension bekommen. Das können, glaube ich, viele Menschen meiner Generation verstehen. Was die Musik anbelangt: Er ist mehr Sportler als Musiker gewesen. Bei mir ist es genau umgekehrt. Ich weiß aus einem Feldpostbrief, dass mein Vater einen Schlager der damaligen Zeit gern gehört hat, den auch die Soldaten an der Front vorgespielt bekamen: „Sing Nachtigall sing!“  Das ist ein Lied von Michael Jary, gesungen von Evelyn Künneke. Sie war ganz jung, ich glaube erst 19 Jahre, als sie das Lied sang. „Sing, Nachtigall sing, ein Lied aus alten Zeiten ... und bring mir mein Glück zurück.“ (singt und lacht dabei)

 

Dankeschön, Herr Emmerlich. Ich finde, dieses Lied ist ein schöner Schlussakkord für unser Gespräch.

 

Das Interview führte Volksbund-Redakteur Maurice Bonkat.