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Ich bin Ihnen allen so dankbar

ITS übergibt Füllfederhalter aus Konzentrationslager

Noch 67 Jahre nach Kriegsende gibt es in Europa Menschen, die im Ungewissen leben. Denn das Schicksal vieler NS- und Kriegsopfer ist bis heute ungeklärt. Neben dem Volksbund gibt es zahlreiche Institutionen, die dabei helfen wollen. Dazu zählen auch der Internationale Suchdienst (International Tracing Service – ITS) aus Bad Arolsen und die Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte in Salzgitter. Diesen beiden Organisationen gelang es nun, den Füllfederhalter des Konzentrationslager-Insassen Franciscus Broothaers zu übergeben. Es war ein ergreifender Moment für alle Beteiligten. Der Volksbund startet mit diesem Bericht eine Serie über die Suchdienste in Deutschland, die Menschen wie dem Angehörigen Willy Huybrechts einen wichtigen Dienst leisten: Sie geben ihnen Gewissheit – und die Möglichkeit, zumindest etwas Licht der Hoffnung in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte zu bringen.

Alles begann vor über 70 Jahren. Zunächst waren die beiden Onkel und der Großvater von Dr. Willy Huybrechts schon 1941 als freiwillige Arbeitskräfte nach Deutschland gegangen, da es in ihrem Heimatort etwa 15 Kilometer südlich von Antwerpen keine Möglichkeit gab, die Familie ausreichend zu versorgen. Im September 1944 wurden sie dann festgenommen und in das KZ Sachsenhausen deportiert. Wahrscheinlich war es reine Willkür, welche sie dem ebenso ausgeklügelten wie grausamen Konzentrationslager- und Zwangsarbeitersystem der Nationalsozialisten zuführte. So wurden auch Willy Huybrechts Verwandte ungewollt ein Teil der berüchtigten Herrmann-Göring-Werke.

Völlig entkräftet

Vom KZ Sachsenhausen gelangten die beiden Onkel über das KZ Neuengamme schließlich in das zugehörige Außenlager KZ Watenstedt/Leinde und mussten in den Stahlwerken Braunschweig Schwerstarbeit leisten. Von dort kehrte nur ein Onkel völlig entkräftet zurück. Am Ende wog er nur noch 33 Kilogramm. Aufgrund der Folgen der schweren Zwangsarbeit und Inhaftierung lebte er nur noch wenige Jahre. Er starb zwei Monate vor der Geburt seines Neffen, der bis heute versucht, das Schicksal seiner Familie zu klären.

Die Gebeine seines Onkels Franciscus wurden damals auf dem bezeichnenden Friedhof „Jammertal“ beerdigt und auch von den nationalsozialistischen Behörden verzeichnet. Davon wusste Willy Huybrechts nichts. Doch in den 80er-Jahren bemühten sich engagierte Bürger aus Salzgitter, das dunkele Erbe der Konzentrationslager und ihrer Opfer vor Ort aufzuarbeiten. Aus dem 1983 gemeinsam mit dem Betriebsrat der bis heute bestehenden Stahlwerke gegründeten Arbeitskreis entstand 1994 schließlich eine Gedenk- und Dokumentationsstätte.

Dessen Leiterin Elke Zacharias bemühte sich fortan um die Schicksalsklärung der Insassen. Zudem sorgte sie im Verbund mit dem Betriebsrat dafür, dass die Namen der Opfer in würdigen Gedenkbüchern aus hochwertigem Metall für die Nachwelt erhalten blieben. Neben zahlreicher Aufgaben der pädagogischen Geschichtsvermittlung betreibt sie aber dank der Unterstützung der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten auch wichtige Forschungsarbeit. Hier kommt der Internationale Suchdienst (ITS) ins Spiel.

Ein glücklicher Zufall

Als Elke Zacharias und ihre Mitarbeiterin Maike Weth Anfang Mai in den umfangreichen Archiven der in Bad Arolsen beheimateten ITS forschen, ereignet sich ein bemerkenswerter und zugleich glücklicher Zufall. Denn in diesem Moment erreicht sie über ihren mitgebrachten Laptop eine E-Mail des Angehörigen Willy Huybrecht aus Belgien. „Ich hatte nur wenig Anhaltspunkte“, sagt er heute. „Neben den Fotos aus dem Schlafzimmer meiner inzwischen verstorbenen Mutter gab es nur eine Todesmeldung der belgischen Administration und einen Rückumschlag aus dem KZ Sachsenhausen, auf dem es hieß, dass mein Großvater jetzt in Neuengamme sei. So nahm ich schließlich Kontakt mit der Gedenkstätte KZ Drütte auf. Was daraus letztlich werden würde, hätte ich nie zu hoffen gewagt“, erinnert er sich heute.

2900 Effekten vorhanden

Als Elke Zacharias seine Mail liest, gibt sie sofort die Daten seiner Verwandten in das System des ITS ein – mit Erfolg. Es gibt zahlreiche Informationen, Dokumente und sogar eine so genannte Effektentüte. Die Effekten sind Gegenstände, welche den KZ-Insassen bei ihrer Inhaftierung abgenommen und verwahrt wurden. „Etwa 2900 sind bis heute erhalten“, sagt Manfred Kesting vom ITS. Er ist Abteilungsleiter für Auswertung und Dokumentation, also Experte für die Unterlagen, welche die Schicksale der Opfer des Nationalsozialismus festhalten. Und heute sitzt er in den hellen Räumen der Gedenkstätte KZ Drütte an der Seite von Willy Huybrecht. Es ist ein beeindruckender, ein ergreifender Moment, als er die über viele Jahrzehnte aufbewahrten historischen Papiere vor ihm ausbreitet: Häftlingsnummer, Lagerlisten, Todesursache, Bestattungsliste und vieles mehr sind bis heute erhalten geblieben. Huybrechts muss schlucken. Man merkt ihm an, dass er versucht, seine Gefühle zu ordnen. Es fällt ihm sichtlich schwer.

Schon am Morgen hatte er gemeinsam mit Elke Zacharias das Grab seines Onkels auf dem Friedhof „Jammertal“ besucht. „Von dort hätte die belgische Regierung bereits in der damaligen Aktion von 1954 die Gebeine seines Onkels wie so viele andere exhumieren und nach Belgien überführen sollen. Doch irgendwie ist sein Grab übersehen worden. Hier ist wohl ein tragischer Fehler unterlaufen“, sagt die Gedenkstättenleiterin. Doch so konnte Willy Huybrecht an diesem Morgen an dem ursprünglichen Grab Blumen niederlegen. Jetzt bekommt er von Manfred Kesting neben den Kopien sämtlicher Dokumente auch ein unendlich wertvolles Erinnerungsstück. Es ist der Füllfederhalter seines Onkels Franciscus. „Ich kann es gar nicht fassen, dass er über so viele Jahre erhalten blieb. Das alles ist so unglaublich. Es zugleich erschreckend und beeindruckend. Ich bin ihnen allen so unendlich dankbar, was sie für mich getan haben!“, sagt Willy Huybrechts.

In den Broschüren des ITS, deren 30 Millionen Dokumente und 50 Millionen Hinweiskarten umfassende Namenkartei zum Schicksal von 17,5 Millionen Menschen für Forschung und Angehörige zur Verfügung stehen, liest man einen bemerkenswerten Satz: „Wenn die Zeitzeugen eines Tages verschwunden sein werden, sind es die Dokumente, die über das Schicksal der Opfer des nationalsozialistischen Schreckensherrschaft Auskunft geben müssen.“ Dies konnte man am Beispiel von Willy Huybrecht in Salzgitter konkret erleben – und vor allem in besonderer Weise mitfühlen.

Maurice Bonkat

 

KONTAKTE:

Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte

Arbeitskreis Stadtgeschichte e.V.
Wehrstraße 29
Medienzentrum
38226 Salzgitter(-Lebenstedt)
Tel.: 05341/4 45 81
Fax: 05341/17 92 13

E-Mail: info@gedenkstaette-salzgitter.de
Ansprechpartnerin: Elke Zacharias

 

Internationaler Suchdienst - ITS

(International Tracing Service)

Große Allee 5 - 9
34454 Bad Arolsen
Tel.: 05691 629-0
Fax: 05691 629-501

E-Mail Adressen: email@its-arolsen.org
Pressestelle: communications@its-arolsen.org  

Ansprechpartnerin: Kathrin Flor