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Mahnmale einer leidvollen Zeit

An den Flüchtlingsgräbern in Dänemark

Fotostrecke mit 36 Aufnahmen am Ende des Textes

Eine Frau um die fünfzig sitzt auf einer Bank an den Gräbern der deutschen Flüchtlinge und Soldaten in Kopenhagen und genießt die Wärme der Augustsonne. Sie ist fast nackt und bietet in der Hitze auch ihren entblößten Busen den kraftvollen Strahlen dar. Vor ihr stehen die Grabkreuze in Reih und Glied. Als wären die Toten angetreten zum ewig andauernden Appell. Zugegeben: Wir sind irritiert. Aber das legt sich. Wir werden uns in den nächsten Tagen noch an die unverkrampfte dänische Friedhofskultur gewöhnen.

"Der Friedhof ist für die Lebenden da", heißt es auf der Internetseite dieser Nekropole. Mit 54 Hektar ist der Westfriedhof in Kopenhagen, der "Vestre Kirkegård", Dänemarks - wahrscheinlich Skandinaviens - größtes Gräberfeld. 1870 wurden hier die ersten Toten begraben. Heute sind es weit über eine Million, darunter viele prominente Dänen.

Kopenhagen Westfriedhof

Es ist ein beeindruckender, erhabener Ort, großzügig gestaltet und sorgsam gepflegt, ein kulturhistorisch und ökologisch bedeutsamer Park für die Menschen in dieser Großstadt. Und sie machen Gebrauch davon.

Wir sehen nicht nur Angehörige bei der Grabpflege, wir sehen auch Spaziergänger in den gepflegten Alleen mit dem alten Baumbestand, Müßiggänger, Jogger und Fahrradfahrer, die eine Abkürzung auf ihrem Weg durch die Stadt nehmen, und andere, die ohne besonderes Ziel durch den Park radeln. Wir sehen Menschen im Gespräch, die hier verabredet sind oder sich zufällig treffen, und es ist erlaubt, mit dem Auto zu den Gräbern zu fahren.

Der Tod ist hier nicht verdrängt und ausgesperrt, der Lebensrhythmus der Hauptstadt, so scheint es, schwappt bis an die Gräber heran.

Nur ein Drahtzaun trennt die deutschen Gräber im südwestlichen Winkel des Parks vom verkehrsreichen Sjælør Boulevard mit seinen Wohnblocks. Sprayer haben an der Seitenwand des Grabfeldes zwei Graffitis hinterlassen. Sie schmücken eher die kahle Klinkermauer, als dass sie die Besucher ärgern.

5 344 deutsche Flüchtlinge und 4 643 Soldaten sind hier begraben. Name, Geburts- und Sterbedatum, das sind die kargen Angaben, die jeweils eine einzelne Biografie und eine individuelle Tragödie andeuten. Wir wählen willkürlich ein Grabkreuz aus:

Gerd Hohmann 26.2.1944-13.4.1945

Norbert Storbeck 12.2.1883-11.4.1945

Kristiane Weiss 18.3.1944-14.4.1945

Inge Loppnow 30.3.1943-13.4.1945

Siegfried Pasch 17.1.1945-12.4.1945

Gerd wurde kaum 14 Monate alt, Norbert starb mit 62 Jahren, Kristiane war fast 13 Monate alt, Inge knapp über zwei Jahre, Siegfried hat die Flucht als Säugling überlebt und starb noch nicht einmal drei Monate alt. An fünf Menschen erinnert der Grabstein, die innerhalb von vier Tagen starben.

Auf einem anderen Stein lesen wir die Namen von nur zwei Verstorbenen:

Anna Schuhr 11.1.1862-11.5.1945

Anna Bäcker 21.3.1864-9.5.1945

Beide Frauen sind über 80 geworden, haben im Greisenalter die Strapazen der Flucht über die Ostsee überstanden, aber dann reichte wohl die Kraft nicht mehr.

Auf einem weiteren Stein stehen nur zwei Nachnamen:

Wendzich 30.10.1945-30.10.1945

Rohmann 12.11.1945-12.11.1945

Auf einem anderen sind fünf Kinder erwähnt, darunter

Ingrid Koch 4.2.1940-29.4.1945

Jürgen Koch 16.5.1941-29.4.1945

Waren es Geschwister, fünf und fast vier Jahre alt, die am gleichen Tag starben?

So geht es weiter, fast 10 000 Namen allein in Kopenhagen West. Es gelingt nicht, unsere Empfindungen angesichts solcher Schicksale zu beschreiben. Diese Wortlosigkeit wird uns in den nächsten Tagen immer wieder aufs Neue befallen.

Die großartige Parklandschaft und der lebensbejahende Umgang der Dänen mit den Gräbern haben etwas Tröstendes. Aber das kann unsere Fragen und unsere stille Empörung nicht verdrängen.

Grabsteine erzählen keine Geschichten. Sie sind nur Wegweiser zu den Tragödien einer Vergangenheit, die uns immer mehr entgleitet. Wenigstens hindern sie die Nachgeborenen am Vergessen.

7 000 deutsche Kinder und 10 000 erwachsene Flüchtlinge sind zwischen 1945 und 1949 in Dänemark gestorben. Etwa 2 000 Tote wurden nach Deutschland überführt. 15 000 sind auf den deutschen Kriegsgräberstätten in Dänemark bestattet.

Evakuierung über die Ostsee

Im Januar 1945, als Millionen Menschen aus den östlichen Reichgebieten vor den heranrückenden sowjetischen Truppen nach Westen flohen, zog die deutsche Kriegsmarine fast 800 Kriegs- und Handelsschiffe zu einer großen Evakuierungsaktion in der Ostsee zusammen. Sie brachten 1,5 Millionen Zivilisten und eine halbe Million Soldaten nach Schleswig-Holstein und ab Februar auf höchsten Befehl aus Berlin auch ins besetzte Dänemark.

Fast täglich legten Schiffe mit verwundeten Soldaten und Flüchtlingen aus Pommern, Danzig, West- und Ostpreußen in den dänischen Häfen an. In etwa 240 000 meist kranke und traumatisierte Flüchtlinge, vornehmlich Frauen, Kinder und alte Menschen, suchten binnen drei Monaten Zuflucht in dem kleinen Land. Dort war jedoch niemand auf diesen Ansturm vorbereitet.

Die deutschen Besatzungsbehörden requirierten kurzerhand Hotels, Sportanlagen, Schulen oder Lagerhallen zur Unterbringung der unerwarteten Ankömmlinge. Es entstanden aber bereits auch einige große Lager, zum Beispiel in Grove und Oksbøl, die von der Wehrmacht bewacht wurden.

Nach der Kapitulation am 5. Mai rückten die deutschen Truppen ab. Die Flüchtlinge jedoch mussten bleiben, weil die britischen Besatzungsbehörden in Norddeutschland nicht bereit und wohl auch nicht in der Lage waren, sie aufzunehmen.

1 100 Lager

Die überforderten dänischen Verwaltungen brachten die "ungeladenen Gäste" in 1 100 oftmals nur provisorischen Lagern unter. Später wurden sie unter strenger Bewachung in großen Camps interniert. Viele starben an Erschöpfung und Krankheiten. Einige wenige durften schon im Sommer 1945 nach Deutschland ausreisen, die letzten verließen Dänemark erst im Februar 1949.

Die Ernährung und medizinische Versorgung der zusätzlichen Ausländer war eine Aufgabe, die das Land kaum bewältigen konnte. Hinzu kommt, dass die dänische Bevölkerung die Unterdrückung während der fünf Jahre deutscher Besatzung und ihre getöteten Landsleute nicht vergessen hatte. Der Wunsch nach Vergeltung stand dem Mitgefühl im Weg.

Zeitzeugen berichten von Mangelernährung, von katastrophalen Lebensbedingungen in den Massenquartieren, Schikanen und Ärzten, die sich weigerten, den Kranken zu helfen oder die nur die nötigste Behandlung einleiteten. Andere berichten über Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft. Sie erzählen von Wachposten, Krankenpflegern und Bauern, die den Internierten heimlich Brot oder Kartoffeln zusteckten. Trotz Kontaktverbotes entwickelten sich vereinzelt Freundschaften und sogar Liebesbeziehungen zwischen Einheimischen und Deutschen. Eheschließungen unterdrückten die Behörden jedoch in den meisten Fällen.

Karl-Georg Mix, der als Kind drei Jahre in Dänemark interniert war, hat 2005 das Standardwerk zum Thema vorgelegt. Er hat unzählige Dokumente, Briefe und Berichte ausgewertet und vermittelt ein facettenreiches Bild vom Leben in den Lagern. Es gab Hunger, Kälte, Krankheiten und Kindersterben, aber es gab auch Kultur, Kunst, Schule, Sport, und kirchliches Leben.

Viele Jahre war das Leben und Sterben der deutschen Flüchtlinge hinter Stacheldraht ein Thema, über das in der dänischen Öffentlichkeit kaum gesprochen wurde. Ende der 1990er Jahre entwickelte sich jedoch eine heftige Debatte über die Haltung der dänischen Ärzte und deren Berufsverband. Die Kritiker warfen ihnen eine Mitschuld an der hohen Sterblichkeitsrate vor.

Kopenhagen Bispebjerg

Auch der große Friedhof im Kopenhagener Stadtteil Bispebjerg ist ein stattlicher, weitläufiger Park. Er ist rund 10 Hektar kleiner als der Westfriedhof, wurde 1903 begonnen und von Edvard Glæsel (1858-1915), dem bedeutendsten dänischen Landschaftsarchitekten seiner Zeit, entworfen. Glæsel hatte auch auf dem Westfriedhof gearbeitet.

Hier wie dort treffen wir die gleiche Freizügigkeit an. Sonnenhungrige räkeln sich im Gras, junge Mütter amüsieren sich mit ihren Kleinkindern beim unbekümmerten Picknick im Grünen, während sich wenige Meter entfernt eine Handvoll Menschen zur Urnenbeisetzung trifft.

Unweit der südlichen Kapelle sind die deutschen Kriegstoten begraben, 594 Flüchtlinge, gestorben und eingeäschert 1945, und - ganz in der Nähe der berühmten Kirschenallee - 370 Soldaten. Ihre Todesdaten liegen zwischen 1942 und 1944. Mehrere sind am 21.April 1943 gestorben. Aber wir finden nicht heraus, was an diesem Tag geschehen ist.

Ganz in der Nähe treffen wir auf weitere Kriegsgräber des Zweiten Weltkrieges: Ein Feld mit den Gräbern dänischer Freiheitskämpfer, Soldaten und Polizisten, die im Widerstand gegen die deutschen Besatzer getötet wurden, ein britisches Gräberfeld mit Toten der Royal Air Force, einige sind erst nach 1945 ums Leben gekommen, sowie ein Denkmal zur Erinnerung an sowjetische Gefallene. Es wurde erst 1990 errichtet.

Anhand dieser Grabfelder im südwestlichen Teil des Bispebjerger Friedhofes ließe sich die Geschichte des Zeiten Weltkrieges in Dänemark erzählen. Doch die Vergangenheit erschließt sich den Besuchern nicht. Es fehlt an Erläuterungen. Aber ein Friedhof ist kein Museum.

Aalborg

Eine kleinere Variante der großzügigen Totenparks finden wir weit im Norden Jütlands auf dem Südfriedhof in Aalborg. Auch hier rollen wir mit dem Auto durch eine perfekt gepflegte Anlage zu den Gräbern der Deutschen. Ein über fünf Meter hohes Bronzekreuz über den Gräbern der 254 Soldaten und 1 096 Flüchtlingen verrät die Handschrift der Volksbundarchitekten.

Wieder fallen uns die Todesdaten der Kinder auf. Viele sind nur wenige Tage oder einige Monate alt geworden, gestorben 1946 und 1947, Kleinkinder, die erst nach dem Krieg im Lager geboren wurden. Entbehrungen, Infektionen und Verletzungen während der Flucht können nicht die Ursachen für ihren Tod gewesen sein.

Zwar gab es in vielen Lagern Krankenreviere oder Krankenhäuser mit dänischen und deutschen Fachärzten. Doch die Mangelversorgung und die schlechten Lagerverhältnisse beförderten die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten wie Typhus, Diphterie und Tuberkulose. Kleinkinder und Alte waren die ersten Opfer.

Gedhus

Der Friedhof des einstigen Lagers in Gedhus ist ein abgeschiedener Ort am Rand eines Waldgebietes südlich der Gemeinde Kølvrå. Es ist die erste separate, durch den Volksbund gestaltete Anlage, die wir auf unserer Rundreise besuchen.

In den 1960er Jahren hat der Umbettungsdienst des Volksbundes begonnen, die deutschen Kriegstoten in Dänemark, die an 475 Orten begraben waren, zusammenzulegen. Seither sind es 34 Kriegsgräberstätten, drei eigenständige Anlagen sowie mehrere Gräberfelder auf 31 kommunalen oder kirchlichen Friedhöfen. 10 250 deutsche Soldaten und 14 900 Flüchtlinge sind dort begraben, darunter mehr als 7 000 Kinder. Die Gräber werden im Auftrag des Volksbundes von Firmen und Friedhofsverwaltungen gepflegt.

Regelmäßig unterstützen Jugendliche in Workcamps und Bundeswehrsoldaten oder Reservisten in Arbeitseinsätzen den Volksbund bei der Erhaltung der Gräberstätten.

Auch der Lagerfriedhof von Gedhus, ist damals vergrößert worden. Hier ruhen 148 Soldaten und 1 185 Flüchtlinge. Jahrzehntealte Eichen beschatten ihre Gräber. Es sind erneut die späten Todesdaten, 1947 und 1948, die ein Gefühl von Trauer und Empörung in uns wecken.

Im Eingangsgebäude liegt ein Besucherbuch aus. Neben den wenigen Deutschen haben sich in der Mehrzahl Dänen eingetragen, aber wir lesen auch, dass Besucher aus Belgien und den Niederlanden hier waren.

"Die ersten zwei Jahre habe ich im Lager gelebt, heute besuche ich das Grab meiner Großmutter", lautet eine Notiz von 2015. Eine andere von 2014: "Das erste Mal begegne ich heute meiner Schwester. Sie starb mit vier Monaten und wäre heute 69 Jahre alt."

Grove Kirke

Über den "Natovej" fahren wir nach Grove. Die Straße führt am Flughafen der Stadt Karup entlang. Von hier starteten ab Sommer 1940 deutsche Abfangjäger Richtung England. Während des Kalten Krieges überwachte von hier aus ein NATO-Kommando den Ostseeraum und Norddeutschland.

In idyllischer Umgebung abseits im Wald, neben der Kirche und dem Gemeindefriedhof liegt die deutsche Kriegsgräberstätte. Die 153 Soldaten- und 964 Flüchtlingsgräber sind mit Heidekraut bepflanzt.

"Unsere Mutter und Großmutter haben im Flüchtlingslager Grove überlebt", ist im Besucherbuch zu lesen, "beide sind nach Argentinien gezogen. 2014 besuchten wir drei Geschwister mit unserer 84jährigen Großmutter diese Gedenkstätte. Die weite Reise aus Argentinien war es wert." Die alte Dame ist offensichtlich nach Dänemark gereist, um nochmals einen Ort aufzusuchen, an den sie doch eigentlich nur bittere Erinnerungen haben konnte. Doch davon wissen wir nichts.

An anderer Stelle lesen wir den Bericht einer Frau, die ebenfalls in Grove interniert war und deren Eltern dort 1945 und 1947 starben: "Es war für uns Kinder sehr hart, die Eltern in fremder Erde zurückzulassen, doch heute ist es für uns ein Trost, dass sie auf so gepflegten Friedhöfen ruhen und wir jedes Jahr die Gräber besuchen können." Die Eltern waren wohl schon schwer krank gewesen, bevor sie ins Lager kamen. Ihre Zeit war wahrscheinlich ohnehin gekommen. Aber auch darüber wissen wir nichts.

Die Toten entziehen sich uns. Soviel wir auch über sie in Erfahrung bringen können, es bleibt immer nur eine äußerst oberflächliche Annäherung.

Oksbøl

Die Kriegsgräberstätte in Oksbøl, einer Gemeinde, die zur Kommune Varde gehört, ist der bekannteste deutsche Friedhof in Dänemark. Nicht wegen der Zahl der Gräber - 121 Soldaten, 1 675 Zivilisten -, sondern wegen des einstigen Lagers direkt neben dem Friedhof. Es war das größte Camp Dänemarks und hatte die Ausmaße einer Kleinstadt.

Fast 36 000 Flüchtlinge lebten 1946 hier. Es gab solide Holzbaracken, eine Selbstverwaltung mit Bürgermeister, Magistrat, Stadtrat und Gerichtsbarkeit, Schul- und Arbeitspflicht, zwei Krankenhäuser, ein Theater, Sport- und Bildungseinrichtungen. Und es gab genug zu essen. Die Tagesrationen lagen 1945 höher als in den Besatzungszonen der Alliierten in Deutschland.

Einige Gebäude und das über sechs Kilometer lange Wegenetz sind bis heute erhalten. Eines der beiden einstigen Krankenhäuser wurde bis 2013 als Jugendherberge genutzt.

Auf dem Gelände will der Museumsverbund Varde ein Flüchtlingsmuseum errichten. Ziel der Projektverantwortlichen ist es, dieses Kapitel der dänisch-deutschen Geschichte stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Die Zeit sei reif dafür, gerade angesichts der heutigen Flüchtlingskrise.

Im Februar informierte sich Volksbund-Präsident Markus Meckel vor Ort über die ehrgeizigen Pläne und sicherte finanzielle Hilfe des Volksbundes in Höhe von 50 000 Euro zu, gleichsam eine Anschubfinanzierung.

Pädagogische Ressource

"Ich freue mich, dass das Museumskonzept vorsieht, den Friedhof thematisch zu integrieren", sagte Meckel. "Der Friedhof wird als wesentliche pädagogische Ressource begriffen. Die Kriegsgräberstätte könnte durch das Museum zu einem exponierten Ort der Bildungsarbeit des Volksbundes weiterentwickelt werden."

Im Juni wird voraussichtlich Königin Margrethe II das entstehende Museum und den Friedhof besichtigen.

Jugendarbeit

Die Gräber in Oksbøl sind auch Ausgangspunkt einer anderen Geschichte. 1952, nur wenige Jahre nach Auflösung des Lagers kam erstmals eine Gruppe Jugendlicher aus Deutschland hierher und bat die Stadtverwaltung um Erlaubnis, die Gräber der Flüchtlinge zu pflegen. Sie stießen auf Argwohn und Unverständnis. Doch niemand schickte sie weg.

Es waren Mitglieder der "Deutschen Jugend des Ostens" aus Kamen, einer Organisation der Landsmannschaft Ostpreußens. Sie kamen bis in die 1980er Jahre immer wieder, ersetzten die Blechnummern auf den Gräbern durch Holzkreuze und brachen das emotionale Eis zwischen Dänen und Deutschen. Auch in Grove und Gedhus arbeiteten sie.

1969 begann der Volksbund, dauerhafte Grabzeichen aus Granit auf den Friedhöfen errichten zu lassen.

Besonders enge Beziehungen zu seinen dänischen Nachbarn pflegt der Volksbund-Landesverband Schleswig-Holstein. Seit Jahren organisiert er Workcamps an den deutschen Gräbern und bietet zum Beispiel Tagesfahrten für Schulklassen nach Oksbøl an.

Esbjerg

Auf dem städtischen Friedhof im Esbjerger Stadtteil Fovrfeld sind die Flüchtlingsgräber ausnahmsweise in der Minderzahl, 151 gegenüber 1 150 Gräbern deutscher Soldaten.

Rote Geranien wachsen zwischen den Granitkreuzen. Es ist ein farbenfroher Anblick, der den Besuchern Trost spenden mag. Nebenan sind über zweihundert Angehörige der britischen Luftwaffe begraben, junge Männer aus Großbritannien, Canada, Australien und Neuseeland, einer aus Polen. Eine große Gedenkwand nennt die Namen der Esbjerger Toten des Zweiten Weltkrieges.

Wir nehmen an einer Gedenkstunde zur Erinnerung an das Schicksal der deutschen Flüchtlinge teil, 70 Jahre danach, im August 2015. Eine Reisegruppe aus Schleswig-Holstein bildet die Mehrheit der Teilnehmer. Vorgetragen wird auch das Gedicht "O Erde Dänemarks" von Agnes Miegel (1879-1964). Es ist dem Sterben der Flüchtlingskinder gewidmet. Die wegen ihrer Nähe zu den Nationalsozialisten umstrittene Autorin aus Königsberg schrieb diese Verse im Lager Oksbøl, wo sie bis 1946 interniert war.

Alle Redner ziehen Parallelen zu den aktuellen Flüchtlingsströmen nach Europa. Einen Monat später haben bereits über 3 000 Asylsuchende die dänische Grenze erreicht. Die Regierung setzt auf Abschreckung und lässt vorrübergehend keine Flüchtlinge ins Land. Aber fast alle wollen weiter nach Norden, nach Schweden und Finnland.

Fritz Kirchmeier

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Quellen:
Arne Gammelgaard, Ungeladene Gäste. Ostdeutsche Flüchtlinge in Dänemark 1945-1949, Leer 1985

Kindheit hinter Stacheldraht. Warum starben deutsche Kinder in dänischen Lagern? ZDF-History, 19.4.2009

Karl-Georg Mix, Deutsche Flüchtlinge in Dänemark 1945-1949, Stuttgart 2005

Jochen Rudolphsen, "Warum sind Sie überhaupt geflüchtet?" Evangelische Zeitung 14/2016, Seite 18

Kriegsgräberfürsorge, Mitteilungsblatt des Volksbundes: Beiträge in den Ausgaben 8/1949, 2/1963, 9/1965, 10/1967, 3/1969, 7/1969, 8/1969, 1/1971, 6/1972, 4/1977

Stimme & Weg, Mitteilungsblatt des Volksbundes, 3/1983, 1/1985, 3/1987

frieden, Mitteilungsblatt des Volksbundes, 2/2015