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Mehr Menschlichkeit

Dr. Theo Zwanziger beim Volkstrauertag in Koblenz

Der kleine Theo hatte große Sorgen. So wie viele Kinder der Kriegsgeneration durfte er seinen Vater nie kennen lernen. Er war einer von hunderttausenden Halbwaisen. „Das war eine schwere Zeit, besonders für meine Mutter,“ sagt Theo heute. Es war eine Zeit, in der zugleich die Hoffnung auf eine bessere, eine friedliche Zukunft, aus den Trümmern der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte erwachsen sollte. Ein wahrhaft großer, ein schöner Traum. 

Auch Theo und seine Freunde, von denen so viele liebe Angehörige verloren hatten, lebten einen Traum, wenn sie die selbst gebastelten Bälle über die Wiesen in Altendiez kickten. Diese Jungs wünschten sich nichts weniger als ein Wunder. Und das gab es dann auch – 1954 in Bern. Es gibt viele Menschen, die sagen, dass dies der eigentliche, der emotionale Gründungsakt der Bundesrepublik war. 

Theo und seine Freunde dachten damals nur an den Ball. Und der landete bekanntlich beim Finalspiel gegen Ungarn gleich dreimal im Netz, das damals noch aus Hanf und nicht wie heute aus Synthetikfaser bestand. „Natürlich wollten wir alle sein wie Helmut Rahn, Fritz Walter oder die unglaublichen Ungarn Puskás und Hidegkuti. Wir wollten auch etwas leisten, entwickelten den Ehrgeiz, der nicht nur im Sport große Dinge vollbringen kann,“ sagt Theo. Inzwischen ist er erwachsen, sogar grau geworden. Vor seinem Namen findet sich nun ein Doktortitel und eine Berufsbezeichnung, die ihn als organisatorisches Oberhaupt von über sechs Millionen Fußballern ausweist: DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger. 

An diesem ungewöhnlich warmen Novembertag erzählt Dr. Theo Zwanziger auf Einladung des Volksbund-Landesvorsitzenden Michael Hörter in der Koblenzer St. Kastor Basilika seine persönliche Geschichte, die so viele andere Menschen seiner Generation ganz ähnlich erlebt haben. Es ist Volkstrauertag. Den hat Zwanziger auch schon als kleines Kind erlebt. Damals versammelten sich viele Menschen, in der Mehrzahl schwarz gekleidete Frauen, um auf dem Friedhof gemeinsam der Gefallenen zu gedenken. Dabei dachte der Junge aus Altendiez an seinen ihm unbekannten Vater. „Heute ist der Volkstrauertag wichtiger denn je. Er vermittelt den Menschen, wie wichtig es ist, sich für mehr Menschlichkeit und gegen Fremdenfeindlichkeit zu engagieren,“ sagt Zwanziger über fünf Jahrzehnte später zu den Gästen in der Koblenzer Basilika. Das alles hat ihn sehr geprägt, hat dafür gesorgt, dass er sich um andere Menschen kümmert, Gutes tun will. Für sein soziales Engagement ist er mehrfach ausgezeichnet worden. 

Zugleich haben er, der DFB und zahllose Ehrenamtliche in den Vereinen dafür gesorgt, dass der Fußballsport mehr ist als Körperertüchtigung, sondern ein gesellschaftliches Bindeglied, ein Ort der Verständigung und der Begegnung. Nur ein Beispiel von vielen ist der Julius-Hirsch-Preis des DFB. Er wird für besondere Leistungen bei der Integration etwa von Migranten verliehen. „Hirsch war ein äußerst erfolgreicher und beliebter Nationalspieler. Doch mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde er als jüdischer Mitbürger plötzlich von einem Tag auf den anderen ausgegrenzt - und schließlich ermordet. So etwas darf nie wieder passieren,“ sagt Zwanziger. 

Zudem hat sich der DFB ernsthaft mit der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt. In der Studie „Fußball unterm Hakenkreuz“ wird dies deutlich: „Nach intensiven Gesprächen mit der Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau, dem Zentralrat der Juden in Deutschland und nicht zuletzt der Familie Hirsch wurde uns klar, dass wir nun die Lehre aus der Geschichte des DFB ziehen und in konkretes Handeln umsetzen mussten. Ende 2005 wurde die Idee Wirklichkeit und der Julius-Hirsch-Preis in Leipzig erstmals verliehen.“ 

Auch der Volksbund unterstützt einige Bundesliga-Vereine bei der Aufarbeitung der Vergangenheit, hilft bei der Schicksalsklärung früherer Spieler. Für Theo Zwanziger hat die Arbeit des Volksbundes aber auch eine ganz persönliche Bedeutung. „Als meine Mutter wenige Jahre vor ihrem Tod vom Volksbund unaufgefordert eine Nachricht über den Zustand des Grabes meines Vaters bei Fürstenwalde erhielt, hat sie das sehr beruhigt. Dafür bin ich dem Volksbund sehr dankbar,“ sagt Dr. Theo Zwanziger. Der kleine Junge vom Altendiezer Sportplatz hat viel erreicht – für den Sport und die Menschlichkeit. 

 

Maurice Bonkat