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Reise in die russische Hauptstadt der Arktis

Von Moskau bis Palermo – Volksbund in aller Welt: Hermann Krause berichtet aus Murmansk

Zweieinhalb Stunden dauert der Flug von Moskau nach Murmansk. Im Winter liegen die Temperaturen auch schon mal bei minus 40 Grad. Der Sommer ist kurz und oftmals auch kühl-verregnet. Doch das Wetter spielte mit beim dreitätigen Besuch von Hermann Krause, Leiter des Volksbund-Büros in Moskau. Angenehme 22 Grad, was für den hohen Norden Russlands eine Seltenheit ist. Hier sein Bericht in der Reihe „Von Moskau nach Palermo – Volksbund in aller Welt“:

„Warum gibt es in Murmansk nicht diese schönen, typischen alten russischen Holzhäuser?“, frage ich Nadesha Rafikowa, die Leiterin des deutsch-russischen Begegnungszentrums in Murmansk. Als Antwort führt sie mich am Rande des Hafens zu einer großen Tafel mit Schwarz-Weiß-Fotos. Darauf zu sehen: Ruinen, ausgebrannte Häuser. Rafikowa: „Nach Wolgograd wurde keine Stadt in der Sowjetunion so heftig bombardiert wie Murmansk.“
 

Bombenlast von rund 200.000 Tonnen

Sie war ein einziges Trümmerfeld. Tausende Zivilisten kamen ums Leben. Die Nationalsozialisten zerstörten Murmansk mit ihrer Luftwaffe fast völlig. Zwischen 1941 und 1943 wurde eine Bombenlast von rund 200.000 Tonnen abgeworfen. Dutzende Denkmäler – wir schaffen es nicht, bei der Besichtigung der Stadt alle zu besuchen – zeugen von den schweren Kämpfen, die über drei Jahre andauerten. Am Ende gelang es der deutschen Wehrmacht und ihren Verbündeten nicht, die strategisch wichtige Hafenstadt zu erobern. Der Angriff blieb rund 60 Kilometer vor der Stadt in einer hügeligen Moor- und Tundra-Landschaft stecken.

Von  Murmansk aus fahren wir am nächsten Tag gemeinsam mit einem Bus Richtung Norden – nach Petschenga, wo die deutsche Kriegsgräberstätte liegt. Mit dabei junge Leute, die von ihren Eltern oder Großeltern viele Erzählungen über den Krieg gehört haben. Er ist auch noch in der zweiten und dritten Generation präsent. Die meisten der Studentinnen und Studenten waren noch nicht hier draußen. Auch sie sind erstaunt über die vielen Mahnmale, Gedenksteine, Kreuze, die sich rechts und links der Straße finden. Ich als Deutscher unter den Mitreisenden, von denen fast alle Verluste in ihren Familien erlitten  haben – für sie ist das kein Problem.
 

Im „Tal des Ruhmes“

In der „Schlucht des Todes“, die jetzt „Tal des Ruhmes“ genannt wird, lagen sich Sowjetsoldaten und ihre Angreifer monatelang gegenüber. Ein erbitterter Stellungskrieg. Es ist Pflicht, hier auszusteigen und Blumen an der nicht enden wollenden schwarzen Marmortafel mit den unzähligen Namen der Gefallenen niederzulegen. Auch hier wird mir der Schrecken des Krieges im hohen Norden bewusst.

Während sonst überall die Wehrmacht 1941 vordrang und sich die Front immer weiter Richtung Osten verlagerte, konnten die sowjetischen Stellungen auf der Kola-Halbinsel nicht überrollt werden. Der harte Winter, der fehlende Nachschub und das schwierige Gelände machten ein weiteres Vordringen unmöglich. Die sowjetischen Soldaten – viele von ihnen gerade 18 Jahre alt geworden – leisteten erbitterten Widerstand. Viele zahlten mit ihrem Leben.
 

Die Natur hat ihre Unschuld verloren

Wir fahren durch eine  friedliche Landschaft, aber man hat das Gefühl, dass hier Schreckliches passiert ist. Die Natur hat irgendwie ihre Unschuld verloren. Noch immer sind in den Wäldern sterbliche Überreste sowjetischer, deutscher oder österreichischer Soldaten zu finden sowie Munition, die auch 76 Jahre nach Kriegsende noch gefährlich ist.

Und das Militär ist hier oben mit zahlreichen Kasernen nach wie vor präsent. Auf der Straße begegnen uns Panzerkolonnen, in weiter Ferne wird ein Manöver abgehalten, Schüsse sind zu hören. Die Kriegsgräberstätte Petschenga liegt so nah an der finnischen Grenze – in einem militärischen Sperrgebiet –, dass man stets vorher eine Erlaubnis zum Besuch einholen muss.
 

Kooperation mit Schwarzem Kreuz

Es ist der nördlichste Friedhof, den der Volksbund in Russland angelegt hat. Im August 2000, nach schwierigen Verhandlungen mit den örtlichen Behörden, gelang dies auch in Zusammenarbeit mit dem Schwarzen Kreuz Österreichs. Ich bin zum zweiten Mal hier und auch wieder angetan von der Einzigartigkeit dieses Friedhofs. Gleich am Eingang, auf der linken Seite, haben die Österreicher eine eindrucksvolle Gedenkstätte errichtet. Ein großes Kreuz, das durch einen schön geformten Steintorbogen hindurch dem Besucher sofort auffällt. Sehr würdig und geschmackvoll, auch die jungen Leute sind beeindruckt.

Hier erinnert Österreich an den Tod von 12.000 Soldaten – die meisten von ihnen junge Gebirgsjäger –, die in den hohen Norden abkommandiert worden waren. Edelweißsoldaten. Für 2022 plant das Schwarze Kreuz zusammen mit dem Volksbund die Beisetzung von mehr als 80 Gefallenen. Sie  wurden in den vergangenen Monaten exhumiert, auch Erkennungsmarken fanden die Umbetter. 
 

Besuch stärkt Basis für Zusammenarbeit 

Um dafür die Situation vor Ort zu erkunden, war ich auch auf Einladung des erwähnten Begegnungszentrums Murmansk in den hohen Norden gereist. Mithilfe von Sergey Gonscherow, dem Vertreter  der örtlichen russischen Geographischen Gesellschaft – die der Arbeit des Volksbundes sehr zugetan ist –, gelang es auch, Kontakte zum Chef der Verwaltung des Gebietes Petschenga aufzubauen.

Vor drei Jahren war der Versuch einer Beisetzung auf dem Friedhof gescheitert. Das Innenministerium und der FSB – der Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation – hatten einer Beerdigung nicht zugestimmt. Umso hoffnungsvoller gestaltet sich jetzt eben durch einen erneuten Besuch die Zusammenarbeit. Persönliche Kontakte stehen in Russland immer an erster Stelle.
 

Friedhof ausgezeichnet gepflegt

Der Friedhof am Eismeer  ist in einem ausgezeichneten Zustand. Das überrascht die mitgereisten russischen Studenteninnen und Studenten genauso wie die übrigen russischen Gäste, die nach und nach dazustießen. An diesem Tag kommen auch russische Besucher vorbei. Touristen, die den Norden erkunden, machen gerne einen Abstecher nach Petschenga. Die gesamte Fläche des Friedhofs, immerhin 7,6 Hektar, macht einen äußerst gepflegten Eindruck.

Blumen werden von unserer Gruppe zuerst am sowjetischen Ehrenmal niedergelegt, das sich eindrucksvoll in den gesamten Friedhof einfügt, dann an der österreichischen Anlage. Anschließend gehen wir gemeinsam zum Hochkreuz, das der Volksbund stets auf seinen Friedhöfen errichtet, um der gefallenen deutschen Soldaten zu gedenken. Beim Lesen der Namen auf den vielen große Steinblöcke sind die jungen Leute schockiert, als sie sehen, dass die meisten nicht älter waren, als sie selbst heute sind.
 

Interesse an intensiver Freundschaft

Im  deutsch-russischen Begegnungszentrum hatte ich am Vortag die Möglichkeit, die Studenteninnen und Studenten sowie Nadeschda Rafikowa über die Arbeit des Volksbundes zu informieren. In der Diskussion ging es auch um die Frage, wie Deutschland zur Zeit auf Russland schaut. Bei dem gesamten Besuch mit seinen vielen Begegnungen kristallisierte sich eines heraus: Die russischen Menschen sind nach wie vor an einer intensiven Freundschaft mit Deutschland interessiert. Mich, der ich seit vielen Jahren in Russland lebe, freut das besonders. Die Verstimmungen in der aktuellen Politik spielen bei der positiven Grundeinstellung der beiden Völker zueinander so gut wie keine Rolle.  

Text: Hermann Krause
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