Schweigeminute am Sarg des gefallenen sowjetischen Soldaten Anton Georgewitsch Trifonenkow (© Volksbund)
Übergabe von Gebeinen bei St. Petersburg
Bewegende Momente deutsch-russischer Verbundenheit
Auf den Sinjawino-Höhen, wo während der deutschen Belagerung im Zweiten Weltkrieg erbitterte Kämpfe stattfanden, erlebten nun Russen und Deutsche bewegende Momente. Übergeben wurden der russischen Seite die sterblichen Überreste eines jungen Rotarmisten, den die Suchmannschaft des Volksbundes gefunden hatte. Die russische Suchgruppe „Heiliger Georgi“ wiederum übergab wenig später dem Volksbund die Gebeine von fünf deutschen Soldaten auf der benachbarten Kriegsgräberstätte Sologubowka.
In der Nacht war das Thermometer auf minus 27 Grad gefallen, am Vormittag waren es dann immer noch 18 Grad minus. Die Zeremonie fand vor den berühmten sowjetischen Ehrendenkmälern auf den Sinjawino-Höhen statt, rund 40 Kilometer vor Petersburg. Tausende russische und deutsche Soldaten kämpften und starben hier. Heute ist es eine Gedenkstätte mit einer friedlichen Atmosphäre, die den Besucher ergriffen macht. Der hohe Schnee, das Weiß auf den Tannen, auf den vielen Kreuzen und Grabsteinen unterstreicht die Stille dieses Ortes. Auf einem Tisch im Schnee, sorgfältig aufgestellt, der rote Sarg mit den sterblichen Überresten des Unterleutnants Anton Georgewitsch Trifonenkow. Geboren 1905, gestorben vermutlich 1943.
Ein junger Rotarmist
Nach der Niederlegung eines Kranzes vor dem sowjetischen Ehrenmal durch den Luftwaffenattaché der Deutschen Botschaft Moskau, Oberst i.G. Sven Hilgefort, richteten sich alle Blicke auf den Sarg und das davor aufgestellte Foto des jungen Mannes. Gefunden wurde der Rotarmist durch eine Art Verwechslung. So hatte sich eine ältere Russin im Sommer an den Volksbund gewandt, sie wisse genau, wo in ihrem Dorf Myschkino ein deutscher Soldat liege. An das Holzkreuz mit der Aufschrift könne sie sich erinnern. Der Gräberdienst des Volksbundes fand an der besagten Stelle stattdessen die Gebeine von Trifonenkow. Identifiziert werden konnte er, da er eine „Medaillonkapsel“ bei sich trug. Eine Plastikkapsel, in der auf einem Papierröllchen sein Name, sein Rang und sein Geburtsdatum (1905) stand.
Wichtige politische Geste
Extra angereist aus Moskau war am Abend zuvor Alla Kirillina, stellvertretende Leiterin der Verwaltung des Verteidigungsministeriums zur „Verewigung der gefallenen Vaterlandsverteidiger“. Beobachter werten dies als eine politische Geste, möglicherweise auch an die neue Bundesregierung. Mit Blick auf den kleinen Sarg sagte sie: „In Russland ist heute der Tag der Helden. Für mich ist dieser Anton Georgewitsch Trifonenkow ein Held. Er hat sein Vaterland verteidigt und dafür sein Leben gelassen. Wir werden ihn nie vergessen. Dass er heute gewürdigt wird, dass man sich seiner erinnert, dies verdanken wir unseren Freunden beim Volksbund.“
Dann leitete Luftwaffenattaché Sven Hilgefort die feierliche Übergabe ein. Es bewege ihn persönlich sehr, dass er heute, 80 Jahre nach Kriegsende, die sterblichen Überreste eines russischen Soldaten übergeben könne. „Ich hoffe, dass die Verwandten des erst jetzt gefundenen Soldaten in absehbarer Zeit ermittelt werden können“, so Hilgefort. Im Internet und auch im Russischen Zentralen Militärarchiv wird bereits geforscht, auch glaubt man, durch Aufrufe im Fernsehen und in der Presse Hinterbliebene zu finden.
Die Suchgruppe „Avantgarde“
Entgegengenommen wurde der Sarg von dem Leiter der russischen Suchgruppe „Avantgarde“, der in wenigen Worten das traurige Schicksal des Anton Trifonenkow schilderte. Eigentlich sei Trifonenkow kein regulärer Soldat gewesen, sondern wurde von den Kirowsk-Werken, wo er arbeitete, zur freiwilligen Volksverteidigung eingezogen. Seine Frau, so viel ist bekannt, wurde evakuiert, mehr weiß man nicht über sie. Das gemeinsame Kind starb offenbar an Hunger und Kälte mit nur zwei Jahren während der Blockade. Der Bruder kam bei einem Angriff der Deutschen ums Leben, allerdings hatte er Kinder, die man nun versucht zu finden.
Gesäumt wurde der Weg hoch zu der Gedenkstätte von jungen Freiwilligen, auch waren Soldaten des 90. Suchbataillons anwesend. Sie standen Spalier, als der Sarg in einer feierlichen Zeremonie zum Fahrzeug der Suchorganisation „Avantgarde“ getragen wurde. Beigesetzt wird der Soldat, dessen Todesdatum nicht bekannt ist, vermutlich im Mai auf dem Friedhof seines Heimatdorfes Myschkino. Ergreifend war auch die Zeremonie, die der orthodoxe Priester Vater Wjatscheslaw trotz bitterer Kälte durchführte. Weihrauchschwenkend und ins Gebet vertieft, segnete er nicht nur die sterblichen Überreste des gefundenen Soldaten, sondern auch die Anwesenden, die sich nach russischem Brauch vor dem Weihrauchgefäß und Vater Wjatscheslaw verbeugten.
Schwarze Tische in Sologubowka
Die Übergabe der Gebeine der deutschen Soldaten wiederum vollzog sich dann anschließend auf dem Soldatenfriedhof Sologubowka. Die Delegation, die von dem sowjetischen Ehrendenkmal dann mit einer Wagenkolonne zur deutschen Kriegsgräberstätte fuhr, wurde dort von der russischen Suchgruppe „Heiliger Georgij“ erwartet. Auf fünf schwarz verkleideten Tischen lagen die Särge mit den sterblichen Überresten der Gefallenen. Eine Erkennungsmarke wurde bei nur einem Soldaten gefunden. Diese wurde zur Identifizierung an die entsprechende Abteilung des Volksbundes nach Kassel-Niestetal verschickt, auch hier hofft man, noch Verwandte zu finden. Als erste sprach vor den aufgestellten Särgen Ute Kaztsch-Egli, die stellvertretende Konsulin aus St. Petersburg. „Die Gräber hier in Sologubowka erinnern daran, wie die jungen deutschen Soldaten von einer Ideologie missbraucht und schließlich ins Verderben gestürzt wurden,“ sagte sie. Dies dürfe sich nie wiederholen.
Dima Romaschka aus St. Petersburg erläuterte, welche schrecklichen Kämpfe es in der Region gab und dass man immer noch deutsche wie russische Soldaten finde. Hermann Krause, Leiter des Moskauer Büros des Volksbundes, hatte vorab in seiner Rede auf den Sinjawino-Höhen erklärt, dieser Tag setze die Devise des Volksbundes „Versöhnung über den Gräben“ in die Realität um. Der Austausch sei eine starke symbolische Geste und zeige die tiefe Verbundenheit von Deutschen und Russen.
Innige Umarmungen
Dies war dann auch bei der Übergabe der fünf deutschen Soldaten durch Dima Romaschka an den Volksbund zu beobachten. Nachdem Krause und Romaschka die entsprechenden Dokumente unterzeichnet hatten, lagen sie sich in den Armen. „Dima ist in den Wochen der Vorbereitung ein echter Freund geworden“, sagte Krause, „von Anfang an haben wir einander bestens verstanden, wie es ja oft ist, auf der menschlichen Ebene zwischen Deutschen und Russen.“
Als Vertreter der evangelischen Kirche sagte der Pfarrer der Emmaus-Gemeinde Moskau, Christian Braune, es sei ein tröstlicher Gedanke, dass das Schicksal der fünf Gefundenen nicht spurlos verweht sei. „Wir wissen nichts von ihnen, ahnen nicht, wo ihr Zuhause war. Wir wissen nicht, nach wem sie gerufen haben in ihrer Todesangst, ob sie Schmerzen hatten oder ob es ein jäher Tod war. Wir wissen nur, dass sie in russischer Erde lagen und gefunden wurden.“
Die Beisetzung wird vermutlich im Frühjahr stattfinden, wenn der Boden aufgetaut und der tiefe Schnee verschwunden ist.
Text: Harald John / Hermann Krause
Auf Facebook finden Sie weitere Informationen zu einer Ausbettung von sowjetischen Soldaten in Sirgala, Estland und einer Einbettung auf dem russischen Militärfriedhof Sankt Petersburg.