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Umstrittenes Mausoleum in Chur

Debatte um ein deutsches Soldaten-Grabmal in der Schweiz

Vermoost und lange vergessen. Auf dem Friedhof der ältesten Schweizer Stadt Chur steht seit 85 Jahren ein kleines Mausoleum aus grauem Stein. Als angebliches Nazi-Denkmal ist es in die internationale Berichterstattung geraten. Dabei ist es tatsächlich ein Grabstein für tote Soldaten des Ersten Weltkrieges.

Durch die antikisierende Bauart mit angedeuteter Grabkammer und Säulen wirkt es wie aus der Zeit gefallen. Doch es ist kein Denkmal, sondern ein Grabmal. Denn darunter liegen zwölf Tote, drei Zivilisten und neun deutsche Soldaten des Ersten Weltkrieges. Ihre Namen sind eingemeißelt. Das Grabmal wirft viele Fragen auf. Ist es das einzige „Nazi-Denkmal“ in der Schweiz, wie eine Journalistin behauptet? Soll man es als Zeitdokument erhalten oder sprengen, fragt ein Schweizer Fernsehsender. Sicher ist: Es erhitzt die Gemüter.

Die Toten in Chur sind nicht die einzigen Kriegstoten, die in der Schweiz bestattet sind. Obwohl die Schweiz als neutrale Nation mit der Bundesrepublik nie ein Kriegsgräberabkommen abgeschlossen hat, sind 181 deutsche Soldaten des Ersten Weltkrieges in der Alpenrepublik bestattet: 32 in Luzern, 57 in Davos-St. Wolfgang, 80 in Genf-St.-Georges und zwölf in Chur.

 

Verwundete Soldaten wurden zur Genesung ins Hochgebirge geschickt

Als im Ersten Weltkrieg viele Schweizer Kliniken nahezu leer standen, einigten sich die Kriegsgegner, Schwerverwundete auszutauschen oder sie in der Schweiz zu versorgen. Viele Soldaten hatten durch den Gaskrieg Lungenschäden oder litten an Tuberkulose. Die Hochgebirgsluft sollte ihre Genesung unterstützen. Zwischen 1916 und 1919 wurden in Davos und Umgebung rund 2.500 Soldaten behandelt. Einige starben im Lazarett oder schon während des Transportes. Sie wurden auf dem Davoser Friedhof beigesetzt, Jahre später wurden ihre Gräber eingeebnet. Die Schweiz kennt als nichtkriegführende Nation kein ewiges Ruherecht für Kriegstote, die Ruhezeiten liegen – je nach Kanton - zwischen 15 und 25 Jahren. Nur die Soldaten, die im „Deutschen Soldaten-Kurhaus“ verstorben waren, wurden später exhumiert und auf dem am 27. Oktober 1918 eingeweihten Ehrenfriedhof St. Wolfgang umgebettet. Die Klinik ist noch heute in deutschem Besitz.

 

Zahlreiche Verbindungen zwischen Deutschland und der Schweiz

1925 wurde in Zürich die nationalkonservative und antisemitische Partei Heimatwehr gegründet. Sie plante die Erneuerung des Landes auf völkischer Grundlage. Inhaltlich stand sie den deutschen Nationalsozialisten und italienischen Faschisten nahe. Zwischen der Schweiz und dem Nachbarland Deutschland gab es politische Verbindungen.

Bereits 1926 warb der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in der Schweiz um Unterstützer. Am 1. Juli 1928 wurde der Volksbund-Landesverband Schweiz gegründet.

 

Gedenken oder nationalsozialistischer Totenkult?

Am 4. Oktober 1934 beantragte Alfred Helmrich für den Deutschen Hilfsverein im Auftrag des Volksbundes eine Konzession für ein Kriegerdenkmal in Chur. Gleichzeitig reiste Robert Tischler, Chefarchitekt des Volksbunds, durch die Schweiz. 

Auf einem anderen Friedhof sorgte ein Zwischenfall am neu benannten „Heldengedenktag“ für Unmut: Die Hakenkreuzdekoration wurde von den Kränzen gestohlen. Von nun an mussten die Kränze jedes Jahr durch die Polizei bewacht werden.  

Der Stadtpräsident von Chur bewilligte 1934 die Konzession für den Bau eines Kriegerdenkmals über 60 Jahre. Eine Skizze wurde präsentiert und genehmigt. Der Volksbund übernahm die Bauleitung:  Robert Tischler ließ das Steinmausoleum in München bauen, 1938 nach Chur bringen und dort aufstellen. Dafür zahlte der Volksbund jährlich 600 statt 900 Franken. Der Stadtpräsident war dem Wunsch nach einer 'Vergünstigung" nachgekommen. 

Am 17. Dezember 1938 wurden in einer dramatischen Inszenierung die Gebeine von 69 deutschen Soldaten – deren Gräber eingeebnet werden sollten – auf mit Fackeln erleuchteten Schiffen von Konstanz nach Meersburg überführt. Doch an der geplanten Totenburg wurde noch gebaut. Die Toten wurden in der nicht fertiggestellten Gruft beigesetzt.

 

Kriegsgefangene Weltkriegssoldaten in der Schweiz

Der Zweite Weltkrieg zog nicht spurlos an der neutralen Schweiz vorüber. Von Juni 1940 an nahm das Land ausländische Soldaten aller Kriegsparteien als Internierte auf. Soldaten aus Polen und Frankreich, notgelandete US-Piloten, Deserteure, geflohene Kriegsgefangene und ab 1944 auch mehr als 7.000 Wehrmachtssoldaten. Sie wurden auf Kriegsgefangenenlager verteilt, viele zum landwirtschaftlichen Arbeitsdienst geschickt.

Am 1. Mai 1945 verbot der Schweizer Bundesrat die NSDAP und zwölf angeschlossene Vereine – darunter den Volksbund. Das Grabmal in Chur blieb stehen. Einem Gesprächsprotokoll des Volksbundpräsidenten Otto Margraf mit der Deutschen Gesandtschaft in Bern vom 6. Mai 1954 ist zu entnehmen, dass die Deutsche Gesellschaft besonderen Wert darauflegte. Der Volksbund restaurierte das Denkmal im gleichen Jahr.  

Die Gebeine verstorbener Wehrmachtssoldaten wurden in den fünfziger Jahren auf den Soldatenfriedhof nach Kehl am Rhein überführt.

 

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs arbeitet der Volksbund in Osteuropa

1995 endete die Konzession für das Kriegerdenkmal in Chur. Der Volksbund arbeitete mit Hochdruck im Osten. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden in Osteuropa Kriegstote des Zweiten Weltkriegs geborgen, nach Möglichkeit identifiziert und auf neu angelegten Sammelfriedhöfen beigesetzt – bis heute mehr als 980.000 Menschen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn die direkten Angehörigen werden immer weniger; gleichzeitig sind Gräber von Plünderung und Überbauung bedroht.

In Chur verwittert das Kriegerdenkmal. Der Vorschlag des Schweizer Kunsthistorikers Leza Dosch, es unter Denkmalschutz zu stellen, blieb unbeantwortet.  

 

Von der Totenburg zum Gedenkort


Und nun? Ein Ortswechsel: Inmitten von Weinbergen zwischen Meersburg und Hagnau liegt heute die Kriegsgräber- und Gedenkstätte Lerchenberg. Dort liegen die 69 Soldaten, die 1938 aus der Schweiz überführt wurden.  Doch die geplante Totenburg wurde nie fertig gestellt – es blieb eine Bauruine. Erst 1962 entstand die neue Anlage in ihrer heutigen Gestalt und mit einem ganz anderen Charakter. Nun ist sie eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die zwei Millionen Vermissten der Weltkriege – und die einzige Kriegsgräberstätte in Baden-Württemberg in der Obhut des Volksbundes. Wäre das auch ein Verfahren für das Kriegerdenkmal in Chur?