Work Camp 2022 in Litauen - Mitten in Memel
Die litauische Hafenstadt Klaipėda (dt. Memel) war das Ziel des ersten freiwilligen Arbeitseinsatzes im Jahr 2022
Der deutsche Soldatenfriedhof liegt fast in ihrer Mitte, was tägliche Begegnungen von Bewohnern der Stadt und dem Volksbund-Team ermöglichte.
Groß war bei manchen die Freude schon auf den ersten Metern dieses Work Camps mit dem Ziel Klaipėda. Viele der Teilnehmer waren schon einen Tag vor der gemeinsamen Abfahrt nach Litauen angereist, hatten in Frankfurt/Oder übernachtet und holten nun mit dem Reisebus die übrigen Gruppenmitglieder am dortigen Zentralen Omnibusbahnhof ab. Einige kannten sich schon von vorhergehenden Arbeitseinsätzen.
Die Wiedersehensfreude und die damit einhergehende Euphorie sprang schnell auch auf die anderen Teilnehmer im Bus über und mit heiterer Stimmung an Bord überquerte man die Oder Richtung Osten. Mehr als 1000 Kilometer lagen vor den Freiwilligen, die in den kommenden zwei Wochen den Soldatenfriedhof der litauischen Hafenstadt Klaipėda (dt. Memel) pflegen und instand setzen sollten. Zuviel, um diese Strecke an einem Stück zurückzulegen. Deshalb fuhr der von der Bundeswehr für den Arbeitseinsatz zur Verfügung gestellte Reisebus am Nachmittag durch das Tor eines malerisch gelegenen Landhotels im polnischen Masuren, wo eine Zwischenübernachtung geplant war. Hier bot sich denjenigen Teilnehmern, die sich nicht schon von vorgehenden Einsätzen kannten, eine erste Gelegenheit sich einander vorzustellen. Wieder einmal zeigte sich eine große biografische und geografische Bandbreite der Gruppe. Aus dem hohen Norden und dem gebirgigen Süden, aus dem Osten und Westen Deutschlands kamen die Teilnehmer, brachten die unterschiedlichsten beruflichen Hintergründe und eine Alterspanne über sechs Jahrzehnte mit.
Ankunft am Kurischen Haff
Der zweite Reisetag führte über die polnisch-litauische Grenze und durch den geopolitisch brisanten Korridor zwischen Weißrussland und der russischen Enklave Kaliningrad. Bevor dieser durchfahren werden konnte, musste jedoch ein durch einen Unfall verursachter Stau ausgesessen werden.
Umso größer war die Freude bei der Ankunft in Klaipėda, denn es war durch das Organisationsgeschick eines Unterstützers vor Ort gelungen, die Volksbund-Freiwilligen in einem ausgezeichneten Hotel mit Blick auf das Kurische Haff und weiteren Annehmlichkeiten unterzubringen. Gemeinsam unternahmen alle am folgenden Tag eine Stadtführung durch die beschauliche Altstadt und entlang des Hafens, in deren Verlauf man auch das Rathaus besuchte und dort vom deutschen Honorarkonsul begrüßt und in die Geschichte der Stadt eingeführt wurde.
Im Anschluss fuhr die Gruppe zum nicht weit entfernten Soldatenfriedhof der Stadt, um sich mit den örtlichen Voraussetzungen und den einzelnen Arbeitsfeldern vertraut zu machen. Eine erste Herausforderung war, die nötige Infrastruktur für die nächsten zwei Wochen herzustellen. Mit Zelten und Sitzgarnituren wurde ein zweckmäßiger Versorgungsbereich aufgebaut, der von zwei Soldaten der Bundeswehr betreut wurde. Sie überahmen in der folgenden Zeit die Verpflegung der Gruppe und sorgten während des Arbeitseinsatzes für Mahlzeiten, die abwechslungsreicher und raffinierter waren, als man es unter diesen oft schwierigen Bedingungen hätte erwarten können.
Bestandsaufnahme
Der Zustand der Kriegsgräberstätte schien auf den ersten Blick gut. Doch bei näherem Augenschein wiesen die schmiedeeisernen Zäune über mehrere hundert Meter erhebliche Rostschäden auf. Besonders entlang der Hauptstraße, wo im Winter große Mengen von Streusalz zum Einsatz kommen, bestand korrosionsbedingter Handlungsbedarf. Mit den vielfältigen beruflichen Hintergründen der Teilnehmer fand sich schnell eine Gruppe mit Metallbauerfahrung zusammen, die unter der fachkundigen Anleitung eines ebenfalls mitgereisten Kunstschmieds Reparatur und Richten der Zäune übernahm. Einige Zaunfelder an der Straße waren zusätzlich auch noch von einem vor einigen Jahren verunfallten Auto in Mitleidenschaft gezogen worden und teilweise aus ihren Fundamenten herausgebrochen. Sie wurden entfernt und an anderer Stelle in einer bequemeren Arbeitsposition vom Rost befreit. Der Großteil der Zäune musste aber in mühsamer Detailarbeit in bodennaher Arbeitshaltung mit Hämmern, Drahtbürsten und hohem Arbeitskräfteansatz vom Rost befreit werden. Erst danach konnte in ebenso forderndem Tagewerk eine neue Schicht Farbe aufgetragen werden. Hier bewiesen die Teilnehmer großen Fleiß und Ausdauer unter der Sommersonne und den entsprechenden Temperaturen.
Bereits im Jahr 1915 wurden auf dem Friedhof etwa 100 Kriegstote bestattet, der durch Bürgerspenden in den 1930er Jahren neugestaltet und im Verlauf des Zweiten Weltkrieges erweitert wurde. Etwa 1300 deutsche Soldaten, die bei den Rückzugskämpfen des Jahres 1944 ihr Leben verloren, fanden ihre letzte Ruhe hier in Klaipėda. Derzeit liegen dort 1855 Gefallene. Im Auftrag der deutschen Bundesregierung hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge diesen Friedhof zusätzlich zu einem Sammelfriedhof ausgebaut. Von den kleineren deutschen Soldatenfriedhöfen in den umliegenden Bezirken sollen sukzessive die sterblichen Überreste nach Klaipėda überführt werden. Nur so lässt sich langfristig ein würdiger Pflegezustand mit vertretbarem Aufwand erhalten. Erste Umbettungen hatten im äußeren Teil des Friedhofsgeländes bereits stattgefunden. Dort war das Gelände nun noch sehr uneben. Hieraus ergab sich ein weiterer Schwerpunkt für diesen freiwilligen Arbeitseinsatz. Zweimal zwölf Kubikmeter Mutterboden wurden von einem Fuhrunternehmen angefahren und vom Volksbund-Team zunächst in schweißtreibender Handarbeit mit Schubkarren, später mit Unterstützung eines kleinen Radladerfahrzeuges auf dieser Fläche verteilt und gewalzt. Eine gewaltige Aufgabe schien zunächst auch der Arbeitsauftrag, die Oberflächen der Friedhofswege mit neuem Material zu erneuern. Nach einer Probegrabung und Überprüfung des Unterbaus, konnte jedoch an das Planungsteam in der Volksbund-Geschäftsstelle zurückgemeldet werden, dass hier ein guter Zustand vorliegt und vorerst kein Handlungsbedarf besteht.
Doch an vielen Stellen, waren die Randsteine der Wegeeinfassungen gebrochen, mussten ausgebaut und ersetzt werden.
Unterdessen war ein erfahrener Arbeitseinsatzteilnehmer schon seit dem ersten Tag damit befasst, die Inschrift auf dem Eingangsstein neben dem Zugang zum Friedhof und im Anschuss auch die Namen auf den Epitaphen für die Gefallenen des ersten Weltkrieges mit einem Lackstift nachzuzeichnen.
Hohe Kiefern wachsen auf dem Soldatenfriedhof von Klaipėda, deren Nadeln und Zapfen von den Wegen ebenso zu entfernen waren wie das Moos zwischen den Pflastersteinen rings um das Hochkreuz. Zusätzlich mussten an mehreren Stellen durch die Wegeoberfläche gewachsene Wurzeln herausgehackt werden.
Um künftigen Beschädigungen durch über und an der Friedhofsmauer wachsende Bäume vorzubeugen, wurden deren Äste so weit zurückgeschnitten, so dass sie in den kommenden Jahren nicht zum Problem werden.
Astbruch und umgestürzte Bäume hatten bereits an vielen Stellen die Zäune deformiert. Wo möglich richtete der Schlosser-Trupp die schmiedeeisernen Stäbe nach, doch um die stark verbogenen Zaunspitzen zu reparieren, fehlte im Work Camp das Gerät. Durch Kontakte vor Ort konnte hierfür aber Unterstützung durch die litauische Marine gewonnen werden. Wie vereinbart fuhren am nächsten Tag zwei Mann mit einem Schweißbrenner vor und hatten im Handumdrehen auch diesen Teil der Friedhofseinfassung wieder ansehnlich hergestellt.
Gemeinsame Geschichte verstehen
Teil der freiwilligen Arbeitseinsätze des Volksbundes ist nicht nur das bloße Arbeiten auf den Kriegsgräberstätten. Vielmehr ist es Ziel, in der gemeinsamen Zeit vor Ort einen Bezug zu Land, Leuten und der Geschichte der Region herzustellen. Durch die Lage des Friedhofs am Rande der örtlichen Grünanlagen werden seine Wege von den Bewohnern von Klaipėda stark frequentiert. Das führte zu vielen interessierten Begegnungen zwischen Litauern und Deutschen. Darüber hinaus sind Soldatenfriedhöfe nie beliebig und aus der Zeit gelöst, sondern haben einen ganz besonderen historischen Kontext und kummervollen Ursprung, der bei jedem Arbeitseinsatz immer auch eine Rolle spielt. Klaipėda ist der litauische Name für die ehemals deutsche Stadt Memel. Die gemeinsame Vergangenheit von Litauern und Deutschen ist in der Stadt aber auch dem gesamten Umland zu erfahren. Deshalb nutzte das Work Camp-Team die beiden Tage des Wochenendes, um das historische Memelland bis hinab zur russischen Enklave Kaliningrad zu erkunden und verbrachte einen unbeschwerten Sommertag auf der Kurischen Nehrung.
In der zweiten Woche standen vor allem die Arbeiten am Zaun im Vordergrund. Der Friedhof Klaipėda verfügt über vier Tore, von denen sich bei zweien wegen gebrochener oder festgerosteter Scharniere die Flügel nicht mehr bewegen ließen. Deshalb waren Schweißarbeiten und das Anbringen einer neuen Befestigungsstruktur an den Torpfosten notwendig. Auch hier wurde Wert auf Beständigkeit gelegt und aufwendigere Verankerungen als ursprünglich gewählt.
Straßenseitig reparierte man die Zaun-Fundamente oder betonierte sie neu, so dass schließlich auch die nunmehr entrosteten und frisch gestrichenen Zaunfelder wieder eingesetzt und angeschweißt werden konnte.
Mehr als die Leistung der Einzelnen
Den Abschluss fand der Arbeitseinsatz des Volksbundes in einer Gedenkveranstaltung am Ende der letzten Arbeitswoche. Am Hochkreuz vor einer Ehrenabordnung der litauischen Marine, berichtete Volksbund-Koordinator Bodo Henze dem Publikum und den Vertretern der lokalen Medien von den Aufgaben und Ergebnissen der zurückliegenden Wochen. Der Bürgermeister von Klaipėda, Vytautas Grubliauskas, und der deutsche Honorarkonsul Dr. Arūnas Baublys dankten ihrerseits für den geleisteten Arbeitseinsatz. Aus den Reihen der Teilnehmer fasste abschließend ein Mitglied der Gruppe die persönlichen Erfahrungen und Herausforderungen im Laufe der Arbeiten noch einmal zusammen.
Bereits einen Tag zuvor hatten sich die Work Camp-Freiwilligen unabgesprochen am Grabfeld der vor einigen Jahren Umgebetteten eingefunden, das bislang als solches nur durch einen unregelmäßigen Sandhügel und ein morsches Holzkreuz zu erkennen gewesen war. Mit Rindenmulch war nun die Oberfläche bedeckt worden.
Aus einem Naturstein wurde ein Gedenkstein angefertigt und die Schlosser-Truppe steuerte ein aus Metallresten findig zusammengeschweißtes „schwebendes Kreuz“ bei. An diesem Nebenschauplatz wurde deutlich, was den freiwilligen Arbeitseinsatz im litauischen Klaipėda durchweg gekennzeichnet hatte, so dass es den Teilnehmern in diesem Moment unwillkürlich bewusstwurde: Selbstorganisiertes Engagement mit unterschiedlichen Fertigkeiten, das schließlich zu einem gemeinsamen Ergebnis führt, das zusammen mehr darstellt als die bloße Arbeitsleistung jedes Einzelnen. In Klaipėda ist das gelungen.
Text: Jessica Purkhardt, Fotos: Bodo Henze