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Nicht allein bleiben mit großem Leid

Elisabeth von Heereman über ihren Einsatz bei den Invictus Games und ihren Großvater
Ein Artikel von Elisabeth von Heereman

„Vor 105 Jahren kam mein Großvater aus dem Krieg.“ Mit diesem Satz beginnt eine persönliche Betrachtung, die 1918 beginnt und bei den Invictus Games 2023 in Düsseldorf endet. Vor wenigen Tagen sind die Spiele zu Ende gegangen. Elisabeth von Heereman war dabei – als Freiwillige mit engem Bezug zum Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Seit 2020 ist sie Mitglied und unterstützt ihn nicht nur finanziell.

Vor 105 Jahren kam mein Großvater aus dem Krieg. Hinter ihm lagen zwei Jahre in Russland und der Stellungskrieg in Flandern von 1916 bis 1918. Seine Heimkehr wurde gefeiert – die Freude war groß: Der Sohn und Bruder war unverletzt aus dem Krieg zurückgekommen.

Für meinen Vater und seine Familie waren die unsichtbaren Verwundungen jedoch deutlich spürbar. Großvaters Schweigsamkeit, seine Reizbarkeit und Unfähigkeit, Gefühle zuzulassen und zu zeigen, beeinflussten den familiären Alltag zutiefst.

Physisch unversehrt, aber verwundet

Er ging physisch unversehrt zurück ins Leben und war dennoch für sein Leben verwundet. Nicht am Leib, aber an der Seele. Er kam zurück zu seiner Familie, doch zu sich selbst, zu sich nach Hause hat er wohl nie wieder so ganz finden können.

Für unendlich viele Heimkehrer aus beiden Weltkriegen gab es meist nur eine Strategie, mit dem Erlebten umzugehen: Verdrängung und der feste Blick nach vorn. Für dieses unsichtbare, stille Leid gab es lange Zeit in der Gesellschaft weder Worte noch Möglichkeiten der Hilfe.

Bei wie vielen Familien stand mit diesem Schweigen ein gewaltiger unsichtbarer Eisblock aus unausgesprochener Trauer, traumatischen Erinnerungen und Schuldgefühlen in der guten Stube?! Und bei wie vielen Familien wirken diese unausgesprochenen Erblasten bis heute nach?!

„Invictus“ heißt unbesiegt

105 Jahre, nachdem mein Großvater aus dem „großen Krieg“ nach Hause gekehrt ist, durfte ich als Volontärin an den Invictus Games in Düsseldorf teilnehmen.

„Invictus“ – das heißt unbesiegt. Mein Großvater und viele mit ihm sind wohl eher als „victus“, als „besiegt“, aus dem Krieg gekommen. Ihr Schmerz wurde mit Worten wie  Drückeberger, Weichei, Schwachheit belegt und abgetan. Heute wissen wir um das große Leid der Menschen, die von einer posttraumatischen  Belastungsstörung (PTBS) betroffen sind.

Die Invictus Games hatte Prince Harry, Duke of Sussex, 2014 ins Leben gerufen. Bei einem Einsatz in Afghanistan war er mit schwerstverwundeten Kameraden in Berührung gekommen und hatte beschlossen, etwas für die Menschen zu tun, die einen so hohen Preis im Einsatz für ihr Land gezahlt haben. Es waren die sechsten Spiele für einsatzversehrte Soldatinnen und Soldaten aus 21 Ländern.

Erstmals Rettungskräfte dabei

Die Athleten und Athletinnen haben sich in verschiedenen inklusiven Sportarten gemessen. Erstmalig waren einsatzversehrte Rettungskräfte aus dem zivilen „Blaulicht“-Bereich dabei: Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr. Und auch wenn es um Medaillen und Wettkämpfe ging: Die Athleten verstanden sich nicht als Konkurrenten und Konkurrentinnen, sondern als Teil der Invictus-Familie.

Als Notfallseelsorgerin im „Team Medical“

Als „Hilfe für Helfer“ durfte ich im „Team Medical“ als „Peer“ mitarbeiten. „Peers“ sind Einsatzkräfte, die aufgrund eigener Einsatzerfahrung und Ausbildung ihren Kameraden bei der akuten Verarbeitung belastender Einsatzerfahrungen helfen. Ich war nie Soldatin der Bundeswehr, bin aber seit einiger Zeit als Notfallseelsorgerin tätig. Ich unterstütze Menschen, die sich durch einen plötzlichen Todesfall oder ein anderes traumatisches Erlebnis in einer akuten Krise befinden.

Während der Spiele war es unsere Aufgabe, den Athletinnen und Athleten sowie ihren Familien und Freunden in belastenden Situationen beizustehen, ihnen einen Rückzugsort anzubieten und für Gespräche zur Verfügung zu stehen.

Wir durften erleben, wie die „Unbesiegten“ gelernt haben, mit dem ihnen zugemuteten Leid umzugehen, was der Sport für eine Rolle bei der seelischen Gesundung spielt, was diese wundervollen Therapiehunde vermögen, aber auch wo unsere Worte nicht hinreichen. Wir durften erfahren, wie sehr Freunde und Familien es den Betroffenen ermöglichen, zurück ins Leben zu finden.

Weiter und schwerer Weg

Es war und ist ein weiter und schwerer Weg, das unsichtbare Leid von Einsatzkräften im Militär und unter Blaulicht sichtbar zu machen. Dieser Weg ist noch lange nicht zu Ende gegangen, aber die Spiele in Düsseldorf haben einen großen Beitrag dazu geleistet. Ich bin zutiefst beschenkt und dankbar für die Erfahrungen und Begegnungen dieser Woche.

Immer wieder musste ich an meinen Großvater und die vielen, vielen Soldaten und ihre Familien denken, die mit ihrem großen, unsichtbaren Leid allein blieben. Die Spiele bringen Hoffnung oder wie Leonard Cohen es in einem Song sagt: „There is a crack in everything, thats how the light gets in“ („In allem gibt es einen Bruch, so kommt das Licht herein“).

Wichtiger Schritt für unser Land

Die Invictus Games standen unter dem Leitgedanken „A Home for Respect “. Ich denke, für viele der teilnehmenden Einsatzkräfte, Soldatinnen und Soldaten war es ein weiterer, ganz bedeutender Schritt auf dem Weg nach Hause, zu sich und zu geliebten Menschen!

Es war wohl auch ein wichtiger Schritt für unser Land, das sich schwertut mit seiner Geschichte, die Menschen ein wenig mehr ins Herz zu schließen, die im Dienst für seine Sicherheit Verwundungen davontragen.

Volksbund bei den Invictus Games

Mit einem Stand war der Volksbund in Düsseldorf präsent. Mehr dazu lesen Sie hier:

„A home for respect“ – Rückblick auf die Invictus Games (volksbund.de)

Invictus Games in Düsseldorf: großes Interesse am Volksbund-Stand


Über ihren Großvater hat Elisabeth von Heereman in der FRIEDEN (Ausgabe 2-2020, S. 10/11) einen Artikel veröffentlicht. Unter dem Titel „Warum er so war, wie er war“ macht sie sich gemeinsam mit ihrem Vater auf Spurensuche.