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Böses Erwachen am Schwarzen Meer

Volksbund in aller Welt – heute: Bericht aus Russland

Deutschland in Woche drei der Krise, das soziale Leben ist weitgehend zum Stillstand gekommen. Aber wie sieht es in anderen Ländern aus? Seitdem sich die Schlagbäume gesenkt haben, dringen weniger Informationen zu uns durch. Wir haben deshalb Mitarbeiter des Volksbundes in vielen Ländern gebeten, aus ihrer Heimat zu berichten. Heute: Hermann Krause, Leiter des Moskauer Büros des Volksbundes über die Situation in Russland.

Moskau – in diesen Tagen eine Geisterstadt. Der Rote Platz gesperrt, das Bolschoi-Theater ohne Glanz, der Kreml verwaist. Auf den sonst so überfüllten Straßen keine Spaziergänger, nur wenige Autos sind unterwegs. Moskau, eine Stadt, die normalerweise  von morgens bis in die abends pulsiert. Aber jetzt: die Opernhäuser geschlossen, die Konzertsäle zu, die vielen Theater und Jazz-Clubs abgesperrt. Nichts  geht mehr. Die unzähligen Restaurants der russischen Hauptstadt liefern, wenn überhaupt, nur noch nach Hause. Auf Fahrrädern rasen sie jetzt durch Moskau, die Jungs, die für den Delivery Club oder für andere Lieferunternehmen unterwegs sind, mit Pizzen oder Sushi  in ihren schweren Kisten, die sie auf den Rücken geschnallt haben.

Die Entlassungswelle rollt

Die Regierung unter dem neuen Premier Mischustin bemüht sich, einen Ausweg aus der Krise zu finden. Instrumente wie Kurzarbeitergeld aber stehen ihr nicht zur Verfügung. Homeoffice ist angesagt, aber für Fabrikarbeiter, Friseure oder Autoverkäufer ist das keine Lösung. Über ganz Russland rollt eine Entlassungswelle, die Hunderttausende in die Armut treibt. Mieten können nicht gezahlt werden, Kredite nicht bedient, der Konsum fällt dramatisch. In den Geschäften sind die Regale gefüllt, den Kunden jedoch fehlt es an Geld. Vorsicht ist angebracht, die kommenden Wochen werden dramatisch. Dennoch: Die Zahl der Infizierten und Verstorbenen ist für ein Land mit 146 Millionen Einwohnern noch immer minimal. Stand 6. April: 6343 Infizierte, 47 Tote.

Ausnahmezustand in Moskau?

Der Moskauer Bürgermeister Sobjanin sieht seine Stadt trotzdem  erst am Anfang der Pandemie, wissend, dass die Krankenhäuser bereits überfüllt sind und einem wirklichen Ansturm nicht standhalten können. Die letzte Woche drohte er mit der Einführung eines QR-Codes, jeder Moskauer sollte sich diesen auf sein Handy laden. Vor  Verlassen des Hauses hätte er dann um Erlaubnis für den Einkauf im  Supermarkt bitten sollen, ebenso für den Spaziergang mit dem Hund. Technisch unmöglich, warnten die Experten, der Bürgermeister rückte von dem Plan wieder ab. Die Verhängung des Ausnahmezustandes über Moskau liegt dennoch in der Luft.  Wie der Bürgermeister von New York so scheint sich auch Sobjanin zu bewähren, hat er die Krise doch von Anfang an erkannt. Anders als der Präsident, der noch, als der Virus schon grassierte, Hände schüttelte und Orden verlieh. Seine Appelle an die Bürger waren dabei auch nicht besonders gelungen.

So erklärte am 27.März Wladimir Putin in einem live übertragenen Fernsehauftritt die folgenden acht Tage zur arbeitsfreien Woche bei vollem Lohnausgleich. Da es sich um einen Freitag handelte, nahmen die Russen die Worte ihres Präsidenten wörtlich. Sie packten in Windeseile ihre Sachen und machten sich auf den Weg zur Datscha, ins  russische Landhaus. Die Ankündigung Putins klang umso erstaunlicher, da in der Woche vorher Homeoffice ganz gut funktioniert hatte. Wer konnte, hatte sich darauf eingestellt. Nun war von Heimarbeit  keine Rede mehr, die Russen verstanden das Ganze als Aufforderung, Urlaub zu machen.

Der Ölpreis fällt dramatisch

Deshalb musste Dmitri Peskow, der Sprecher des Präsidenten, seinen Chef noch am Abend korrigieren. „Wir begrüßen es, wenn die Menschen in der arbeitsfreien Woche von zuhause aus weiter arbeiten“. Die freien Tage seien keine Feiertage „im klassischen Sinne des Wortes“. Aber da war es bereits zu spät, viele kehrten nicht mehr zurück oder flogen ans Schwarze Meer nach Sotchi. Das böse Erwachen kam schnell. Die  Hotels machten dicht, die Kurzurlauber standen auf der Straße, mussten zurückfliegen. Auch die zweite Rede des Präsidenten am 2. April sorgte nicht für viel Aufklärung. Er verlängerte die Ferien bis Ende April bei „Erhalt der Arbeitsplätze und der Löhne“. Aber wie soll das gehen? Die Räder stehen still, der Einbruch für die ohnehin angeschlagene russische Wirtschaft ist gewaltig. Hinzu kommt ein dramatischer Verfall des Ölpreises und damit des Rubel gegenüber Euro und Dollar. Mit einem Ölpreis von 70 Dollar käme Russland zurecht, doch der Preis liegt weiter darunter, was auch zu einem Verfall des Rubel führt. Täglich abzulesen an den Aushängeschildern der  Wechselstuben. Vor dem Virus kostete der Euro 68 Rubel, jetzt 85. Verzweifelt bastelt die russische Regierung an Hilfe für die Wirtschaft. Da über 75 Prozent in Staatshand sind, kann man sich leicht vorstellen, wer zuerst bedient wird. Die Privatunternehmen sehen sich einer Bürokratie gegenüber, die viel verspricht und wenig hält. 

Priester versprühen Weihwasser

Es gibt Medien, die offen über die prekäre Situation berichten.  Kritik aber ist nicht erwünscht. Der Deutschen Welle wird zum Beispiel vorgeworfen, Falschmeldungen zu senden. Mit der Entziehung der Akkreditierung wird gedroht. Auch Strafen gegen Blogger, die angeblich Falschmeldungen verbreiten, sind möglich und wohl auch bereits verhängt worden. Fest steht nur: Die Volksabstimmung, geplant für den 22. April, ist erst einmal verschoben. Darin wollte sich Putin weitere Amtszeiten vom Volk absegnen lassen, dies ist politisch im Moment uninteressant. Die russisch-orthodoxe Kirche ist derweil auch aktiv. Priester fahren auf Lkws durch die Straßen und versprühen Weihwasser. Eine Delegation hochrangiger Würdenträger segnete am Sonntag vom Flugzeug aus das „heilige Russland“. Ob das hilft, lässt sich zur Stunde noch nicht genau sagen.

Hermann Krause