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Claus Graf Schenk von Stauffenberg: Tyrannenmörder oder moralisches Vorbild?

Gedenken zum 20. Juli 1944

Der 20. Juli 1944 steht symbolisch für den deutschen Widerstand gegen die Nationalsozialisten durch das Attentat auf Hitler. Der Attentäter, Claus Graf Schenk von Stauffenberg wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Dies zeigt sich auch in den Publikationen und Rezensionen, die zum 75. Jahrestages des Attentats erscheinen.

Schauen wir auf die Situation Mitte 1944

Deutschland hatte 1939 einen Krieg begonnen, initiiert durch den Plan Adolf Hitlers, die Länder Mittel- und Osteuropas wirtschaftlich auszubeuten, die Völker zu versklaven und das jüdische Volk zu vernichten.

Die deutsche Wehrmacht geriet nach anfänglichen großen militärischen Erfolgen in die Defensive. Sie musste im Osten und seit Juni 1944 auch im Westen schwere Niederlagen einstecken. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass Deutschland den Krieg verlieren würde, was aber die deutsche Führung unter Adolf Hitler zu einem immer aggressiveren und wahnsinnigeren Kurs anstachelte.

Dagegen regte sich in Kreisen des Militärs Widerstand, angetrieben von der Perspektive, den Krieg möglichst schnell - und sei es als Verlierer - zu beenden, aber auch durch das Entsetzen über die ungeheuren Grausamkeiten, die vor allem im Osten Europas begangen wurden.

Deutschland war zu diesem Zeitpunkt eine totale Diktatur mit einem Machtapparat aus treuen Soldaten, Polizisten, Geheimdienstmitarbeitern, Spitzeln, Zuträgern und Parteimitgliedern – zugeschnitten auf die Person Hitler an der Spitze.

Eine Beendigung des Terrorregimes war daher nur möglich, wenn es gelänge, diesen Machtapparat auszuschalten, und zwar durch eine Gegenmacht. Da Gewerkschaften und andere Parteien längst zerschlagen waren, konnte diese Gegenmacht nur aus Kreisen des Militärs kommen.

Oberst Claus Schenk von Stauffenberg und seine Mitverschwörer hatten in den Monaten vor dem 20. Juli ein solches Netz aus loyalen Offizieren und Truppenteilen geschaffen, mit denen dies möglich schien. Jedoch war der Tod Hitlers die Voraussetzung dafür, dass der Widerstand erfolgreich sein konnte.

Das Attentat, mit dem Hitler beseitigt werden sollte, geschah am 20. Juli 1944 im sogenannten Führerhauptquartier Wolfsschanze im heutigen Polen.

Der Sprengstoff, den Stauffenberg im Besprechungsraum deponierte, explodierte tatsächlich, aber er tötete Hitler nicht. Die widerstandstreuen Teile der Wehrmacht lösten dennoch ihren Plan aus und teilten mit, der „Führer“ lebe nicht mehr, die Wehrmacht habe die Kontrolle übernommen. Aber Hitler konnte durch ein Telefonat mit Berlin sowie eine eilig organisierte Rundfunkansprache seinen Tod widerlegen. Offiziere, die im Widerstand mitgemacht hätten, wenn Hitler, dem sie ihren Eid geschworen hatten, tot gewesen wäre, zogen sich zurück. Diejenigen, die von ihren Soldaten verlangten, sich für einen sinnlosen Krieg zu opfern, brachten nicht den Mut auf, im entscheidenden Moment zu handeln, obwohl sie das Handeln für richtig hielten.

Können die Verschwörer des 20. Juli als Vorbilder dienen?

Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet. Zu Recht wird darauf verwiesen, dass Stauffenberg und seine Kameraden keine Widerständler der ersten Stunde waren. Im Gegenteil: Sie haben Hitlers Politik lange unterstützt und zu den militärischen Eroberungsfeldzügen aktiv und begeistert beigetragen.

Aber Stauffenberg hatte die Fähigkeit, die Augen offen zu halten und dabei die ungeheuren Grausamkeiten, die von deutschen Soldaten und Sondereinheiten im Osten begangen wurden, zu sehen und den Größenwahn Hitlers und seiner willigen Helfer zu erkennen. Er hatte die Kraft, sich von früheren Vorstellungen zu befreien und den Mut, unter Einsatz seines eigenen Lebens zu handeln. 

Im Falle des Scheiterns gab es kein Pardon

Ein Held ist jemand, der ohne Rücksicht auf sein eigenes Wohlbefinden Mut zeigt, um das Schicksal anderer zu verbessern. Stauffenberg und seine Kameraden wussten, dass sie ihr Leben einsetzen. Sie kannten die Militär- und Terrormaschine gut genug um zu wissen, dass diese im Falle des Scheiterns des Plans kein Pardon geben würde.

Sie haben Heldenmut bewiesen, nicht nur am 20. Juli 1944, sondern in den ein bis zwei Jahren vorher, in denen sie aktiv an einem Widerstandsnetzwerk gearbeitet haben.

Claus von Stauffenberg ist aber auch eine Warnung

Stauffenberg und seine Mitverschwörer haben einen ungeheuren Mut, den Mut der Verzweiflung, bewiesen. Man darf daher eine Situation, in der solcher Mut vonnöten ist, gar nicht entstehen lassen. Bertolt Brecht formuliert das in seinem Werk „Das Leben des Galilei“ so: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

Wir müssen darauf hinarbeiten, dass ein solcher Mut der Verzweiflung nicht nötig wird, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der man diese Art von Mut nicht aufbringen muss - in der aber andererseits auch nicht die Mutlosigkeit vorherrscht.

Die Warnung des 20. Juli lautet daher: Wehret den Anfängen!

Wolfgang Schneiderhan

Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge

 

Dieser Text ist eine stark gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung einer Rede von Wolfgang Schneiderhan, Präsident des Volksbundes und Vorsitzender der Stauffenberg-Gesellschaft vor der Hanns-Seidel-Stiftung im Juli 2019.