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„Jugendlager Federsee“ auf Spurensuche im Kaliningrader Gebiet

Deutsch-russisch-weißrussische Jugendbegegnung

Eine Gruppe junger Leute aus dem oberschwäbischen Federseegebiet fuhr im August im Auftrag des Volksbunds ins ehemals deutsche Ostpreußen, in die heutige russische Oblast Kaliningrad. Sie arbeitete dort auf einem Soldatenfriedhof, auf dem Gefallene aus beiden Weltkriegen liegen, und begab sich auf Spurensuche zur gemeinsamen Geschichte. Zur Gruppe des Jugendlagers Federsee unter Leitung von Klaus Knoll und Jürgen Mattmann stießen vor Ort auch Teilnehmer aus Russland und Belarus dazu.

Der Gruppe schlossen sich vor Ort auch einheimische junge Leute sowie Teilnehmer aus Belarus an, so dass die Reise zu einer deutsch-russisch-weißrussischen Jugendbegegnung wurde. „2019 ist für den Volksbund ja ein ganz besonderes Jahr – er wird 100 Jahre alt“ berichtet Klaus Knoll, der Leiter der Jugendbegegnung, und ergänzt „Der Leitgedanke ‚Gemeinsam für den Frieden‘, den sich der Volksbund anlässlich dieses 100-jährigen Jubiläums gab, ist gerade für eine Jugendbegegnung in Russland eine sehr schöne und passende Aufforderung. Auch wenn wir in Deutschland und Russland sehr unterschiedliche Erinnerungs- und Gedenkkulturen pflegen, waren doch die gemeinsame Instandsetzung und Pflege von Soldatengräbern eine ganze besondere Art des Gedenkens und der Mahnung zum Frieden.“

Ziel des ersten Reiseabschnitts war der Osten des Kaliningrader Gebiets, eine ländliche Region, die bis heute unter den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs und der daraus resultierenden Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung leidet. Untergebracht war die Gruppe dort in der Nähe der Stadt Gumbinnen (Gusev).

Arbeitseinsatz in Pillkallen/Schloßberg (Dobrovolsk)

Gearbeitet wurde auf dem internationalen Soldatenfriedhof in Pillkallen/Schloßberg (Dobrovolsk). Organisatorische Unterstützung bekam die Gruppe von der Rajonverwaltung in Krasnosnamensk (Lasdehnen/Haselberg), in deren Bezirk Dobrovolsk heute liegt.

Kaum eine andere deutsche Stadt wurde von den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts so verheerend getroffen wie Pillkallen. Im Ersten Weltkrieg nach dem russischen Angriff auf Ostpreußen 1914 zweimal vorübergehend von der russischen Armee besetzt, teilweise geplündert und zerstört, wurde sie bis in die 1920er Jahre wieder aufgebaut. Am Ende des Zweiten Weltkriegs kam es noch schlimmer – 1944/45 beim Sturm der Roten Armee auf Ostpreußen und einer zwischenzeitlichen Rückeroberung durch die Wehrmacht blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Wie in ganz Ostpreußen floh die deutsche Bevölkerung oder wurde vertrieben und durch Neusiedler aus der Sowjetunion ersetzt. Die ehemals deutsche Kreisstadt verlor nach dem Krieg ihre Stadtrechte und wurde zur sowjetischen ländlichen Gemeinde Dobrovolsk mit einem Bruchteil der Vorkriegsbevölkerung.

Der Soldatenfriedhof entstand bereits im bzw. nach dem Ersten Weltkrieg. Damals war es oft üblich, dass eine Armee alle Gefallenen bestattete, die sie finden konnte, egal ob es sich um eigene oder gegnerische Soldaten handelte. Auch in Pillkallen wurde neben dem Zivilfriedhof ein gemeinsamer Soldatenfriedhof angelegt, so dass dort gefallene Deutsche neben Gefallenen aus dem russischen Zarenreich liegen. In den 1990er Jahren nach dem Abschluss eines Kriegsgräberabkommens zwischen der Bundesrepublik und Russland wurde diese Anlage durch den Volksbund wieder instandgesetzt. Auf dem ehemaligen deutschen Zivilfriedhof, der nach der Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung zu sowjetischen Zeiten aufgelöst wurde, konnten dann aus der Umgebung auch weitere deutsche Gefallene aus dem Zweiten Weltkrieg dazu gebettet werden. Die Gruppe restaurierte auf dieser Anlage das Eingangstor und den Zaun, reinigte Grabsteine und einen Obelisken und erneuerte Inschriften und Grabkennzeichen.

Als Abschluss des Arbeitseinsatzes gestalteten die jungen Leute eine Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof. Die russischen Teilnehmer ergänzten dabei als Zeichen für die völkerübergreifende Freundschaft und Verbundenheit in Europa am „Band der Nationen“ des Jugendlagers Federsee die russische Flagge. An diesem Band sind die Flaggen aller Länder aufgereiht, in denen das Jugendlager Federsee in seiner über 50-jährigen Geschichte bisher für den Volksbund im Einsatz war.

 

In ihrer Freizeit brachten Führungen in Gumbinnen (Gusev), ein Ausflug in die Rominter Heide, eine Kanutour auf der Angerapp (Angrapa) und der Besuch einer Banja, einer russischen Sauna mit Holzofen und Birkenzweigen, der Gruppe die Region näher. „Das Workcamp war für alle eine großartige Erfahrung. Wir arbeiteten auf dem Friedhof sehr gut zusammen und hatten darüber hinaus viel Spaß und Freude.“ zieht Thomas Scheb aus dem Leitungsteam ein positives Fazit.

 

Das ehemalige Königsberg und die Bernsteinküste

 

Das nächste Etappenziel war die alte ostpreußische Hauptstadt Königsberg, das heutige Kaliningrad. Königsberg war bis zum Zweiten Weltkrieg die östlichste Provinzhauptstadt Deutschlands, danach wurde es als Kaliningrad zur westlichsten Großstadt der Sowjetunion und Russlands. Reste aus deutscher Vergangenheit, Relikte aus Sowjetzeiten und Sehenswürdigkeiten der Gegenwart machen Kaliningrad zu einer Stadt der Brüche und verleihen ihr heute einen eigenen Charakter. Im Gegensatz zum zurückgebliebenen ländlichen Umland wirkt Kaliningrad heute modern und an vielen Stellen als Stadt im Aufbruch.

Ein Ausflug führte die Gruppe auch an die samländische Ostseeküste nach Palmnicken (Jantarny), wo außer dem Bernsteintagebau und -museum und dem breiten Sandstrand auch der Besuch des Holocaustmahnmals auf dem Programm stand. Hier fand im Januar 1945 eines der letzten Massaker an Juden im Zweiten Weltkrieg statt. Rund 3.000 jüdische Gefangene wurden von SS-Truppen mit Maschinengewehrfeuer in die eiskalte Ostsee getrieben. Heute erinnert ein eindrucksvolles Mahnmal am Strand an dieses in sowjetischen Zeiten in Vergessenheit geratene Massaker.

 

Danzig und die Gewerkschaft Solidarność

 

Auf der Heimreise nach Deutschland machte die Gruppe Halt in der polnischen Hafenstadt Danzig (Gdańsk). Neben dem Besuch der Altstadt und der Westerplatte – der Beschuss der Westerplatte durch das deutsche Schulschiff „Schleswig-Holstein“ am 1. September 1939 gilt als der Beginn des Zweiten Weltkriegs – stand hier das Europäische Solidarność-Zentrum (ECS) im Mittelpunkt. Das ECS auf dem Gelände der ehemaligen Danziger Leninwerft erinnert an die Solidarność-Bewegung und die antikommunistische Opposition in Polen und Europa. Hier nahmen die Ereignisse ihren Anfang, die die kommunistische Herrschaft zum Wanken brachten und letztlich zum Fall der Berliner Mauer und zur Freiheit in ganz Ost- und Mitteleuropa führten. Es gibt nur wenige Orte mit einer vergleichbaren Bedeutung für die gesamteuropäische Geschichte.

Ein letzter Stopp vor der Rückkehr nach Oberschwaben wurde in Eisenhüttenstadt eingelegt, der einzigen Stadt in Deutschland, die nach dem Zweiten Weltkrieg völlig neu gegründet wurde. Eisenhüttenstadt entstand in den 1950er Jahren als sozialistische Planstadt bei einem riesigen Eisenhüttenwerk. Die Führung zur Architekturgeschichte der Stadt glich einer Zeitreise in die Geschichte der DDR. Nach einer Reise durch die deutsche und europäische Geschichte der letzten einhundert Jahre mit über 4.000 Buskilometern kam die Gruppe mit vielen neuen Erfahrungen, Erkenntnissen und Freundschaften wieder gut in der Heimat an.

 

Klaus Knoll