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Frühjahr 1945 in Breslau: Garten einer Villa wurde zum Friedhof

Volksbund-Umbetter bergen die Gebeine von über 100 Toten – mehrere Massengräber

Dass in Breslau heute noch die Gebeine von Kriegstoten geborgen werden, ist nichts Ungewöhnliches – heftig umkämpft war die zur „Festung“ erklärten Stadt bis zur Kapitulation am 6. Mai 1945. Was sich aber im Garten einer Villa im heutigen Wrocław abspielt in diesen Tagen, ist alles andere als gewöhnlich. Ein Fernsehteam ist für RTL dabei.

 

Bei etlichen Gräbern wissen die Volksbund-Umbetter sofort, wer die Toten sind, und in einem Fall ist sogar schon eine Angehörige informiert.

Von drei Kriegstoten im hinteren Teil des großzügigen Gartens wussten die Eigentümer – eine deutsch-niederländische Familie –, seit sie die baufällige Villa vor vier Jahren gekauft hatten. Im vergangenen Jahr meldete sich Tomasz Czabański bei ihnen. Er leitet das Team der Umbettungsfirma „Pomost“, mit der der Volksbund in dieser Region Polens zusammenarbeitet. Kurz zuvor hatte er in einem Archiv in Warschau eine Liste samt Skizze von 1947 gefunden.
 

Namen von Grabkreuzen 1947 notiert

Darauf hatte das polnische Rote Kreuz einen Friedhof dokumentiert – die Gräber verzeichnet, mit Nummern versehen und Namen von Grabkreuzen abgeschrieben, soweit das möglich war. Ein Luftbild des polnischen Militärarchivs von 1945 bestätigt ein Gräberfeld an dieser Stelle.

„Vermutlich war es einfach die freie Fläche, die man genutzt hat, als im März 1945 Platz gebraucht wurde für die unzähligen Opfer der Schlacht um Breslau“, sagt Pressesprecherin Diane Tempel-Bornett. Längst war klar, dass hier weit mehr als drei Tote begraben sind und dass es sich vor allem um zivile Opfer handelt.
 

Zwei weitere Puzzlestücke

Zu Liste, Skizze und Luftbild kam ein Hinweis in einem Buch über Kriegsgräber in Breslau. Die Autorin berichtete, dass dieser Friedhof erhalten geblieben und die Toten nach dem Krieg nicht umgebettet worden seien. Ein weiteres Puzzleteil steuerte das Referat Gräbernachweis des Volksbundes bei: eine Liste der Deutschen Dienststelle (ehemals Wehrmachtsauskunftsstelle, heute Bundesarchiv Berlin), auf der auch Zivilisten verzeichnet sind.

Die Eigentümer des Grundstücks erteilten sofort die Genehmigung. Ein weiteres halbes Jahr verging, bis auch die polnischen Behörden der Exhumierung zugestimmt hatten und das Team um Czabański mit Bagger, Spaten, Spachtel, Pinsel und Bürsten anrücken durfte.
 

Fünf Kinder und eine junge Frau

Die ersten Toten, die geborgen werden, sind fünf Kinder und eine Frau, nicht älter als 25 Jahre. Danach legen die Umbetter mehrere Massengräber frei. Darin die Gebeine von Toten mit etlichen Knochenbrüchen. Vermutlich waren sie verschüttet worden.

Ihre Zahl wächst mit den letzten Arbeitsschritten: Als die Knochen aufgenommen sind, zählen die Umbetter am Ende 15 statt zunächst zehn angenommene Tote allein in einem der Massengräber. Unverkennbar ist für die Experten, dass es schnell gehen musste bei der Beerdigung im März 1945.

 

Am Ende werden es mehr als 100 Kriegsopfer sein, schätzt Tomasz Czabański, als die Arbeiten etwa zur Hälfte erledigt sind. Immer wieder klafft an neuer Stelle in diesem Teil des Gartens ein mächtiges Loch. Sind die Gebeine daraus geborgen, schüttet der Bagger es wieder zu und es geht an anderer Stelle weiter.

Lange Suche nach dem Vater

Im Grab Nr. 45, Reihe 2, ist laut Liste ein Mann beerdigt, dessen Sohn lange nach dem Grab des Vaters gesucht hatte – vergebens. Intensive Recherchen im Vorfeld haben es möglich gemacht, dass seine Tochter, die Enkelin, jetzt schon weiß, dass der Volksbund auf der richtigen Spur ist – eine absolute Ausnahme. Normalerweise erfolgen die Schritte von Recherche über Sondierung und Fund bis zur Benachrichtigung von Angehörigen nacheinander und nicht zeitgleich.

Die Enkelin kann es kaum glauben, dass ihr Großvater in naher Zukunft auf einer deutschen Kriegsgräberstätte begraben sein wird. Sein Name ist heute schon auf der Kriegsgräberstätte Nadolice Wielkie nahe Breslau verzeichnet.


Auf Evakuierung verzichtet

Erzählungen zufolge hatte der Großvater kurz vor Kriegsende auf eine Evakuierung aus der umkämpften Stadt verzichtet, weil er seine Angestellten nicht im Stich lassen wollte. Bei einem Tiefflieger-Angriff war er auf dem Hof eines Lebensmittelgroßhandels tödlich verwundet worden.

Im Grab Nr. 45 liegen jedoch zwei Tote dicht nebeneinander. Die genaue Untersuchung der Gebeine steht noch aus.

Geschichte der Enkelin auf RTL

Ein Fernsehteam begleitete die Ausbettung, besuchte die Enkelin in Oberfranken und war auch dabei, als sie zum ersten Mal in ihrem Leben nach Breslau reiste, um im Garten der Villa des Großvaters zu gedenken. In der Sendung „Life – Menschen, Momente, Geschichten” zeigte RTL am 13. Mai einen gut 15-minütigen Beitrag.

Kerzen zum Andenken

„Wir wussten, dass hier Kriegsopfer begraben sind“, sagt der Eigentümer des Hauses. „Das hat uns bisher nicht gestört, aber jetzt sind wir sehr froh, dass sie auf einem normalen Friedhof beerdigt werden.“ Vermutlich werden die Gebeine auf der Kriegsgräberstätte Nadolice Wielkie beigesetzt.

Die Familie mit vier Kindern im Alter von anderthalb bis elf Jahren legt großen Wert darauf, dass die Erinnerung wach bleibt: An allen Feiertagen zündete die junge Frau Kerzen für die Toten in diesem Teil des Gartens an. Während die Umbetter arbeiten, steht ebenfalls eine Laterne mit Kerze am Rand – Tag für Tag, solange die Arbeiten dauern.

Die Eigentümerin hat Wurzeln in Breslau – ihre Großeltern lebten in einem kleinen Dorf in der Nähe und wurden vertrieben. „Wer die Stadt kennt, weiß, dass überall Tote begraben wurden“, sagt sie. „Auch meine Familie sucht noch einen Angehörigen.“ Er war Soldat und ist noch immer vermisst.Dass der Volksbund die Toten birgt, ruft bei ihr größte Anerkennung hervor. Für sie hat das eine versöhnende und – mit Blick auf die Wunden, die der Krieg geschlagen hat – auch heute noch eine „heilende“ Wirkung.

Ort der Begegnung mit Gedenkstein

Die Familien will den vorderen Teil des Gartens 2024 zugänglich machen. Es soll ein Ort der deutsch-polnischen Begegnung werden. Ein Gedenkstein soll dann an die Toten erinnern, die 78 Jahre lang auf diesem Grundstück begraben waren und jetzt geborgen sind.

Nachtrag: 128 Tote hat das Team im Volksbund-Auftrag exhumiert. Sie sind inzwischen auf der Kriegsgräberstätte Groß Nädlitz (polnisch: Nadolice Wielkie) vor den Toren Breslaus im Rahmen einer Gedenkstunde bestattet worden. Den Bericht dazu finden Sie hier:
Am Grab des Opas: „Es gibt nichts Vergleichbares in meinem Leben“

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