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Seekriegsgräber – faszinierend, gefährdet, geplündert

Tagung von Volksbund und Konrad-Adenauer-Stiftung zum Schutz von Wracks unter Wasser in Hamburg

Weltweit liegen rund drei Millionen Wracks in Seen, Flüssen und Meeren. Sie werden geplündert, teilweise regelrecht ausgeschlachtet – auch wenn Tote dort ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Dann gelten sie als Seekriegsgräber, doch von Totenruhe kann keine Rede sein. Der Schutz von Wracks und Seekriegsgräbern war Thema einer Tagung in Hamburg, zu der die Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. eingeladen hatte.
 

Bisher gibt es kein wirksames Konzept zum Schutz, Plünderungen nehmen immer weiter zu – nicht nur für den Volksbund ein schwer erträglicher Zustand. Verschiedene Interessensgruppen wollen dem einen Riegel vorschieben.

 Sie haben unterschiedliche Themen im Blick: maritimen Umweltschutz, den historischen Wert der Wracks als „Zeitkapseln“, die Informationen bergen, die Erinnerung an Krieg und Mahnung zum Frieden, die Wahrung der Totenruhe. Taucher schließlich möchten ihrem Hobby nachgehen, ohne verdächtigt zu werden. Dazu kommen noch ungeklärte Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und den verschiedenen Anrainerstaaten von Meeren. Wo soll man anfangen?
 

Verschiedene Blickwinkel, ein Ziel

Ein erster Schritt war, alle an einen Tisch zu bringen: In Hamburg trafen sich Fachleute der Unterwasserarchäologie, der Marine, regionaler und nationaler Behörden und verschiedener Bereiche der Wissenschaft.

Von gesunkenen Wracks geht eine besondere Faszination aus. Das geht nicht nur Tauchern so. Doch manche belassen es nicht beim Anschauen. „Wer nichts mitbringt, war nicht da“ – dieses Motto scheint vorzuherrschen.

Dabei ist vielen Tauchern nicht klar, dass das Mitnehmen von Gegenständen, die scheinbar niemand mehr braucht, Diebstahl ist. Dass sie die Totenruhe der Menschen stören, die dort – auf schreckliche Weise – den Tod fanden. Das ist nicht nur pietätlos, sondern ein Straftatbestand. Am Grund von Nord- und Ostsee liegen zahlreiche Wracks mit Toten.
 

Von Totenruhe kann keine Rede sein

Dr. Christian Lübcke, Historiker und Geschäftsführer des Volksbund-Landesverbandes Hamburg, schätzt, dass allein in der Ostsee mehr als 400 Wracks mit über 55.000 Seekriegstote aus beiden Weltkriegen liegen. „Ihre Gräber sind geschützt“, so Lübcke, „doch von Totenruhe kann keine Rede sein.“

In seinem Einführungsvortrag schilderte er eindrücklich kommerzielle Plünderungen durch Tauchtourismus-Unternehmen. Einige bieten Touren zu Wracks an, viele Taucher lassen sich auch bei illegalen Plünderungen filmen und präsentieren sich in den sozialen Kanälen. Die Vermutung, dass manche sich auch zu Freibeutern berufen fühlen, lässt sich nicht vermeiden.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge betreut die Ruhestätten der Toten der beiden Weltkriege, des deutsch-französischen und des deutsch-dänischen Krieges. Die Seekriegstoten fallen aktuell noch nicht unter das Gräbergesetz, doch auch für sie gilt der Rechtsschutz.
 

Munition in Wracks gefährdet die Umwelt

Dr. Philipp Grassel vom Leibnitz Institut für Maritime Geschichte stellte das internationale und transdisziplinäre Kooperationsprojekt „North Sea wracks“ vor, an dem auch das deutsche Schifffahrtsmuseum beteiligt war. Im Vordergrund stand die Abwehr der Gefahr, die von Munition in den Wracks ausgeht. Viele Kampfmittel sickern im Laufe der Zeit in Wasser und Meeresboden. Deshalb wurden vorrangig militärische Wracks des Ersten und Zweiten Weltkrieges in der Nordsee erfasst – 120 insgesamt.

Die Hälfte wurde identifiziert, exemplarisch wurden 3 D-Modelle erstellt. Ziele dieses Projektes war die Entwicklung von Risikomanagement-Tools und die Erstellung einer Wanderausstellung zur Aufklärung der Öffentlichkeit. Doch die Forschungsergebnisse informieren auch über den Zustand der Wracks, ihre Lage, Zugangsmöglichkeiten und ihr Gefährdungspotential. 
 

Stein oder Sprengstoff?

Über die dramatische Gefahr für Menschen, die durch Munition im Wasser ausgeht, sprach Uwe Wichert. Denn sie ist nicht auf die Tiefe beschränkt. Die Munition korrodiert, der Sprengstoff wird freisetzt, verändert Form und Farbe und wird instabil. Wenn er dann ans Ufer oder den Strand gespült wird –  und optisch von Steinen nicht zu unterscheiden ist –, wird er für Spaziergänger und Steinsammler gefährlich.

Ein Beispiel: Pikrinsäure, ein kristalliner Feststoff, ist hochexplosiv. Er ist noch jahrzehntelang wärme- und druckempfindlich und gelangt durch Berührung in die Blutbahn. Allein das deutsche Militär hat mehr als 170 verschiedene Sprengstoffarten genutzt.
 

Mine nach 100 Jahren noch funktionsfähig

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden geschätzt 1,6 Millionen Tonnen Munition in Nord- und Ostsee verklappt. Wichert berichtete, dass im Sommer 2018 nahe der lettischen Hauptstadt Riga eine Mine aus der Ostsee geborgen wurde, die dort 1917 gelegt worden war. Sie war nach 100 Jahren im Wasser noch voll funktionsfähig.Auch in der Themse liegt ein mit Bomben beladenes Kriegsschiff. Wenn die Munition explodieren würde, müsste man mit einer Welle von vier bis fünf Metern rechnen. Um der Gefahr wirksam zu begegnen, müssten manche Wracks betaucht werden, auch wenn sie Seekriegsgräber sind.

Ethische Dimension

Die Europarechtlerin Prof. Sabine Freifrau von Schorlemer betonte die ethisch-moralische Dimension von Seekriegsgräbern. Sie seien wertvoll für Erinnerungskultur und Völkerverständigung und deshalb sei auch eine angemessene Sprache wichtig. Das Wort „Überreste“ sei unangemessen, es seien „Verstorbene“ und keine archäologischen Artefakte.

Den Schutz der Seekriegsgräber können die ehemals kriegführenden Nationen kaum allein gewährleisten. Vielmehr sollte eine international anerkannte Lösung gefunden werden, waren sich die Expertinnen und Experten einig. Deshalb wäre es ein gutes Zeichen, wenn die Bundesrepublik die UNESCO-Vereinbarung von 2001 unterzeichnen würde.

Schritte zum Schutz der Seekriegsgräber wären:

  • die In situ-Erhaltung (Erhaltung im ursprünglichen Umfeld)
  • Bergung nur bei akuter ökologischer Gefährdung beispielsweise durch Sprengstoff oder auslaufendes Öl
  • Verbot der kommerziellen Ausbeutung
  • gebührende Achtung „proper respect“, Vermeidung unnötiger Störung der Totenruhe
  • falls Tote geborgen werden, müssen sie würdig bestattet werden.

Zu einem Interview mit Sabine Freifrau von Schorlmer: bitte hier klicken

UNESCO-Vereinbarung unterzeichnen

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung waren sich einig, dass eine Unterzeichnung der UNESCO-Vereinbarung ein dringendes nötiges Zeichen zum Schutz der Seekriegsgräber wäre. Sabine von Schorlemer informierte über die Instrumente, die die UNESCO zur Verfügung hat. Zurzeit gebe es keine Hinweise aus dem Auswärtigen Amt, dass die Bundesregierung sich dieses Themas annehmen will.

Von Seemannsehre zum Gedenken

Dr. Jann Witt, Historiker des Deutschen Marinebundes, illustrierte den Wandel in der Gedenkkultur am Beispiel des Marine-Ehrenmals in Laboe. Bei der Grundsteinlegung im Jahr 1927 habe man noch der „deutschen Seemannsehr” gedacht. Am 30. Mai 1936 wurde das Denkmal von den Nationalsozialisten eingeweiht – Gedenkkultur im Zeichen ihrer Ideologie.

1954 und 1996 wurde das Gedenken erweitert und umfasst seitdem auch die gefallenen Gegner und die auf See Gebliebenen aller Nationen. In der Ausstellung in Laboe findet man auch das Gedenkbuch mit 63.686 Namen von auf See gebliebenen oder verschollenen Angehörigen der deutschen Kriegsmarine, das der Volksbund dem Deutschen Marinebund übergeben hat.

Südostasien: Schiffe ausgeschlachtet

Dr. Florian Huber, Unterwasserarchäologe und Tauchspezialist, entführte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf eine Unterwasserreise rund um die Welt – in
Tiefen, die auch heute noch erstaunlich wenig erforscht sind. 8.000 Menschen standen schon auf dem höchsten Punkt der Erde, dem Mount Everest, aber nur vier Menschen waren schon im Marianengraben, am tiefsten Punkt auf dem Meeresboden.

Die Plünderungen von Wracks sind ein weltweites Problem. In Südostasien werden ganze Schiffwracks an Land gehoben und komplett ausgeschlachtet. Das Altmetall ist ein wertvoller Rohstoff, der einträglichen Gewinn verspricht. Auch die Schleppnetz-Fischerei in tieferen Gewässern beschädigt Wracks.

Besonders zerstörerisch ist die Nutzung von Munitionsresten, die in manchen Gegenden von Fischern aus Wracks geborgen und dann beim Sprengstoff-Fischen eingesetzt werden. Die Menschen sind arm und müssen ihre Familien ernähren, erklärte Huber. Kein Verständnis hat er für Plünderer, die wiederholt und trotz Strafandrohung tauchen, um Diebesgut zu verkaufen und sich stolz in den sozialen Medien zu präsentieren.

Aufklärung und Sensibilisierung

Wie kann man nun den Plünderungen begegnen? Mehr Kontrollen und härtere Strafen, die abschreckend wirken, ist die erste Antwort. Tauchverbote brächten wenig, vor allem, wenn sie nicht durchgesetzt werden können, hieß es. Information, Aufklärung und Sensibilisierung sind wichtig – darüber waren sich bei der Tagung alle einig.

Folgende Maßnahmen wurden vereinbart: gegenseitige Information und das Knüpfen von Netzwerken, der Abgleich von Datenbanken sowie Austausch von Digitalisaten und Archiven, soweit das rechtlich realisierbar ist. Die Beteiligten wollen die Öffentlichkeitsarbeit intensivieren und so das Bewusstsein für dieses Problem schärfen.
 

Leitfaden für Taucher

Konkret geplant ist ein gemeinsam zu erarbeitender Leitfaden mit Verhaltensregeln für Taucher. Veröffentlicht werden soll er – gedruckt und digital –Anfang 2025 zur Messe „BOOT“. Geplant ist außerdem eine weitere Fachtagung mit Expertengespräch in Laboe.

Die Tagung in Hamburg war auch aus Volksbund-Sicht der erste wichtige Schritt mit  Vernetzung der Akteure. Der Leitfaden wird der zweite sein. Wenn es nun noch mit gemeinsamer Überzeugungskraft gelänge, die Bundesrepublik zur Unterzeichnung der UNESCO-Resolution zu bewegen, wäre ein großer Schritt auf dem Weg zum Schutz der Seekriegsgräber geschafft.

Experten im Gespräch

Auch Dr. Jann M. Witt, Historiker des Deutschen Marinebundes, stand dem Volksbundteam an Rande der Tagung Rede und Antwort. Er nahm das Marineehrenmal in Laboe bei Kiel in den Fokus. Zum Interview geht es hier.

Weitere Interviews:
Dr. Florian Huber, Unterwasserarchäologe und Tauchspezialist
Michael Setzer, Präsident des Verbandes Deutscher U-Bootfahrer
 

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist ein gemeinnütziger Verein, der dringend auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen ist. Im Auftrag der Bundesregierung sucht und birgt er Kriegstote im Ausland, bestattet sie würdig und pflegt ihre Gräber in 46 Ländern. Er betreut Angehörige und erreicht mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten jährlich mehr als 30.000 junge Menschen.