Volksbund Logo Desktop Volksbund Logo Mobil
Gräbersuche Mitglied werden Jetzt spenden Spenden

„Ukraine ist das demokratischste Land“

Heike Dörrenbächer, Abteilungsleiterin beim Volksbund, hat in Kiew gelebt und gearbeitet

Über ihre Beziehungen zur Ukraine, ihre Befürchtungen und Hoffnungen spricht Dr. Heike Dörrenbächer, Abteilungsleiterin für Gedenkkultur und Bildung im Hauptstadtbüro des Volksbundes, mit Diane Tempel-Bornett.


Sie haben in Kiew gelebt und gearbeitet. Was haben Sie dort gemacht und was hat Sie dort besonders beeindruckt? 

Ich war von 2009 bis 2011 Leiterin des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in der Ukraine und auch für Belarus zuständig. Die Ukrainer haben mich mit ihrem unglaublichen Freiheitswillen sehr beeindruckt. Bereits beim ersten Maidan, den wochenlangen Protesten 2004, ging es gegen die Fälschung der Wahlen im selben Jahr, die verhindern sollten, dass Viktor Juschtschenko Präsident wurde. Beim zweiten Maidan – wieder im Winter bei tiefen Minustemperaturen – gingen die Ukrainer erneut gegen Korruption und korrupte Eliten und für ihre Freiheit und ihre Zugehörigkeit zu Europa auf die Straße. 

Die Ukraine ist das demokratischste Land in der Reihe der ehemaligen Sowjetstaaten, in dem durch Wahlen Präsidenten und Regierungen gewählt und abgewählt wurden und in dem für Freiheit, Demokratie und gegen Korruption demonstriert wurde. 
 

Die Ukraine ist proeuropäisch eingestellt und wollte 2017 in die Nato eintreten. Ist es das, was Putin fürchtet?

Sicher gab es vor dem Krieg auch in der Ukraine Menschen, die einem Nato-Beitritt kritisch gegenüberstanden. Dies dürfte sich durch den Angriff Russlands geändert haben. 2017 wollte eine Mehrheit der Bevölkerung den Beitritt. Nun ist die Ukraine ein Pufferstaat, der keinen NATO-Schutz hat.
In diesem Krieg jetzt geht es nicht nur um die Freiheit der Ukrainer, sondern auch um unsere Freiheit in Europa. Putin führt Krieg in Europa, weil er seine Macht ausdehnen will, und es ist nicht klar, ob er mit der Ukraine aufhören wird. Experten warnen vor einer Fortsetzung der Aggression zum Beispiel gegen die baltischen Staaten. Viele Menschen auch in Deutschland haben Angst – auch die, die keine Russland- und Ukraineexperten sind. Sie haben Angst vor Aggression und dem Gedanken, dass Krieg in Europa herrscht und auch uns und unsere Freiheit bedroht.

 

2014 haben russische Truppen die Krim annektiert. Kennen Sie die Krim? Können Sie einschätzen, wie sich das Leben dort verändert hat?

Ich habe auf der Krim nicht nur vier Jahre schöne Sommerferien verbracht, sondern in vielen Projekten und bei Veranstaltungen mit den Krimtataren zusammengearbeitet, die sich für ihre Rechte einsetzen lernten. Jetzt sind sie wieder – wie schon unter Stalin – schlimmen Repressionen ausgesetzt.
 

Was denken Sie über die Situation in Russland?

Ich habe Russisch studiert, weil ich ursprünglich Diplomatin werden wollte. Die bisher längste Zeit in meinem Berufsleben, 15 Jahre, war ich Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde und habe mich in dieser Funktion intensiv mit Osteuropa beschäftigt. Meine Hoffnung in Bezug auf Russland ist, dass die Menschen dort nicht Opfer von schlimmster staatlicher Willkür und Repression werden – so, wie sich das gerade abzeichnet – und dass sich Putin für seine Taten in Den Haag verantworten muss.

Seit 2012 wurde die russische Zivilgesellschaft immer stärker eingeengt, um jegliche Kritik und Widerstand zu unterdrücken. Jetzt sind auch noch die letzten unabhängigen Medien abgeschaltet worden. Journalisten mussten das Land verlassen, um nicht aufgrund von staatlicher Willkür ihre Freiheit und ihr Leben zu gefährden.
 

Was haben Sie gedacht, als am 24. Februar der Krieg ausbrach?

Ich war und bin in Sorge um meine früheren Kolleginnen und Kollegen, um Bekannte – einfach um alle, die in den ukrainischen Städten ohne Rücksicht auf Verluste bombardiert werden und ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Wohngebiete, Krankenhäuser und Ähnliches handelt. Ich bin froh, dass sich viele Menschen schon in die Nachbarländer und auch nach Deutschland retten konnten, und ich hoffe, dass wir die Ukrainer unterstützen und alles dafür tun, damit Putin diesen Krieg nicht weiterführen kann.
 

Könnte der Volksbund mit seinen Beziehungen etwas tun? 

Das Einzige, was wir in der gegenwärtigen Situation tun können, ist, uns um Flüchtlinge zu kümmern und Menschen zu unterstützen, die unsere Hilfe brauchen.

Frau Dörrenbächer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

Ein aktuelle Information zur Volksbund-Arbeit in Russland, in Belarus und in der Ukraine finden Sie hier.