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Versöhnung in Zeiten des Angriffskrieges

Volksbund-Präsident Schneiderhan spricht bei der Einbettung in Halbe – Auftakt der Gedenkwoche zum 8. Mai

Am 5. Mai, 77 Jahre nach Kriegsende, sind Gefallene des Zweiten Weltkrieges auf dem Waldfriedhof in Halbe bestattet worden. Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan wies bei der feierlichen Veranstaltung auf den besonderen Charakter in Zeiten des russischen Angriffskrieges hin. Für den Volksbund war es der Auftakt einer Gedenkwoche zum 8. Mai.
 

Nüchtern nummeriert warten sie – die Särge von 93 deutschen Kriegstoten des Zweiten Weltkrieges, vor einer 52 Meter langen Gruftreihe. Warten worauf? Die Antwort ist schlicht und einfach: auf ein würdevolles Grab. 

Auf den ersten Blick ist es eine gewöhnliche Einbettung, wie sie unter regulären Umständen jedes Jahr in Brandenburg praktiziert wird: Worte des Gedenkens werden gesprochen, das Totengedenken verlesen, ein Geistlicher sorgt für Segen und Gebet. Auf Kranzniederlegungen der Delegationen folgen Totensignal und Schweigeminute, bevor die eigentliche Einbettung der Särge durch Soldaten der Bundeswehr beginnt.

Musikalisch umrahmt wird das militärische Prozedere vom Polizeiorchester Brandenburg. Soweit, so bekannt. Doch dieses Jahr ist etwas anders – deutlich spürbar liegt es in der Luft des Waldfriedhofes, auf dem sich zahlreiche Gäste aus Politik und Militär sowie Besucher und Angehörige der Toten eingefunden haben.

Kein alter Krieg

Jedem auf der großen Anlage südlich Berlins ist bewusst: Krieg, das ist nichts, wovon man nur in Geschichtsbüchern liest oder in Erzählungen der Großeltern hört – das Thema Krieg ist brandaktuell und allgegenwärtig. Und stets steht die Frage im Raum: Wie gedenkt man gleichzeitig der Opfer des Zweiten Weltkrieges, unter denen sowohl deutsche als auch sowjetische Soldaten waren, wenn gleichzeitig ein grausamer Krieg zwischen Russland und der Ukraine tobt? Und das im Mai 2022.

Volksbund-Präsident Schneiderhan findet dazu in seinem Grußwort klare, mahnende Worte: „Wohin am Ende ideologische Verleitung und falsche Worte führen, das kann man nirgendwo besser nachvollziehen als auf einer Kriegsgräberstätte wie in Halbe.“

Wolfgang Schneiderhan weiter: „Heutzutage stellen wir uns einer besonderen Herausforderung, und zwar: dass dieser Partner langjähriger Versöhnungsarbeit etwas Unfassbares getan, nämlich einen verbrecherischen Angriffskrieg auf einen souveränen Nachbarstaat entfesselt hat.“

Mitten im Leben sind wir im Tod

Auch Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis, greift das Thema Krieg in der Ukraine in seiner Gedenkrede auf: „Mit Blick auf unsere eigene deutsche Geschichte muss unsere Lehre sein: Kein Volk darf pauschal verdammt werden, auch die Russen nicht. Gerade dieser Ort mahnt uns zur Unterscheidung zwischen tatsächlich Verantwortlichen, Mitläufern, Geführten beziehungsweise Gezwungenen und Opfern.

Er fordert: „Die hier versammelten Vertreter der Politik und der militärischen Führung aller Ebenen, aber auch jeder einzelne Soldat, jede einzelne Soldatin – wir alle tragen hier die Verantwortung, dass sich Halbe wie Mariupol nicht wiederholen, dass Menschenrechte eingehalten werden.“

Unmissverständlich lautet seine Botschaft: „Die Bilder aus der Ukraine zwingen uns, hinzuschauen. Und dieser Ort, Halbe, zwingt uns, hinzuschauen. Uns Fragen zu stellen. Was ist ein Menschenleben wert?“ 

Der Friedhof als Brennglas

Vielen fällt es schwer, sich Tag für Tag die neuesten Nachrichten im Fernsehen anzusehen – jeden Tag Bilder von Bomben, zerstörten Häusern, Bilder von Angst, Flucht, Ungewissheit unter den Menschen in der Ukraine. Wie gleichgültig müssen einem andere Menschen sein, wenn man ihren Tod aufgrund eigener Interessensbefriedigung in Kauf nimmt? Militärpfarrer Matthias Spikermann betet: „Lege deinen Frieden in die Herzen derer, die Krieg über andere bringen.“

Der Geistliche segnet die Weltkriegstoten an diesem besonderen Ort, auf diesem Friedhof, der wie ein Brennglas wirkt. „Hier spüren wir, dass es um etwas Wesentliches geht, um das Wertvollste, das wir überhaupt haben, nämlich um das Leben selbst. Und dafür ist es ein Ort der Besinnung.“ Spikermann weiter: „Es ist unsere Aufgabe, etwas aus unserem Leben zu machen. Bedenke, dass du sterben musst, auf dass Du klug wirst. Diese Klugheit kann man an diesem Ort aufsaugen.“

Es ist die Hoffnung auf Versöhnung, auf ein schnelles Ende des Krieges in der Ukraine, die sich auch im Totengedenken wiederfindet. Darin heißt es: „Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.” Verlesen wird das Totengedenken von Prof. Dr. Ulrike Liedtke, Präsidentin des brandenburgischen Landtages und neue Landesvorsitzende des Volksbundes. 

Was ist ein würdevolles Grab? Für Umbetter Joachim Kozlowski besteht ein Grab aus mehreren Säulen. Liebe, Hoffnung, Familie, Zeit, für Sehnsucht, für Erinnerung gehören dazu. Ein Mensch gehört in ein Grab, nicht vergessen. Jeder hat ein würdevolles Grab verdient. „Wenn ich die Gebeine zum letzten Mal in den Händen halte, denke ich: Das ist der Platz, hier wirst Du ruhen“, sagt er. 

Über den Waldfriedhof Halbe

Während der Kämpfe des Zweiten Weltkrieges sind insbesondere im Gebiet des heutigen Brandenburgs sehr viele Kriegstoten oft nur notdürftig in Feldgräbern bestattet worden. Bei Bauarbeiten kommt es immer wieder vor, dass Kriegstote gefunden werden. Diese Toten werden einmal im Jahr in Halbe beigesetzt. Die Anzahl der Kriegstoten ist dabei ganz unterschiedlich, die Feier hat dabei stets einen würdevollen Rahmen.

Das Besondere an Halbe ist, dass dieser Friedhof schon in DDR-Zeiten angelegt wurde. Der einstige Ortspfarrer Ernst Teichmann, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg seine Pfarrstelle in Halbe angetreten hatte, fand an vielen Orten provisorische Gräber vor und erreichte, dass eine Kriegsgräberstätte für deutsche Soldaten angelegt wurde, was zu der damaligen Zeit sehr ungewöhnlich war. 

Einen Videorückblick zur Einbettung finden Sie hier: https://youtu.be/yNhkJlG4Glk

Zur Gedenkwoche in der Hauptstadt berichten wir im Artikel „Auftakt zum Gedenken am 8. Mai in Berlin”

 

Simone Schmid Referentin Kommunikation/Social Media