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Matthias Reißner – Musiker mit "Leidenschaft, Liebe und Hingabe"

Langjähriger musikalischer Leiter der Zentralen Gedenkstunde am Volkstrauertag im Bundestag verabschiedet sich – ein Gespräch

13 Mal hatte Matthias Reißner die musikalische Leitung im Plenarsaal am Volkstrauertag. Die diesjährige Gedenkstunde im Bundestag am 19. November ist seine letzte. Im Interview erzählt der Oberstabsfeldwebel und Musikzugführer im Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg, wie aus dem Horn-Schüler ein Berufssoldat wurde und was ihm bei seiner Arbeit wichtig ist.

 

Herr Reißner, wie sind Sie zur Musik gekommen?

Ich komme aus einer großen Familie und habe fünf Brüder. Als einer der jüngeren orientiert man sich an den älteren Geschwistern. Die gingen zur Musikschule und lernten Instrumente. Deshalb hatte ich auch den Wunsch, Musik zu machen. Eigentlich wollte ich Cello lernen, aber es gab keinen Lehrer und auch kein Instrument. Irgendwann rief die Musikschule meinen Vater an und sagte: „Herr Reißner, Sie haben doch so viele Kinder. Möchte nicht einer Waldhorn lernen?“

Ich wusste noch gar nicht, wie das Instrument aussah, aber im Leben passiert es ja oft zufällig, dass man irgendwohin gerät. Ich glaube, ich war auch nicht außergewöhnlich eifrig, sondern eigentlich ganz normal. Aber man braucht Durchhaltevermögen. Irgendwann hat das Hornspielen dann so viel Freude gemacht, dass ich sogar meine zweite Neigung – Fußball – hintenangestellt habe.

 

Haben Sie sich in der Schulzeit schon entschieden, Berufsmusiker zu werden?

Ja, das kam schon mit 15 Jahren. Da habe ich für mich klar definiert: Das möchte ich machen. Wahrscheinlich waren meine Lehrer wegweisend. Die waren sehr ambitioniert, haben mich begeistert und mitgerissen.

Mein Vater ist leider früh verstorben. Da war ich gerade 17 und ging noch zur Schule. Meine Mutter hat mir dann sehr geholfen. Ich musste zusätzlich Klavier- und Theorieunterricht nehmen, damit ich überhaupt eine Chance hatte, eine Aufnahmeprüfung an einer deutschen Musikhochschule zu bestehen. Wer sich für ein Musikstudium entscheidet, wählt einen künstlerischen Beruf. Da zählt nicht der Notendurchschnitt, sondern die Facheignung. Man muss auf seinem Instrument vorspielen sowie eine Klavier- und Theorieprüfung machen.

Anschließend habe ich meinen 15-monatigen Wehrdienst angetreten. Als ich in der Grundausbildung war, hatte ich meinen ersten Auftritt bei der Beerdigung von Franz Josef Strauß. Das war für mich als 18-Jährigen sehr beeindruckend. So viele Menschen auf einmal hatte ich bis dahin noch nicht gesehen.

Damals dachte ich schon: „Mensch, ich bleibe dabei.“ Ich bin anschließend an die Robert-Schumann-Hochschule nach Düsseldorf gegangen, habe mich nach drei Jahren als Wiedereinsteiger bei der Bundeswehr zurückgemeldet und mein Studium beim Ausbildungsmusikkorps in Hilden abgeschlossen. 1995 war ich für neun Monate bei der Marine in Wilhelmshaven. Als der damalige Chef beim Ausbildungsmusikkorps mich in Siegburg haben wollte, habe ich gesagt: „Ich komme sofort!“

 

Warum das Musikkorps der Bundeswehr und nicht ein Philharmonisches Orchester?

In erster Linie wollte ich natürlich einen kreativen, spannenden und abwechslungsreichen Beruf. Der Faktor der Sicherheit spielte bei mir auch eine entscheidende Rolle. Die Bundeswehr und nicht zuletzt der Militärmusikdienst haben mir all das bieten können und dafür bin ich sehr dankbar.

Neben vielen Auslandsreisen in die USA, nach Russland, Jordanien und in viele europäische Länder bleiben mir vor allem die vielen hochoffiziellen und teilweise geschichtsträchtigen Auftritte, Staatsempfänge und Festakte in besonderer Erinnerung. Es ist für mich eine Ehre, in diesem Ausnahmeorchester zu spielen und die Bundesrepublik Deutschland sowohl bei vielen Empfängen als auch auf der Konzertbühne zu repräsentieren.

 

Was bedeutet es für Sie, die musikalische Leitung beim Volkstrauertag zu haben?

Natürlich ist das eine riesige Ehre. Ich bin mir bewusst, welche Strahlkraft von dieser Live-Veranstaltung im Berliner Reichstag ausgeht. Es gibt immer ein Motto oder ein Partnerland. Ich möchte nicht einfach was aus dem Regal nehmen, sondern auch eigene Ideen umsetzen. Manchmal kommen Vorschläge vom Volksbund und manchmal von den Botschaften. Dieser Austausch ist ein spannender Prozess.

Der Volkstrauertag ist auch musikalisch ein Höhepunkt, weil er live ist. Welche musikalischen Events sehen wir heute noch live im Fernsehen? Fast keine mehr. Das bedeutet für uns alle hohe Konzentration, Vorbereitung auf den Punkt. Da bin ich froh, dass ich seit vielen Jahren professionelle Unterstützung vom Veranstalter, vom Volksbund, und natürlich auch von meinen Kameradinnen und Kameraden des Musikkorps habe. Wir schätzen aneinander die Verlässlichkeit und vertrauen uns gegenseitig blind.

 

Wann beginnen Sie mit den Vorbereitungen und Proben zum Volkstrauertag?

Wir beginnen im Juni mit den Vorbereitungen. Manchmal müssen aus dem Ausland noch Noten beschafft werden. Manchmal braucht man Sonderinstrumente. Wir hatten 2021 den lettischen Präsidenten, Egils Levits, zu Gast. Da wollte ich ein typisch lettisches Instrument einbauen. Wenn man so etwas machen will, muss man rechtzeitig anfangen, sonst schafft man es nicht. Ich lasse sehr oft Stücke für die Gedenkstunde im Reichstag neu arrangieren. Das braucht Vorlauf und ist am Ende häufig sogar eine Uraufführung.

 

Gab es einen Volkstrauertag, der Sie persönlich besonders berührt hat?

Ein Jahr war besonders spannend: 2020. Wegen der Pandemie konnten wir nicht im Reichstag sein. Also mussten wir ein Video aufnehmen. Das haben wir in einer Kölner Kirche gemacht. Alles musste koordiniert und organisiert werden, hat aber prima funktioniert. Das ZDF hat hinterher gesagt, sie könnten unsere Aufnahme 1:1 übernehmen. Wir haben ja alles im Haus: einen Toningenieur und sogar mehrere Komponisten!

 

Haben Sie einen Musikwunsch, den Sie gerne beim Volkstrauertag realisiert hätten?

Da bin ich nicht so egoistisch. Ich frage immer im Ensemble nach. Am liebsten sind mir ein paar Vorschläge und dann setzen wir uns zusammen. Der Prozess ist mir wichtig, die Zufriedenheit aller. Wenn man immer nur vorprescht und sagt, man müsse diese oder jene Musik spielen, dann haben wir einen Störfaktor. Das möchte ich vermeiden. Deswegen suche ich die Lösung im Kollektiv.

 

Sie begleiten viele offizielle Staatsakte. Ist der Volkstrauertag besonders?

Der Live-Charakter ist besonders: Für die Fernsehzuschauer sieht im Reichstag alles groß und weit aus. Aber in Wirklichkeit sitzen wir so dicht beieinander – man sitzt dem Bundespräsidenten fast auf dem Schoß. Die Leute können uns von allen Seiten sehen und oben sind noch die Kameras.

Aber es ist für mich natürlich auch viel Routine. 1988 hatte ich meine ersten Auftritte. Außerdem bin ich regelmäßig im Verteidigungsministerium, wo ich inzwischen 13 oder 14 Verteidigungsminister und -ministerinnen kennengelernt habe.

Ihre Sprache und Ausdrucksform ist die Musik. Gibt es eine verbale Botschaft, die Sie gerne zum Volkstrauertag übermitteln würden?

Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr Verständnis füreinander haben. Der Dialog gehört in den öffentlichen Raum. Ich würde es begrüßen, wenn man miteinander redet und nicht in sozialen Räumen ein Versteckspiel macht. Das ist für mich die erste Botschaft.

Das Anderssein auch zu akzeptieren, halte ich ebenfalls für unheimlich wichtig. Das fällt den Menschen schwer. Wir sollten wieder mehr Vertrauen haben, auch zu den Menschen, die einen etwas anderen Weg gehen. Das wird für die nächsten Jahre wichtig sein. Wir dürfen uns nicht auseinandertreiben lassen, weder durch die Krisen und Kriege, die wir jetzt gerade haben, noch durch falsche Darstellungen. Respektvoller Umgang miteinander ist nach wie vor wichtig in der Gesellschaft.

Jungen Leuten empfehle ich, ihren Beruf nach ihrer Herzensangelegenheit auszusuchen. Sonst wird man nicht glücklich. Wenn man seinen Job mit Leidenschaft, Liebe und Hingabe macht, dann wird man gut sein und seinen Weg gehen.

Was werden Sie in Zukunft machen? Werden Sie am Volkstrauertag 2024 vor dem Fernseher sitzen?

Mein Wunsch ist, dass ich nächstes Jahr als Zuhörer dabei bin, denn ich möchte die Veranstaltung gut übergeben. Ich werde die Proben mit dem neuen Leiter noch ein bisschen begleiten.

Als Reservist werde ich dann später wieder zum Orchester dazustoßen. Eventuell werde ich noch als Ausbilder arbeiten. Aber irgendwann lässt auch der Körper nach, die Kraft, die Konzentration, vielleicht auch die Fertigkeit auf dem Instrument. Dann kommt der Moment, wo man nicht mehr in einem professionellen Orchester spielen kann. Allerdings möchte ich das noch ein bisschen rauszögern. Musik kann man auch wieder zum Hobby machen. Dann setze ich mich ganz entspannt nur noch mit meinem Instrument auseinander.

 

Lieber Herr Reißner, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen für Ihre zukünftigen Projekte alles Gute!

 

 

Live aus dem Bundestag

Auch in diesem Jahr überträgt die ARD wieder live aus dem Bundestag: Die Zentrale Gedenkstunde des Volkstrauertages am Sonntag, 19. November 2023, beginnt um 13.30 Uhr. Mehr dazu lesen Sie hier: Volkstrauertag im Bundestag: Zusammenhalt in Europa wird Thema sein.

Materialien und Publikationen zum Volkstrauertag 2023 – auch zur Vorbereitung von Veranstaltungen – finden Sie im Gedenkportal.