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Menschlich in unmenschlichen Zeiten: die „Madonna von Stalingrad“

Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner über die Zeichnung von Kurt Reuber 80 Jahre nach dem Ende der Schlacht an der Wolga

Das Sanitätsregiments 2 „Westerwald“ trägt die „Madonna von Stalingrad” im Verbandswappen – gelb auf rotem Grund. Dr. Ulrich Baumgärtner stellt die Zeichnung von Kurt Reuber vor, die während der Schlacht um Stalingrad entstand. Der Generaloberstabsarzt ist der 16. Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr.
 

Die berührende Geschichte der „Stalingrad-Madonna” begann im Winter 1942. Seit Ende November waren die deutschen Soldaten der 6. Armee unter General Friedrich Paulus eingeschlossen. Die Versorgung aus der Luft war schlecht. Bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad verloren viele der hungernden und frierenden Soldaten den Glauben an die versprochene Befreiung aus dem Kessel von Stalingrad.
 

Kurt Reuber – Theologe und Mediziner

Unter den Eingeschlossenen befand sich auch der als Truppenarzt eingesetzte Theologe und Mediziner Kurt Reuber (1906 - 1944). Der dreifache Vater und Pfarrer war durch regimekritische Predigten und Einstellungen aufgefallen und wurde dafür 1939 an die Ostfront geschickt. Dort erregte er abermals Anstoß, indem er etwa Zivilisten versorgte.

Den vom Krieg zermürbten Männern im Kessel lag der Gedanke an Weihnachten eigentlich recht fern. Dennoch bereiteten sie sich auf das Fest vor: Sie sparten sich die knappen Lebensmittel zusammen, dekorierten ihre eisigen Unterkünfte, schnitzten Weihnachtsteller und bastelten Adventskränze und Weihnachtsbäume aus Steppengras und Holzspänen.
 

Tagelang im Verborgenen gezeichnet

Kurt Reuber bereitete tagelang heimlich in seinem behelfsmäßigen Atelier eine Überraschung vor. Mit einem Stück Kohle zeichnete er auf die Rückseite einer 95 mal 115 Zentimeter großen sowjetischen Landkarte ein Bild.

Heiligabend präsentierte Reuber seinen Kameraden im engen Bunker sein Werk. Im Kerzenschein fiel der Blick der Soldaten auf die Zeichnung, die an ein Holzbrett in der Lehmwand genagelt war. Gebannt und andächtig schweigend betrachteten sie das Bildnis der Madonna.

Maria und das Jesuskind sind in runden, weichen Formen dargestellt. Schützend sind beide in ein Tuch eingehüllt, die Mutter hält das Kind nah bei sich. Ein liebevolles Lächeln liegt auf ihren Lippen. Die Falten im Stoff werfen tiefe Schatten, doch auf die Gesichter von Mutter und Kind fällt Licht.
 

„Weihnachten 1942 im Kessel”

Das Bild strahlt Geborgenheit und Wärme aus, gibt Trost und Hoffnung. Die Worte: „Weihnachten 1942 im Kessel, Festung Stalingrad. Licht – Leben – Liebe” rahmen das Bild.

Als die Lage der Eingekesselten Anfang 1943 immer hoffnungsloser wurde, gab Reuber einem schwer verwundeten Offizier Briefe und Zeichnungen an seine Familie mit, darunter auch das Bildnis der Madonna.
 

Mit einer der letzten Maschinen

Es war einer der letzten Transportflüge, die es aus Stalingrad herausschafften. Kurz darauf brach der Widerstand der Wehrmacht zusammen und Reuber geriet – wie weitere 90.000 deutsche Soldaten – in Kriegsgefangenschaft, in der er am 20. Januar 1944 starb.

Die „Stalingrad-Madonna” ist ein Zeugnis der Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten und ein Bild der Hoffnung in aussichtsloser Lage, dessen Strahlkraft bis in die Gegenwart ungebrochen ist.

Zum Gedenken an die Gefallenen der Schlacht und zur Mahnung zum Frieden befindet sich das Bild seit 1983 in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Weitere Exemplare gingen als Zeichen der Versöhnung nach Wolgograd und Coventry.
 

Tradition in der Bundeswehr

Auch in der Bundeswehr hat die Madonna von Stalingrad eine Tradition. Sie ist auf dem Rosenkranz der Katholischen Militärseelsorge abgebildet und findet sich auf dem Verbandswappen des Sanitätsregiments 2 „Westerwald“, sehr passend zum Leitspruch des Sanitätsdienstes: „Der Menschlichkeit verpflichtet!“
 

Text:
Dr. Ulrich Baumgärtner
Generaloberstabsarzt und 16. Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr

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... zum Thema „Schlacht um Stalingrad”:
– Gedanken des Volksbund-Präsidenten Wolfgang Schneiderhan unter dem Titel Stalingrad – eine Tragödie der Welt 
– Weihnachten an der Wolga in Letzter Brief aus Stalingrad am 29. Geburtstag.