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Stalingrad – eine Tragödie der Welt

Vor 80 Jahren endete die Schlacht an der Wolga – Gedanken des Volksbund-Präsidenten Wolfgang Schneiderhan

Die wenigen noch letzten Überlebenden der Schlacht um Stalingrad sind heute hochbetagt. Die früher üblichen Kameradschaftstreffen gibt es schon lange nicht mehr, zu Gedenkveranstaltungen oder Gottesdiensten können die meisten nicht mehr kommen. Die Bürde des Alters wiegt schwer. Die schon sehr alten letzten Veteranen mögen sich fragen: „Wir haben die Hölle überlebt, aber unser Leben war für immer gezeichnet. Wer denkt heute noch an uns und an die vielen Toten?“
 

Vergleichsweise wenig liest man dieser Tage von einer der größten Schlachten des Zweiten Weltkrieges in der Öffentlichkeit. Es scheint fast so, als ob Stalingrad nur noch eine Seite im Geschichtsbuch ist. Keine Rede mehr von den Menschen, die dort starben oder die diese fürchterlichen Monate durchmachen und anschließend damit leben mussten.
 

Es geht um alle, die in Stalingrad starben

Dabei geht es ja nicht nur um die deutschen Gefallenen. An ihrer Seite fielen Zehntausende Österreicher, Rumänen, Italiener und Ungarn. Dann die unzähligen Soldaten, die in den Kriegsgefangenenlagern auf härteste Bedingungen trafen und vielfach dort den Tod fanden. Nur wenige Tausend sollten in die Heimat zurückkehren.

Auf sowjetischer Seite gab es eine ebenso gigantische Zahl an Gefallenen und an getöteten Zivilisten. Das genaue Ausmaß ist rückblickend schwer zu schätzen, aber man nimmt an, dass weit über zwei Millionen Menschen in dieser Schlacht und danach an den Folgen starben.
 

Weit mehr als zwei Millionen Tote

Können wir das überhaupt noch mit unserer Vorstellungskraft erfassen? Zwei Millionen – so viele Einwohner hat zum Beispiel die belgische Hauptstadt Brüssel. Würde man alle Namen vorlesen wollen, so würde das zwei Monate dauern. Wie wir es auch deuten wollen – es fällt uns schwer, diese Dimension des Sterbens zu begreifen.

Der millionenfache Tod deckt das Schicksal des Einzelnen manchmal zu, aber irgendwo auf der Welt gibt es für jeden dieser Toten eine individuelle Erinnerung, eine Familie, der vielleicht ein letztes Foto oder ein Brief geblieben ist. Eine verblassende Erinnerung an jemanden, der einmal ein Mensch mitten im Leben gewesen war: ein Vater, ein Bruder, ein Ehemann, ein Kamerad, ein Nachbar, ein Kind oder ein Freund.
 

Kapitulation kein Ende des Leids

Nur wenige unter uns haben noch unmittelbare Erinnerungen an jene grausame Schlacht in den Wintermonaten 1942/1943, die mit der Kapitulation der letzten eingekesselten Truppen der Achsenmächte zwar militärisch am 2. Februar endete, aber sich mit einer menschlichen Tragödie und großem Leid fortsetzte.

Entkräftet, erschöpft, ohne ausreichende medizinische Versorgung, unterernährt und ausgemergelt – so starteten viele Beteiligte in den ersten Februartagen des Jahres 1943 in eine ungewisse Zukunft. Gestorben und gelitten wurde auch an vielen anderen Schauplätzen des Krieges, aber die schiere Wucht und die Masse der Toten im Kampf um Stalingrad heben dieses Ereignis nicht nur in der Kriegsgeschichte heraus, sondern auch aus der Reihe der Gewalterfahrungen der Menschheit.
 

Tief empfundene, mitfühlende Trauer

Mancher mag versucht sein, auf diese Tragödie aktiv reagieren zu wollen: Erklärungen, Deutungen und Meinungen sind möglich. Andere führt die Beschäftigung mit Stalingrad eher in eine innere Stille: eine Stille der Gedanken und eine Stille des Herzens. Es ist eher eine tief empfundene und mitfühlende Trauer, die einen überkommen kann.

Anteilnahme am Leid anderer ist zutiefst menschlich. In diesem Mitgefühl können wir unsere eigene Menschlichkeit erfahren. Sie ist der Quell für unser Bekenntnis zur Humanität und zum Frieden. Deshalb lohnt es sich auch heute – 80 Jahre nach dem massenhaften Tod in und um Stalingrad –, Anteil zu nehmen, Mitgefühl zu zeigen und derer zu gedenken, die viel zu früh aus den Reihen der Lebenden gerissen wurden.

Mahnung des Totengedenkens ist zeitlos

Im traditionellen Totengedenken des Bundespräsidenten zum Volkstrauertag heißt es im letzten Satz: „Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.“ In diesen Tagen sollte uns die zeitlose Mahnung dieser Worte ganz besonders ins Herz gehen. Die unzähligen Toten von Stalingrad haben es verdient.

Text: Wolfgang Schneiderhan
Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge

 

Die deutsche Kriegsgräberstätte Rossoschka bei Wolgograd, dem früheren Stalingrad, wurde 1999 eingeweiht. Zuvor hatte der Volksbund den Bau eines russischen Soldatenfriedhofs finanziert, der 1997 als Versöhnungsprojekt eröffnet wurde. Beide Anlagen sind durch eine schmale Landstraße getrennt.

„BILD“ und „Südkurier“ berichten

„BILD“ griff am 2. Februar 2023 unter dem Titel „So klären sich noch heute Familien-Schicksale auf” das Thema auf. Zuvor hatte ihm der „Südkurier“ mehr als eine Seite gewidmet. Dort heißt es:

„Deutschland führt keinen Krieg gegen Russland und zwischen den beiden Völkern gibt es keine Feindschaft. Das demonstriert die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Er kann in Russland – wie auch in der Ukraine – weiter deutsche Gefallene des Zweiten Weltkriegs bergen und neu bestatten. Das ist politisch von hohem Wert.” So kommentiert Alexander Michel in der Ausgabe vom 31. Januar 2023.

Unter dem Titel „Die Toten werden nicht vergessen“ blickt der Redakteur zurück auf die Schlacht vor 80 Jahren und beleuchtet das, was der Volksbund heute in Russland und der Ukraine tut.
 

Feldpostbriefe aus Stalingrad ...

... hat das Volksbund-Projekt „Kriegsbiographien” gesammelt. Wie Walter Mewes, ein junger Feldwebel des Musikkorps des Infanterie-Regiments 211 der 71. Infanterie-Division, die letzten Wochen an der Wolga erlebte, lesen Sie hier: Letzter Brief aus Stalingrad am 29. Geburtstag
 

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