Ein improvisiertes Konzert und ein spontan gesungenes Lied – das ist der Kern unserer Geschichte zum ersten Advent. (© Pixabay / Desiré Dazzy Kekulé)
Musik an Soldatengräbern wie ein kleines Wunder
Geschichten aus der Weihnachtszeit: Erinnerungen an das Kriegsende berühren kanadische Schülerinnen und Schüler
In Oldenburg und Edewecht spielt die erste von vier Geschichten, die wir zu den Adventssonntagen mit Ihnen teilen möchten. Karl-Heinz Bonk hat sie uns erzählt. Im Mittelpunkt stehen musikbegeisterte junge Leute aus Kanada, Soldaten, die 1945 bei Edewecht starben, und am Ende so etwas wie ein kleines Wunder.
„‚Komm doch mit‛, hatte mein Enkel mich gebeten, ‚die Austauschschüler aus Kanada verabschieden sich mit einem kleinen Weihnachtskonzert‛. Dann saß ich inmitten von gut 100 Schülerinnen und Schülern und lauschte der Musik der kleinen Band. Da waren eine Querflöte und eine Trompete, ich hörte gebannt auf die Klänge der Klarinette und ließ die zarten Töne des Saxophons in mein so unruhiges Herz einziehen.
Am meisten aber war ich gebannt von der Musizierkunst einer Schülerin, die ihrem Instrument – einer Geige – geradezu zauberhafte Töne entlockte. Die jungen Leute spielten lauter weihnachtliche Weisen, die in mir alle Alltagsgedanken verblassen ließen.
Pausengespräch
In der Pause holte mein Enkel plötzlich die jungen Künstlerinnen und Künstler zu mir. Die kleine Geigerin stellte er extra vor: ‚Opa, das ist Eeltje, die spricht auch in Kanada noch Platt!‛
Für das Gespräch mit den jungen Leuten war die Pause viel zu kurz, aber ich hatte ihnen noch gesagt, dass ich ganz in der Nähe bei Kriegsende 1945 mit kanadischen Soldaten zu tun gehabt hatte. Damals war es noch zu sehr blutigen Auseinandersetzungen gekommen, bei denen viele junge Soldaten ihr Leben hatten lassen müssen. Einige derer, die gestorben waren, hatte ich vorher noch persönlich kennengelernt.
Die toten Soldaten aus Kanada
Dann verzauberte der zweite Teil des Abends die Zuhörer mit wunderschönen Weisen. Am Ende stellte die junge Geigerin ihr Instrument beiseite und sang das uns allen bekannte Weihnachtslied ‚Schneeflöckchen, Weißröckchen‛.
Später dann standen die jungen Musikanten bei mir. Zuerst hatte ich etliche Probleme mit meinem Schul-Englisch, doch letztlich spielte das keine Rolle, denn dann bestimmten Plattdeutsch und die vorher erwähnten toten Soldaten aus Kanada das Gespräch.
Ist es weit bis Edewecht?
‚Man hat sie schon bald in ihre Heimat überführt, aber über 140 weitere Tote fanden auf dem großen Friedhof in Edewecht ihre letzte Soldaten-Ruhe‛, sagte ich. ‚Die können solch ein schönes Weihnachtskonzert nicht mehr erleben wie von euch eben‛, rutschte mir noch raus.
Einer der jungen Musiker fragte mich: ‚Ist es weit bis Edewecht? Bis zu den Gräbern?‛ Ich erzählte noch, dass man hier den ersten größeren Soldatenfriedhof nach dem Krieg errichtet hatte und dass ich damals mehrmals an den Gräbern der Gefallenen gewesen war, weil ich einige der Toten persönlich gekannt hatte.
Konzert zu Ehren der Gefallenen
Die jungen Leute beredeten kurz etwas und dann fragte der Trompeter: ‚Können wir nicht bei den Gräbern noch ein kurzes Konzert geben – einfach dort draußen zu Ehren der Gefallenen?‛ Wir einigten uns auf den folgenden Samstag und dass ich mit meiner Familie und dem Schuldiener nach Edewecht mitfahren würde.
Die kanadische Schülergruppe kam mit ihren Instrumenten, lediglich die Geigerin fehlte. ‚Sie ist die letzten Stunden bei ihrem neuen Freund‛, erfuhren wir. Angekommen am Soldaten-Friedhof waren die jungen Leute zunächst schweigsam und verharrten am Tor. Doch dann ging der Kleinste von ihnen durch die Grabreihen bis zur Mitte vor, begleitet von dem Trompeter.
An den Gräbern von 17-Jährigen
Bis in mein tiefstes Innerstes zog es, mein Herz krampfte fast, als dann die ersten Töne über den Gräbern erklangen. Die anderen Instrumente stimmten mit ein. Wir, die wir nur die Begleitung waren, fröstelten und waren einfach ergriffen.
Die jungen Musiker zogen nach ihrem kleinen Konzert durch die Grabreihen. Wir hörten, wie sie sich gegenseitig darauf hinwiesen, dass unter den Begrabenen sogar 17-jährige Soldaten liegen. Schweigsam sammelte man sich wieder vor dem Tor.
Kleines Mädchen singt ein Lied
Dann geschah noch etwas, das uns erstaunen ließ: An einer anderen Ecke des Friedhofs stand eine Frau mit zwei Kindern. Eines löste sich von der Hand der Mutter und ging zwischen den Grabreihen zu einem der Gedenksteine, die sich alle gleichen. Das Mädchen im Wintermantel begann, mit heller, feiner Stimme zu singen: ‚Alle Jahre wieder...‛. Als das Lied zu Ende war, rannte es wieder zur Mutter zurück.
Ergriffen stiegen wir ein und machten uns auf die Rückfahrt. Im Wagen mochte keiner etwas sagen. Erst bei der Verabschiedung sprach der Saxophonist ein Wort: ‚Wonderful!‛
An diesem Samstag fiel bei uns der erste Schnee.”
Text: Karl-Heinz Bonk aus Oldenburg
Auf der Kriegsgräberstätte Edewecht sind 424 Kriegstote aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges bestattet – überwiegend junge deutsche Soldaten, die bei den Kämpfen am Küstenkanal im April 1945, nur wenige Tage vor dem Ende der Kampfhandlungen in Nordwestdeutschland, starben.
Unsere Geschichte zum zweiten Advent:
Ein Baum und das Spielzeug der verlorenen Söhne
Erinnerungen als Hörbuch
Ausgewählte Geschichten aus unserem jüngsten Weihnachtsbuch haben wir als Hörbuch veröffentlicht. „Licht in der Dunkelheit“ heißt die neue CD, die wir Ihnen gerne auf Bestellung zuschicken. Jede Geschichte ist auch direkt über die Mediathek anzuhören. Diese Erinnerungen hatten uns Mitglieder und Förderer für den vierten Band „Weihnachten in schwerer Zeit“ in der Volksbund-Buchreihe zugeschickt. Zu beziehen sind CD und Buch kostenfrei über die Mediathek und per E-Mail.
Wenn auch Sie noch eine Geschichte zu Weihnachten zu erzählen haben, freuen wir uns über Ihre Zuschrift per E-Mail oder per Post an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, FRIEDEN-Redaktion, Sonnenallee 1 in 34266 Niestetal.