Wie schwierig darf das Gelände sein, so dass das Umbetterfahrzeug noch durchkommt? Auf dem Standortübungsplatz der Kaserne Bad Frankenhausen testeten das die Experten, bevor sie nach Ostern in ihre Einsatzgebiete reisen. (© Joachim Kozlowski)
Umbetter-Tagung: unwegsames Gelände, gefährliche Funde
Zum Auftakt der Saison schult der Volksbund die Experten für den internationalen Einsatz
Es war ein Härtetest in der „Kyffhäuser-Kaserne” Bad Frankenhausen in Thüringen, wo Umbetter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. zum Auftakt der Saison zusammenkamen. Der Lerneffekt – ganz praktisch: Wie schwierig darf Gelände für das Umbetter-Fahrzeug sein und wie helfe ich mir selbst mit Bordmitteln, wenn ich mich festgefahren habe? Einer von etlichen Punkten an zwei Tagen.
Die Rede ist von dem VW Rockton, den die Eva Mayr-Stihl Stiftung dem Volksbund samt Anhänger gespendet hat. Er rollte auf dem Übungsgelände im Morast über Baumstämme und andere Hindernisse – bis an die Grenze des Machbaren. Unter Anleitung eines Kraftfahrfeldwebels überwanden alle Fahrer die „Geländelehrbahn” erfolgreich und schadlos.
Halbe langfristig Standort?
Auf lange Sicht soll das Fahrzeug – intern „Umbettermobil“ genannt – im brandenburgischen Halbe stehen, wo der Volksbund-Umbettungsdienst möglicherweise einen dauerhaften Ausbildungsstützpunkt einrichtet. Doch das ist Zukunftsmusik – vorerst steht der Rockton weiter in Kassel/Niestetal für Einsätze europaweit bereit.
Bei der jährlichen Tagung im Frühjahr gehört auch immer das Verhalten bei Kampfmittel-Funden dazu: Zehn Umbetter – Angestellte und Freiwillige – erfuhren unter anderem, warum Munition mit Säurezündern auch nach Jahrzehnten im Erdboden noch explodieren kann, sobald man ihre Lage verändert.
Auch die Gespräche untereinander sind ein wichtiger Grund für die Zusammenkunft der Männer. Was haben sie gesehen und erlebt im vergangenen Jahr? Welche Bilder gehen ihnen nicht aus den Köpfen? Gegenseitiges Verständnis und Hilfe untereinander machen es leichter, in die neue Saison zu starten und wieder über Monate draußen zu sein – oft genug allein.
Sondiernadeln gesegnet
Außergewöhnlich im Tagungsprogramm war in diesem Jahr eine kleine Zeremonie, bei der Militärpfarrer Sven Hofmann vom katholischen Militärpfarramt Bad Frankenhausen 15 neue Sondiernadeln segnete.
Zuvor hatte Arne Schrader, Leiter der Abteilung Kriegsgräberdienst, mit einer alten Nadel symbolisch die Energie von unzähligen erfolgreichen Sondierungen auf die neuen Geräte übertragen – mit diesen Worten: „Wurden früher Waffen gesegnet, bitten wir heute um Segnung unseres Tuns und unserer Werkzeuge – Werkzeuge des Friedens in einer unfriedlichen Welt.“
Geschweißt und gespendet
„Sondiernadeln, wie der Volksbund sie seit Jahrzehnten erfolgreich nutzt, gibt es nicht von der Stange”, erklärt Arne Schrader. „Die neuen Nadeln aus V2A-Stahl wurden nach exakten Vorgaben der Nutzer von einer Unterstützerin extra geschweißt und dem Volksbund gespendet.”
Anhand des Widerstandes beim Einstechen in den Grund erkennen die Umbetter unterschiedliche Festigkeiten und können so leichtgängigen Boden alter Gräber von schwergängigem gewachsenen Boden unterscheiden.
„Sie verkleinern die Narben”
Von Narben, die bleiben, wenn ein Soldat gestorben ist, sprach der Militärpfarrer in einer kurzen Andacht. „Um wieviel tragischer ist es, wenn Familien kein Grab besuchen können? Wenn Gefallene weit weg von ihrer Heimat womöglich im Schützengraben nur mit etwas Erde bedeckt wurden?”, fragte Sven Hofmann. „Sie verkleinern die Narben, denn Sie suchen und finden. Sie bringen die Kriegstoten nach Hause“, sagte der Geistliche. Das ist im übertragenen Sinn zu verstehen und meint die Einbettungen der Geborgenen auf Kriegsgräberstätten und die Tatsache, dass das Referat Gräbernachweis möglichst Angehörige informiert.
Rück- und Ausblick
Zur Frühjahrstagung gehörten auch Rück- und Ausblick auf die vergangenen und die kommenden Monate – ebenso der Dank an die 4. Kompanie des Versorgungsbataillons 131, durch deren Unterstützung das Programm in dieser Form überhaupt erst möglich wurde. Nach zwei Tagen in Bad Frankenhausen ging das Treffen noch zwei Tage lang in der Bundesgeschäftsstelle in Niestetal weiter.
Im Osten waren die Umbettungsteams im vergangenen Jahr in 15 Ländern erfolgreich. Aber: „Mehr als die Hälfte unserer Einsätze enden inzwischen leider ohne, dass wir Gebeine an den Orten finden, die uns gemeldet wurden“, betonte Arne Schrader.
Exhumierungen 2023 (in Auszügen):
gesamt: 11.984
Russland: 5.753
Polen: 2.087
Ukraine: 1.609
Belarus: 1.504
Deutschland: 394
Kroatien: 300
unter 100: Slowakei, Ungarn, Rumänien, Westeuropa
unter 20: Litauen, Estland, Lettland, Montenegro, Georgien, Moldawien, Tschechien
Eine Besonderheit 2023 war die symbolische Ausbettung des einmillionsten Kriegstoten, den der Volksbund seit 1992 im Osten geborgen hatte. Diese Wegmarke war im September erreicht: Die Exhumierung im litauischen Kelme hatte großes öffentliches Interesse hervorgerufen (mehr lesen). Beigesetzt wird der Tote mit voraussichtlich etwa 140 weiteren am 27. August 2024 auf der deutschen Kriegsgräberstätte in Kaunas. Der Bezirksverband Unterfranken organisiert eine Bus- und Schiffsreise ins Baltikum so, dass die Gruppe dabei sein kann.
Grablagen mit mehr als 1.000 Toten
Für die kommende Saison hat der Volksbund erneut auch große Grablagen erfasst, mehrere davon mit mutmaßlich über 1.000 Toten. In vielen Ländern arbeitet er seit Jahrzehnten mit qualifizierten Partnerfirmen zusammen.
Trotz des Krieges geht die Arbeit auch in der Zentralukraine und im Westen des Landes weiter – auf Wunsch der lokalen Umbetter, die damit ihre Familien ernähren. Nach vielen Jahren des Wartens haben die Behörden dort jetzt auch die Genehmigung zur Exhumierung auf einem archäologischen Objekt erteilt, sagt Umbetter Vladimir Ioseliani. Der Grund: „weil Deutschland die Ukraine unterstützt.“
In Russland bleibt 2024 der Südwesten ein Schwerpunkt. Hier wartet das Team um Denis Deryabkin auf Genehmigungen zu Ausbettungen. „Die Situation kann sich täglich ändern“, sagt der Umbetter.
Aufbruch nach Osten
Jetzt starten die Umbetter Richtung Osten, wo Anfang April die ersten Einsätze beginnen. Nur Joachim Kozlowski bleibt im Land – er ist der einzige Umbetter in Deutschland und vor allem in Brandenburg im Einsatz, wo im Frühjahr 1945 die Kämpfe tobten und noch kurz vor Kriegsende unzählige Opfer forderten.
Auch für die freiwilligen Umbetter, die die Profis seit kurzem europaweit unterstützen, steht der nächste Einsatz an: In Auchy-les-Mines gehen die Exhumierungen nach und nach weiter. Mehr dazu lesen Sie hier: Notausbettung in Frankreich: drei Länder, eine Mission.
Die Ausbildung weiterer Freiwilliger setzt der Volksbund beim nächsten Lehrgang im April 2024 in Havelberg fort (mehr dazu in der FRIEDEN 2-2023 ab S. 19: „In der Freizeit Umbetter sein”).
Der Volksbund ist ...
... ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung im Ausland Kriegstote sucht und birgt, sie würdig bestattet und ihre Gräber pflegt. Daraus leitet er einen Bildungsauftrag ab. Weil er seine Arbeit überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert, ist er dringend auf Unterstützung angewiesen. Danke, dass Sie uns helfen!