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Volksbund birgt den einmillionsten Kriegstoten in Litauen

Identifizierung in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv in Berlin

Es ist ein Meilenstein in der Arbeit des Volksbundes, ein trauriges Jubiläum und doch ein Erfolg: Am 28. September 2023 haben die Umbetter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. nahe Kelme, Litauen, symbolisch den einmillionsten Kriegstoten seit 1992 in Osteuropa ausgebettet. Das Bundesarchiv, mit dem der Volksbund eng zusammenarbeitet, hat den Toten identifiziert. 
 

Die Zahl von einer Million kann natürlich nur eine symbolische sein. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Abschluss des Kriegsgräberabkommens zwischen der Bundesrepublik und der Russischen Föderation begann eine neue Zeitrechnung und damit auch eine neue Zählung. Dieses Kriegsgräberabkommen war ein Modell für zahlreiche Länder in Osteuropa. Dort fanden – und finden – die Experten die weitaus meisten Kriegstoten. 

 

Erkennungsmarke an Bundesarchiv

Bis zum Herbst wollte der Volksbund die Wegmarke von einer Million geborgener Kriegstoter erreicht haben. Dieses Ziel kam Anfang September in Sicht. Bei der Sondierung der Grablage nahe Kelme im Norden Litauens hatten die Experten erkannt, dass dort ein Toter mit einer vollständigen deutschen Erkennungsmarke – zusammen mit zwei weiteren Gefallenen – bestattet liegt. Die Grabung konnte nun vorbereitet werden.

Das Foto der Erkennungsmarke ging an das Bundesarchiv in Berlin. Dort recherchierten die Fachleute der Abteilung Personenbezogene Auskünfte und konnten die Identität des Toten ermitteln. Mit Hilfe der Verzeichnisse und Datenbanken fand man die entsprechende Wehrmachts-Einheit.
 

Sanitätsgefreiter aus Sachsen-Anhalt

Es handelt sich um einen Sanitätsgefreiten aus dem heutigen Sachsen-Anhalt, der im April 1943 zur Wehrmacht eingezogen und in der 5. Kompanie der Panzer-Aufklärungs-Ersatz und Ausbildungs-Abteilung 1 eingesetzt war. Der verheiratete Mann war Jahrgang 1912. Die letzte im Bundesarchiv vorliegende Meldung vom 20. Juli 1944 besagt, dass er zuletzt zum Panzergrenadier-Bataillon 2101 gehörte.

Seine Einheit war bis Oktober 1944 in Estland, Lettland und Litauen eingesetzt. Im Raum Kelmé kämpfte sie Anfang Oktober 1944. Die letzten deutschen Soldaten verließen Kelmé am 6./7. Oktober 1944.
 

Hohe Verluste dokumentiert

In den Beständen des Bundesarchivs sind nur wenige Unterlagen dieser Einheit für August und September 1944 vorhanden. Sie dokumentieren hohe Verluste. Der Geborgene ist dort allerdings nicht genannt. Aus der Nachkriegszeit liegen keine Informationen über die Suche nach dem Geborgenen vor. Anfang der 1960er Jahre wurde jedoch ein Todeserklärungsverfahren angestrengt.

Im nächsten Schritt wird das Bundesarchiv beginnen, Angehörige zu ermitteln, um sie zu informieren und ihnen die Erkennungsmarke auszuhändigen. Außerdem werden Todeszeitpunkt und Todesort festgestellt und der Sterbefall angezeigt. Dies ist das übliche Vorgehen der Kooperation von Volksbund und Bundesarchiv bei Kriegsgräberrecherchen. 

Ein Anwohner hatte den Sanitätsgefreiten und zwei weitere Soldaten gefunden und begraben. Seine Familie umzäunte die Grabstätte und pflegte sie bis zur Ausbettung (Interview dazu).
 

„Absolute Ausnahme“

Dem Gräbernachweis des Volksbundes liegt weder eine Verlustmeldung noch ein sonstiger Grablagehinweis vor. Deshalb handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen bislang Vermissten. Der nächste Schritt nach der Bergung ist die Protokollierung der Funde im Rahmen der Gebeinaufnahme.„Dass hier ein Toter so rasch identifiziert werden kann, ist die absolute Ausnahme“, sagt Arne Schrader, Leiter der Abteilung Kriegsgräberdienst im Volksbund. „Das war nur möglich, weil wir diese Ausbettung symbolisch für den einmillionsten Geborgenen vorbereitet und eine Erkennungsmarke gefunden haben.”

Bittere Erkenntnis

12.000 bis 15.000 Toten exhumieren die Volksbund-Umbetter pro Jahr. Darum ist normalerweise der Weg bis zu einer möglichen Identifizierung und zur Suche nach Angehörigen deutlich länger.

„Zu der Zahl der eine Million Geborgenen seit dem Fall des Eisernen Vorhanges gehört allerdings auch die bittere Erkenntnis, dass der Volksbund im gleichen Zeitraum Meldungen zu Gräbern von mehr als 670.000 Kriegstoten im Ausland überprüft hat, die entweder nicht mehr zu finden oder nicht zu bergen waren, beispielsweise wegen Überbauung“, erklärt Arne Schrader.

Sein Dank galt den litauischen Kollegen für ihren Beitrag bei der Ausbettung – den Mitarbeitern des Kulturwerteschutzdienstes, der im Volksbund-Auftrag arbeitet – und Thomas Schock. Der „Chefumbetter”, der den Volksbund in Kürze verlässt, leitete die Grabung und Exhumierung. Arne Schrader hatte die Federführung bei diesem Einsatz.
 

Eine Million – jeder einzelne ein Verlust

Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan verfolgte die Exhumierung im Rahmen einer fünftägigen Baltikumreise und sagte dazu: „Eine Million Menschen – das ist die Bevölkerung einer Großstadt. Die riesige Zahl darf nicht dazu führen, dass die einzelnen Menschen ihre Bedeutung verlieren. Jeder einzelne ist ein Verlust und hat eine Lücke in einer Familie, in einem Freundeskreis hinterlassen.“

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sprach der Präsident von großer Dankbarkeit, die er empfunden habe – dafür, dass diese Ausbettung möglich war, dass er sie gemeinsam mit General Valdemaras Rupšys, dem Oberbefehlshaber der litauischen Streitkräfte, verfolgen durfte und dass der Volksbund die deutschen Soldaten in litauischer Erde bestatten darf.
 

Erinnerung lebendig halten

Bundesarchiv-Präsident Michael Hollmann erklärte: „Das Bundesarchiv bewahrt rund 75 Kilometer personenbezogene Wehrmachts-Unterlagen auf. Diese Meldungen, Listen oder Karteien sind Voraussetzung dafür, dass Schicksale von Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg aufgeklärt werden können – sei es bei Kriegsgräberrecherchen oder Anfragen von Privatpersonen. So bleibt die Erinnerung an die Schrecken des Krieges lebendig.“

Die Federführung bei der symbolischen Ausbettung hatte Arne Schrader. Er leitet beim Volksbund die Abteilung Kriegsgräberdienst. Sein Dank galt den litauischen Kollegen: den Mitarbeitern des Kulturwerteschutzdienstes, die die drei Soldaten ausgebettet haben. 
 

Staatlicher Auftrag – privater Verein

Die Aufgabe des Volksbundes, Kriegstote im Ausland zu finden, sie zu bergen, würdig zu bestatten und ihre Gräber zu pflegen, ist noch lange nicht erfüllt. Darum setzt er sich mit dem „Eine-Million-Projekt“ ein zweites ehrgeiziges Ziel: Bis zum Herbst will er eine Million Euro an Spenden sammeln.

Der Volksbund arbeitet zwar im Auftrag der Bundesregierung, doch als humanitäre Organisation erfüllt er seinen Aufgabe – anders als vergleichbare Institutionen in anderen Ländern – als Verein. Der Volksbund finanziert seine Arbeit überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Auf mehr als 830 Kriegsgräberstätten in 46 Ländern pflegt der Volksbund aktuell die Gräber von mehr als 2,8 Millionen Kriegstoten.
 

Zeitgleich in 14 Ländern aktiv

Eine Momentaufnahme von Anfang September hat gezeigt: 120 Umbetter waren zeitgleich in 14 Ländern östlich und südöstlich der deutschen Grenze im Einsatz. Ende August lag die Zahl der ausgebetteten Toten seit 1992 bei knapp 999.000. Damit dürfte die Million tatsächlich im Lauf dieses Monats erreicht sein. 

Weitere Informationen zur Arbeit des Volksbund-Kooperationspartners Bundesarchiv:
www.bundesarchiv.de

Mehr lesen Sie unter anderem in der HNA (Hessische-Niedersächsische Allgemeine): Geboren 1912, verheiratet: Volksbund bettet in Litauen millionsten Kriegstoten um

Das „Eine-Million-Projekt“

Um auch das zweite ehrgeizige Ziel des „Eine-Million-Projekts“ zu erreichen, braucht der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Ihre Hilfe. Unterstützen Sie unsere Arbeit, zu der außer Umbettungen und Pflege der Kriegsgräberstätten auch die Betreuung von Angehörigen sowie Jugend- und Bildungsarbeit gehören. Unser Motto „Versöhnung über den Gräbern – Gemeinsam für den Frieden” ist wichtiger denn je!