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Volksbund-Workcamps: „Tolle Erfahrungen auf sicherer Erde“

Jugendbegegnungen in Zeiten des Krieges – Saison 2022 geprägt von Offenheit, Empathie und Wertschätzung

Anders als erwartet wirkt sich der Krieg auf die internationalen Volksbund-Workcamps aus – das ist die wichtigste Erkenntnis am Ende der Saison 2022. Auf Konflikte hatten sich die Leitungsteams vorbereitet, doch statt dessen war der Umgang innerhalb der Gruppen achtsamer, hatten Begegnung und Austausch einen besonders hohen Stellenwert. In zwölf Ländern fanden 31 Jugendbegegnungen statt.


Auch die Pflege von Kriegsgräbern und die Besuche an historisch wichtigen Orten hinterließen offenbar noch tiefere Spuren als sonst. Für den 17-jährigen Edmondo aus Italien etwa waren die Eindrücke im früheren Konzentrationslager Dachau die einprägsamsten der Camp-Zeit in München.

„Die Verbindung zwischen der Geschichte und den Lehren, die wir daraus ziehen, hat eine neue Dimension“, sagt Heike Baumgärtner. Seit 20 Jahren leitet sie Workcamps als Bildungsreferentin in Konstanz. „Aktuell sehen wir, was passiert, wenn wir nicht aus der Vergangenheit lernen.“

 

Verbindendes besonders stark

Stärker in den Fokus rückte das, was verbindet, das gemeinschaftliche Erleben. Gründe waren die lange Corona-Pause, aber auch der Krieg: Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen schätzten es offenbar besonders hoch, dass sie grenzüberschreitend Freundschaften schließen und voneinander lernen durften.

Erfahrungen aus erster Hand scheinen wichtiger als zuvor. „Wie ist es bei Euch?“, ist eine Frage, die oft und mit echtem Interesse gestellt wurde. „Sehr große Offenheit, Empathie und gesteigerte Sensibilität für den interkulturellen Austausch“ nennt Heike Baumgärtner als besonders prägend für diese Saison.

Das zeigte sich zum Beispiel beim Nationen-Abend – einem traditionellen Camp-Baustein – in München: „Das hatte eine andere Dimension als sonst und war einzigartig in der Kommunikation", sagt Katharina Eckstein. Sie hat elf Workcamps mitgemacht und war jetzt zum ersten Mal als Teamerin dabei.

Kein Dauerthema, aber in allen Köpfen

„Der Krieg war kein Dauerthema“, berichtet Heike Baumgärtner, „aber das Wissen war in allen Köpfen. Gerade in den internationalen Camps in Deutschland gab es Diskussionen, denn die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen aus Nachbarländern der Ukraine. Auch Medien, Berichterstattung und Propaganda wurde oft thematisiert.“ In der Verurteilung des Krieges waren sich alle stets einig.

Das galt auch für München – das einzige Camp, in dem eine russische Studentin aus Bonn und drei ukrainische Studentinnen dabei waren. Auch dort war die Stimmung überaus harmonisch, wuchs die Gruppe besonders schnell und eng zusammen.

Keine Ausreise für Rostock-Camp

Wenige junge Leute aus der Ukraine nahmen an weiteren Workcamps teil. Zu Pflegearbeiten auf dem Waldfriedhof München schrieb die 18-jährige Yaryna: „Das war für mich moralisch sehr schwierig. Zu verstehen, dass die gleichen Gräber und Friedhöfe auf uns warten, hat mich beeinflusst und ließ mich die Bedeutung dieser Arbeit verstehen.“

Für „Rostock international“ hatten sich aus der Ukraine Anastasiia, Daryna und Stanislav angemeldet. Als der 20-Jährige Stanislav Richtung Deutschland ausreisen wollte, sei er an der Grenze zurückgehalten worden – wegen der Wehrpflicht, berichtet Bildungsreferentin Viktoria Blahó.

 

Georgisches Statement aus Riga

In Riga machte Viktoria Blahó mit Teilnehmenden aus Deutschland, Slowenien, Lettland und Georgien diese Erfahrung: Die Georgier reagierten mit großer Anteilnahme auf den Krieg – geprägt von den Erfahrungen des Russland-Georgien-Krieges 2008.

Die Teilnehmenden vom Europe-Georgia Institute zeigten ihre Solidarität mit der ukrainischen Flagge. Außerdem betonten sie, wie wichtig Projekte wie die Volksbund-Workcamps für sie seien, um den Dialog mit den europäischen Nachbarn weiterführen zu können.

Drei statt zwei Nationen auf dem Golm

Zu einem besonderen Angebot entwickelte sich das Camp für 13- bis 16-Jährige auf dem Golm. Traditionell ist es deutsch-polnisch. Dass eine fünfköpfige Schülergruppe aus der Region Rivne in der Ukraine mit ihrer Lehrerin dazukam, gründete auf einem kurzfristigen Beschluss. „Wir wollten den Jugendlichen Abstand zu ihrem Alltag ermöglichen und so viel Normalität wie möglich bieten“, erklärt Anne Schieferdecker.

„Dafür bot sich dieses Projekt besonders an”, sagt die Bildungsreferentin. „Die Zusammenarbeit mit dem polnischen Partner ist eingespielt, das Leitungsteam war erfahren und die Jugendbegegnungsstätte des Volksbundes auf dem Golm hat durch ihre Lage und die pädagogischen Angebote perfekte Rahmenbedingungen.“
 

Gute Balance als Ziel erreicht

Aber es brachte auch Herausforderungen mit sich: Sprachbarrieren überwinden, drei statt zwei Gruppen miteinander in Kontakt bringen und sensibel mit Sorgen und Ängsten umgehen – auch weil einige Jugendliche zum ersten Mal über längere Zeit von ihren Familien getrennt oder überhaupt im Ausland waren.„Eine gute Balance zwischen engem Kontakt nach Hause und erholsamem Abstand war wichtig“, so Anne Schieferdecker. „Das ist uns gelungen – mit viel Raum für Austausch und für Aktivitäten wie Sport und Wettbewerbe.“

„Wir haben so viel erfahren und voneinander gelernt. Die neuen Freundschaften überragen alle Grenzen.“

Sebastian Bierdzinski, Teamer aus Warschau

Frieden als wichtigste Botschaft

Teamer Sebastian Bierdzinski aus Warschau ergänzt: „Es war ein Segen, auf sicherer Erde und weit entfernt von den Problemen zu Hause mit freundlichen Menschen tolle Erfahrungen zu machen. Wir haben so viel erfahren und voneinander gelernt. Die neuen Freundschaften überragen alle Grenzen.“

Die wichtigste Botschaft des Camps sei Frieden, so der 21-Jährige. „Während ich diese Zeilen schreibe, lese ich die schrecklichen Nachrichten aus der Ukraine. Eine Stadt in der Nachbarschaft von Jugendlichen, die bei uns in Camp waren, wurde zerbombt.“

„Zukunft in Frieden zu selbstverständlich“

Anfang Juli hatte Heike Baumgärtner im Interview gesagt: „Mit dem Krieg in der Ukraine müssen wir jetzt viele Botschaften neu formulieren und den Krieg thematisieren.“ Am Ende der Saison sagt sie: „Neue Botschaften brauchen wir nicht. Aber wir haben eine Zukunft in Frieden für viel zu selbstverständlich erachtet. Jetzt wissen wir, dass es noch mehr gemeinsame Anstrengung braucht.“

Camp-Teilnehmer Julian Borysławski aus Zabrze in Polen hatte im Interview vor Beginn der Saison gesagt: „Ich denke, jetzt wird es auch in den Workcamps schwieriger.“ Dass sich seine Befürchtung nicht bewahrheitet hat, macht Hoffnung. Und vielleicht motivieren gerade die Workcamps dieses Sommers alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch mehr dazu, sich aktiv für ein friedliches Europa einzusetzen. Gefördert wurden sie vom Deutsch-Polnischen Jugendwerk und durch den Kinder- und Jugendplan des Bundes.

 

Mehr lesen Sie hier:

„Ein großer Moment für den Frieden – Workcamp in München mit elf Nationen – Zusammenhalt in Zeiten des Krieges besonders eng“ (FRIEDEN 2-2022, S. 18-19).

Interview mit Heike Baumgärtner Juli 2022: „Das lässt hoffen und ist vielen ein großer Trost“

Interview mit Lenya Misselwitz und Julian Borysławski im Juni 2022: Volksbund-Arbeit aktuell: „Auch in Workcamps wird es schwieriger“
 

Workcamps 2023

Mehr Informationen zu Workcamps und Jugendbegegnungen für junge Leute bis 26 Jahre im In- und Ausland finden Sie hier. Wer Mitglied im Volksbund ist, bekommt Rabatt: Für ihn oder sie ist der Teilnehmerbeitrag um 25 Euro günstiger. Das Programm für 2023 steht kurz vor Jahresende.