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Wetter schlecht – Laune gut: Volksbund-KidCamp auf dem Golm

Jugendliche aus drei Ländern vertiefen Geschichte, pflegen Gräber und erleben Gemeinschaft

24 Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren nehmen bis zum 16. August am KidCamp in der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte Golm (JBS) auf der Insel Usedom teil. Sie kommen aus Deutschland, Polen und der Ukraine und werden von einem vierköpfigen Team betreut. Dr. Heike Dörrenbächer, Leiterin der Abteilung Gedenkkultur und Bildung, hat sich vor Ort ein Bild gemacht.
 

Seit Tagen zeigt sich die „Sonneninsel“ Usedom von ihrer regnerischen und stürmischen Seite. Man mag kaum vor die Tür gehen, so stark sind Wind und Regen. Dabei erkunden die jungen Leute aus den drei Ländern die Kriegsgräberstätte und pflegen sie. Sie haben ein 14-tägiges Programm, bei dem sie vor allem mit dem Fahrrad die verschiedenen historischen Orte der Insel entdecken wollen.
 

Gemeinschaft mit Vielfalt

Doch die Fahrräder müssen leider stehen bleiben. Das tut der Stimmung keinen Abbruch. Dem Leitungsteam ist es gelungen, nach nur drei Tagen aus den drei nationalen Gruppen eine Gemeinschaft zu bilden: mit vielen Aktivitäten, Spielen und Workshops – beispielsweise zu Jugendorganisationen im Nationalsozialismus, geleitet vom pädagogischen Mitarbeiter der JBS, David Vogel.

Die Campleiterin Imke Scholle ist Heilerziehungspflegerin aus Warendorf und nimmt sich schon zum neunten Mal zwölf Tage Urlaub, um junge Leute des KidCamps zu betreuen. Warum sie das macht? „Ich bin über meinen Vater zum Volksbund gekommen und habe später im Jugendarbeitskreis Nordrhein-Westfalen, dann auch auf der Volksbund-Bundesebene Aufgaben übernommen. Es macht mir Spaß, verschiedene Nationalitäten, Kulturen und Geschichte zusammenzubringen. Geschichte wird in jedem Land anders vermittelt, vor allem in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg.“ Der Austausch darüber und das gegenseitige Kennenlernen sind ihr wichtig.

Einmal dabei, immer wieder dabei

Das sieht Alexander Dropmann, Berufssoldat aus Minden, ähnlich. Auch für ihn ist das Lernen aus der Geschichte eine wichtige Motivation, sich beim Volksbund als Teamer zu engagieren. „Nur wer vergisst, macht denselben Fehler zweimal“, sagt er. 2003 war er als Teilnehmer das erste Mal bei einem Workcamp dabei.

Seine Eltern hatten in der Lokalzeitung davon gelesen und ihn mit auf die Reise geschickt, sein damaliger Campleiter hat ihn als Teamer rekrutiert. Auch Alexander nimmt sich Urlaub, bekommt aber von seinem Arbeitgeber Bundeswehr fünf Tage Sonderurlaub. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass sein Chef die Jugendarbeit des Volksbundes sehr schätzt und die Bundeswehr ein wichtiger Kooperationspartner ist.

Sprache kein Hindernis

Wie verständigen sich drei Nationalitäten untereinander? Alle sprechen Englisch, und wenn das mal nicht für das gemeinsame Verständnis ausreicht, dann hilft Sebastian Bierdzinski, der als Sprachmittler dabei ist. Er spricht Deutsch, Englisch und Polnisch. „Leider kann ich kein Ukrainisch, das versuche ich zu lernen“, sagt er. Zum dritten Mal ist er auf dem Golm dabei.

Sebastian studiert Jura an der Universität Warschau und möchte später gerne in einer internationalen Organisation für die Einhaltung von Gerechtigkeit und Menschenrechten arbeiten. „Wenn alle in der Gruppe sich auf Englisch gut verstehen, sprechen wir Englisch, ansonsten übersetze ich in die anderen Sprachen“. Und das geht erstaunlich gut: Sebastian erklärt den Ablauf des Programms rasch in den drei Sprachen.

Teambuilding als Ziel

Dem Studenten macht es großen Spaß zu übersetzen. Er macht das schon, seit er 14 Jahre alt ist. Zum ersten Mal war er in einem Jugendcamp für Neun- bis Dreizehnjährige als Sprachmittler dabei. Sein Vater ist Soldat und arbeitet für die NATO – so kam es, dass er insgesamt sechs Jahre in Deutschland gelebt und auch sein Abitur in Rheinland-Pfalz gemacht hat. „Schwierig wird es nur, wenn es zu viele Nebengeräusche gibt, die sich mit den Wörtern vermischen. Manchmal ist es auch schwierig, wortwörtlich zu übersetzen“.

Aber das ist nicht wichtig. Bei dieser internationalen Jugendbegegnung geht es darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, und das gelingt mit Hilfe der Teamer sehr gut. Obwohl das Wetter eher herbstlich ist und die Sportflächen der JBS meist leer bleiben, ist die Stimmung fröhlich und ausgelassen. Das ist dem Teambuilding der pädagogisch versierten Teamerinnen und Teamer zu verdanken.

Ukraine zum zweiten Mal dabei

Olena ist stellvertretende Direktorin und Englischlehrerin eines Gymnasiums im ukrainischen Kostopil, einer Ortschaft 30 Kilometer entfernt von Rivne in der Westukraine. Pawel Prokop, Leiter des Fachbereichs internationale Jugendbegegnungen beim Volksbund, kennt sie privat und hat ihr 2022 nach Kriegsbeginn vorgeschlagen, mit Schülerinnen zum KidCamp auf den Golm zu kommen. Sie nahm das Angebot dankend an.

„Lehrer ist kein Beruf, sondern ein Lebensstil“, sagt Olena. Ihre Schülerinnen haben im vergangenen Jahr nicht nur große Fortschritte auf Englisch gemacht, sondern auch in anderen Bereichen wie Geschichte. Das hat dazu geführt, dass sie beim zweiten Besuch in diesem Jahr zwar acht ihrer Schülerinnen und Schüler mitbringen konnte, aber es habe sehr viel mehr Bewerber als Plätze gegeben. Ein Wettbewerb brachte die Entscheidung, wer dabei sein darf.

„Die Schülerinnen und Schüler wachsen auch als Persönlichkeiten“, so Olena. Obwohl die Anreise mit dem „Flix-Bus” von Rivne nach Berlin 30 Stunden gedauert hat – inklusive zwölf Stunden Aufenthalt an der Grenze, sind sie froh, hier zu sein. „Hier können meine Schüler wenigstens für kurze Zeit dem Krieg entkommen“, sagt Olena, wenngleich die jungen Leute aus der Ukraine trotzdem die Angriffe und Alarme in ihrer Heimat auf dem Handy verfolgen und nicht einfach ausblenden können.

„Abend der Persönlichkeiten“

Ein Highlight der besonderen Art ist der „Abend der Persönlichkeiten“: Alle 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellen sich mit Hilfe eines mitgebrachten Gegenstandes, Videos oder einfach mit einer kurzen Präsentation ihrer individuellen Interessen und Hobbies vor. Beeindruckend, was dort zu sehen und zu erleben ist: Malerei, Skizzenbuch, ukrainische Gebärdensprache, Fahrradkunststücke, Schachprofi, Mathe- und Würfelgenies, Scout-Erfahrungen mit praktischen Anleitungen, Sport und eine junge Sängerin, die das Zeug zum Profi hat ...

Es erfordert viel Mut für Jugendliche, sich vor eine Gruppe zu stellen und zu singen oder andere persönliche Erfahrungen mit der Gruppe zu teilen. Wie gut die Gruppe schon nach drei Tagen funktioniert, zeigt sich am Schluss des Abends: Sebastian macht polnische Musik an und erklärt einen polnischen Tanz, bei dem alle mitmachen. Schön wäre es, wenn die jungen Leute auch bald zum Gegenbesuch in die Ukraine fahren könnten, aber daran ist erst nach Kriegsende zu denken.

Das KidCamp wurde aus Mitteln des Auswärtigen Amtes im Rahmen des Projekts „TRIYOU-Östliche Partnerschaft“ über das Deutsch-Polnische Jugendwerk (DPJW) gefördert.
 

Workcamps aktuell:

Weitere Berichte finden Sie unter anderem hier:

Workcamp München in den ARD-Tagesthemen (ab Minute 20:30 etwa): tagesthemen | tagesschau.de

Camp Berlin international: Hauptstadt mal anders: zwischen Pflegen und Erinnern

Workcamp in Osnabrück: Internationaler Austausch, Geschichte und gelebte Politik

Workcamp im Oderbruch: „Träumen Sie noch vom Krieg?“ – „Ja, jede Nacht“

Text: Dr. Heike Dörrenbächer
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