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Work Camp Masuren 2021 – Ein doppeltes Erfolgserlebnis

"Alle Theorie ist grau, und nur der Wald und die Erfahrung ist grün", schrieb der deutsche Forstwissenschaftler Friedrich Wilhelm Leopold Pfeil im 19. Jahrhundert. Ein Leitsatz, der im Work Camp des Volksbundes im polnischen Masuren einmal mehr seine Entsprechung fand.

Ziel des ersten freiwilligen Arbeitseinsatzes im Jahr 2021 war die Instandsetzung und Pflege einer bislang unverzeichneten und nur lokal bekannten Kriegsgräberstätte aus dem ersten Weltkrieg. Nahe der masurischen Kleinstadt Wielbark (Willenburg) in einem weitläufigen Kiefernwald gelegen, hatte die Natur ober- und unterirdisch zunehmend von der letzten Ruhestätte für 136 meist unbekannte russische und 8 namentlich beigesetzte deutsche und russische Kriegstote Besitz ergriffen. Mehrere Bäume waren in den vergangenen einhundert Jahren auf dem Friedhof gewachsen. Ihre Wurzeln hatten die granitsteinernen Säume der Kameradengräber angehoben, in denen die russischen Kriegsteilnehmer mehrheitlich bestattet worden waren. Wo sie gefällt worden waren, ragten ihre morschen Stümpfe aus dem ohnehin unebenen Boden heraus. An anderer Stelle waren die Einfassungen durch Absackung in der Erde verschwunden oder gar durchweg von Moos überwachsen und keiner der Grabsteine war noch vollständig lesbar. Ein im Vergleich zu Kriegsgräberstätten andernorts recht guter Zustand, gleichwohl würde das Herrichten eines würdevollen Zustandes viel geduldige Fleißarbeit und muskelzerrenden Krafteinsatz bedeuten. Immerhin hatte seit der Vorbereitungsfahrt wenige Wochen zuvor, eine wohlmeinende Hand jedoch zwischenzeitlich den umgebenden Zaun aus naturbelassenen Asthölzern sorgfältig neu gestrichen. Mutmaßlich eine Geste, um anzuzeigen, dass man auch vor Ort im Rahmen der oft engen finanziellen und personellen Grenzen darum bemüht ist, die Kriegsgräberstätten in einem angemessen Zustand zu erhalten.

 

Selbständige Teamarbeit

Nicht minderen Eifer legten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Work Camps an ihrem ersten Arbeitstag vor. Nachdem die Anreise mit dem Bus von Frankfurt an der Oder den ganzen vorherigen Tag aufgezehrt hatte, war die Schaffenskraft nun groß und bedurfte hier und da des ordnenden Eingriffs, damit die Arbeiten in sinnvoller Reihenfolge stattfinden konnten, ohne sich dabei gegenseitig zu behindern. Grundsätzlich organsierten sich die einzelnen Arbeitsteams aber weitgehend eigenverantwortlich, so dass sich bald entlang der eigenen Interessen, Fähigkeiten und der körperlichen Kondition mehrere selbstständige Gruppen herausgebildet hatten. Während die einen mit Spitzhacken die aus Flucht und Winkel gedrückten Randsteine aus dem Boden lösten, maßen andere die Lage der Gräber und der darauf ruhenden Grabsteine ein, um sie nach Abschluss ihrer Aufbereitung wieder an ihren ursprünglichen Ort setzen zu können. Denn sie bedurften einer besonders zeitraubenden und intensiven Einzelbehandlung mit Essigreiniger und Wurzelbürste, um den Moos- und Flechtenbewuchs entfernen zu können. Wo nötig wurden dann die verwitterten Schriftzüge nachgraviert und farblich nachgezeichnet. In Einzelfällen konnten die Buchstaben erst durch aufgelegtes Pergamentpapier und Schraffur wieder sichtbar gemacht werden. Eine sehr individuelle Arbeit, die die Arbeitenden zwangsläufig mehr über die Menschen, deren Grabsteine sie bearbeiteten und ihre Schicksale nachdenken ließ. Wiewohl sich die Gräberstätte in einem Gelände befindet, wo im August 1914 die sogenannte „Schlacht bei Tannenberg“ tobte und das in der näheren Umgebung von zahlreichen Gräben und Stellungen aus jener Zeit durchzogen ist, verloren wohl viele der dort Bestatteten im Lazarett durch die Cholera ihr Leben. So ist „eine tückische Krankheit“ auf einem der deutschen Grabsteine als Todesursache bezeichnet. 

Eine andere Gruppe ließ ihre Kräfte sinnvoll walten, indem sie Baumstümpfe und deren Wurzeln aus dem Boden grub. Ein wertvolles Füllmaterial, das ein anderer Trupp, den es ebenfalls in die Tiefe zog, später gut gebrauchen konnte. Denn weiter hinten im Wald hatte man eine täglich tiefer werdende Grube ausgehoben, aus der in stetigem Strom sauberer masurischer Kiessand gefördert wurde, der für das neue Setzen der Grabumfassungen als Unterbau dienen sollte. Die von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Schubkarren erforderten darüber hinaus besondere Fähigkeiten im Umgang. Während die eine mit einem schmalen Vollgummireifen auf weichem Untergrund kaum zu bewegen war, brach der anderen bald einer der beiden Metallbügel zum Abstellen ab. Ein findiger Teilnehmer brachte als Ersatz zwar ein aus einem Ast angefertigtes Holzbein an, die Karre galt jedoch fortan als Invalide. Herausfordernd war auch das Versetzen der teilweise über 100 Kilo schweren Natursteine. Eine anstrengende Handarbeit. Glücklicherweise unterstützte die Bundeswehr das Work Camp des Volksbundes durch die Bereitstellung eines Reisebusses, eines Begleitfahrzeuges und die Entsendung von Bundeswehrangehörigen als Fahrer. Jene ließen es sich nicht nehmen, mit guter Laune, Musik und Muskelschmalz diese schweißtreibende Tiefbauarbeit durchzuführen.

Fähigkeiten und Erfahrung aus drei Generationen

Besonders an diesem freiwilligen Arbeitseinsatz in Masuren war der große Anteil von etwa einem Drittel der 19 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die das erste Mal dabei waren. Andererseits hatten mehrere seit dem ersten Work Camp im Jahr 2007 kaum eines je verpasst und verfügten so über viel Erfahrung in der Herangehensweise an die anstehenden Arbeiten. Auch der Bogen der vertretenen Lebensalter spannte sich weit über das Teilnehmerfeld. Von Mitte Zwanzig bis Ende Siebzig, wobei der Altersdurchschnitt durch den Zuwachs an neuen Engagierten nach unten gezogen wurde. Das ist besonders deshalb bemerkenswert, weil hier die gemeinsame Arbeit für den Frieden nicht nur für die nachfolgenden Generationen, sondern gleich mit der nächsten zusammen stattfand. So ergänzten sich nicht nur die unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorhanden Fähigkeiten zur Umsetzung des konkreten Arbeitsauftrages vor Ort. Auch ein gemeinsames Verständnis von Erinnerungskultur und dem Umgang mit den Zeugnissen der Gewaltherrschaft konnte so in generationenübergreifender Verständigung hergestellt werden. Dazu kamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an mehreren Abenden der beiden Work Camp-Wochen nach der Arbeit im Konferenzraum der Unterkunft zusammen, um zusätzlich etwas über die Geschichte, die Region oder aber auch die Arbeit des Volksbundes im Allgemeinen und die vergangenen Work Camps im Besondern zu erfahren. Ergänzt wurde das Wissen um die Woiwodschaft Ermland-Masuren und ihre lange, an oft leidvollen Umbrüchen reiche Geschichte durch mehrere Exkursionen. Bei Schifffahrten über den Nikolaiker See, auf dem technischen Denkmal des Oberländischen Kanals oder beim Besuch der ehemaligen Hansestadt Danzig ergaben sich gute Gelegenheiten, um auch untereinander ins Gespräch zu kommen. Gleich am ersten Tag vor Ort hatte die Gruppe außerdem beim Bürgermeister der Gemeinde Wielbark ihre Aufwartung gemacht, der mit der Unterstützung eines Übersetzers Näheres über die Geschichte seines Ortes berichtete, dankbar für die Unterstützung und seinerseits behilflich war, indem das örtliche Kulturzentrum für die mittägliche Verpflegung der freiwilligen Arbeiterinnen und Arbeiter genutzt werden konnte. Auch dort war ein Team den Tag über im Einsatz, um abwechslungsreich das leibliche Wohl zu gewährleisten. Ein für die Aufrechterhaltung der allseits guten Laune und des Arbeitseifers maßgeblicher Beitrag zum Gelingen des Work Camps. Das Wetter trug ein Übriges bei, denn die Tage in Masuren waren nahezu durchgängig von Sonnenschein geprägt, so dass man auch im Schatten des Waldes im T-Shirt arbeiten konnte und so die berüchtigten masurischen Mücken jederzeit ausreichend Angriffsfläche fanden.

Erfolgserlebnis über das gesteckte Ziel hinaus

Die Arbeiten gingen sogar so gut voran, dass nach der ersten Woche ein Teil der Gruppe auf einer anderen Kriegsgräberstätte des ersten Weltkriegs ans Werk gehen konnte. Die lag unmittelbar in Wielbark neben dem Kulturzentrum. Hier galt es den Holzlattenzaun abzuschleifen und neu zu streichen und zudem auf den Flächen des Friedhofs große Mengen Laub, Unkraut und Totholz zu entfernen. Am Ende der zweiten Woche konnten somit an zwei Orten Gedenkveranstaltungen als feierlicher Abschluss der Arbeiten stattfinden. Gestaltet und vorgetragen wurden die Beiträge von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern selbst. 

„Man merkt deutlich, wie wir als Gruppe zusammengewachsen sind“, sagte einer der Teilnehmer schon zu Beginn der zweiten Woche. Ein Eindruck, den viele andere teilten. Denn obwohl diese Gruppe „sehr heterogen“ war, wie eine andere Teilnehmerin bemerkte, ging es niemanden aus ihr bloß um die Verwirklichung eines individuellen Reiseerlebnisses, sondern von vornherein darum, gemeinsam ein Projekt in die Tat umzusetzen und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Ein Erfolgserlebnis, dass mit dem Work Camp in Masuren einmal mehr erreicht wurde.