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„Bundeswehr hat Narben mitgenommen“

Interview in der „Sächsischen Zeitung“: Generalsekretär und Brigadegeneral a.D. Dirk Backen über seine Erfahrungen in Afghanistan und die Folgen für künftige Auslandseinsätze

„Die Bundeswehr hat in Afghanistan das geleistet, was man von ihr verlangt hat. Dass das nicht gereicht hat, um Grundlagen für einen dauerhaften Frieden zu schaffen, ist sicher eine politische Niederlage. Aber es ist nicht automatisch ein militärisches Desaster“, sagte Dirk Backen, seit Mai Generalsekretär des Volksbundes. Als Brigadegeneral a.D. gab er Karin Schlottmann ein Interview, das am 20. August 2021 in der „Sächsischen Zeitung“ erschienen ist. Damit setzt der Volksbund seine Reihe „Fremde Federn“ fort.

 

Wann waren Sie in Afghanistan und welche Aufgaben hatten Sie dort?

Ich war 2011 für sieben Monate in Afghanistan. Die Brigade, die ich damals befehligt habe, stellte den Löwenanteil des deutschen Beitrags im Norden. Eingesetzt war ich als Operationschef und einige Wochen lang auch als Kommandeur des internationalen Hauptquartiers in Masar-i-Sharif, nachdem dessen Kommandeur bei einem Anschlag schwer verletzt wurde. Die Bundeswehr hat sich damals im Wesentlichen mit Wiederaufbauteams engagiert. Sie hat aber auch zwei Ausbildungs- und Schutzbataillone bereitgestellt, die gemeinsam mit den Afghanen die Streitkräfte des Landes trainiert haben.
 

Die USA haben über 80 Milliarden Dollar für den Ausbau der afghanischen Armee ausgegeben, und auch Deutschland hat viel Personal und Geld in die Ausbildung investiert. Warum waren die Streitkräfte nicht willens oder nicht in der Lage, ihr Land zu verteidigen?

Mit dieser Frage werden sich die Experten sicherlich noch lange beschäftigen. Es gibt keine einfache Antwort. Ich persönlich glaube, dass jede Armee so etwas wie ein inneres Feuer braucht, das sie motiviert, für eine Sache persönlich einzustehen und zu kämpfen. Für mich war es in 40 Jahren in Uniform immer klar: Es geht um den Einsatz für Menschenrechte, demokratische Werte und Freiheit. Ich habe mich als Soldat immer mit meinem Land und für die Werte, für die es steht, identifiziert.
 

Das ist in Afghanistan anders?

Ja. Die Loyalität gehört eher einem Clan oder einem regionalen Machthaber, nicht dem Staat. In dieser Region mit vielen Ethnien gibt es viele, teilweise hartnäckige Gewaltstrukturen mit unterschiedlichen regionalen Machtverhältnissen. Es wird daher auch für die Taliban nicht leicht sein, Afghanistan zu regieren. Was dort fehlt, ist die Idee einer nationalen, verbindenden Einheit. Diese Klammer fehlte wohl auch den afghanischen Streitkräften.
 

Haben Sie dies schon während der Ausbildung gespürt?

2011, da will ich ehrlich sein, habe ich daran geglaubt, dass es gut wird. Dass es am Ende doch nicht gereicht hat, mag an vielen Faktoren gelegen haben. Vielleicht wurde zu früh mit dem Rückzug begonnen. Als Soldat ist man daran interessiert, den Erfolg abzusichern. Aber ich kann auf der anderen Seite auch verstehen, dass in den USA und bei den europäischen Partnern der Druck zu groß geworden ist und die Frage, wie lange das noch gehen soll, immer drängender wurde. Nach 20 Jahren mussten alle feststellen, dass sich der Erfolg nicht einstellen will.
 

Heißt dies für die Angehörigen der Bundeswehr, der Einsatz ist mehr oder weniger umsonst gewesen?

Umsonst war er natürlich nicht, denn wir haben ja dafür bezahlt. Aber ja, am Ende zählt das Ergebnis. Meine persönliche Bilanz fällt nüchtern aus, aber sie ist nicht ernüchternd. Die Bundeswehr hat in Afghanistan das geleistet, was man von ihr verlangt hat. Dass das nicht gereicht hat, um in Afghanistan Grundlagen für einen dauerhaften Frieden zu schaffen, ist sicher eine politische Niederlage. Aber es ist nicht automatisch ein militärisches Desaster. Man wird jetzt analysieren müssen, welche Fähigkeiten Streitkräfte benötigen, um dauerhaft bestehen zu können. Nebenbei bemerkt: Für mich gehören bewaffnete Drohnen ganz selbstverständlich dazu. Ansonsten sollte man keine Patrouillen in solche Lagen hinausschicken dürfen.
 

Die Entscheidung über deren Anschaffung ist erst kürzlich vertagt worden.

Das stimmt. Aber ich war in Afghanistan in der Verantwortung, eigene Leute hinauszuschicken, und ich war froh, dass wir aus dem internationalen Kontingent heraus diese technischen Fähigkeiten zur Verfügung hatten.
 

Was bedeutet der chaotische Rückzug für die Soldaten und die Führung der Bundeswehr?

Für die Bundeswehr stellt sich die Frage nach ihrer Haltung. Seit ihrer Gründung 1955 konnte sie auf eine erfolgreiche Arbeit zurückblicken: Im Kalten Krieg hat die Abschreckung funktioniert, auf dem Balkan wird nicht mehr geschossen, bei humanitären Einsätzen im Ausland oder bei Notlagen im Inland konnten wir stolz sein auf das Erreichte. Das ist im Falle Afghanistans anders. Es kommt meiner Meinung nach darauf an, dass die Soldatinnen und Soldaten nach dem Einsatz mit vielen Toten und Verletzten an Körper und Seele diesen Fehlschlag aushalten. Sie müssen es sogar. Ich denke dabei auch an die Gefallenen und an deren Familien. Denn sie gehören auch zu der persönlichen Bilanz meines eigenen Einsatzes, die ich eines Tages mit ins Grab nehmen werde. Vergessen kann man das nie.
 

Was bleibt für die Bundeswehr von dem Einsatz übrig?

Es bleibt meiner Meinung nach eine Menge übrig. Die Bundeswehr ist in Afghanistan erwachsen geworden. Sie hat harte Gefechte und gefährliche Lagen durchgestanden. Die Soldaten haben Mut gezeigt und dabei den Pfad von Recht und Menschlichkeit nicht verlassen. Die Bundeswehr muss sich nichts vorwerfen. Aber sie hat Narben aus Afghanistan mitgenommen. Das ist nicht schön, aber sie gehören dazu.
 

Welche Folgen haben diese Erfahrungen für mögliche künftige Auslandseinsätze?

Jeder Auslandseinsatz ist anders. Beispiel Balkan: Die Zustände dort könnten besser sein, aber die Menschen fliehen nicht mehr massenhaft vor einem Bürgerkrieg. Von daher wäre es ein Fehler, Auslandseinsätze kategorisch auszuschließen. Aber man muss künftig genau analysieren, worauf wir uns einlassen, wie lange wir es aushalten und welche Mittel wir benötigen, um erfolgreich zu sein. Das müssen nicht immer schwere Waffen sein.

 

Das Gespräch führte Karin Schlottmann.