Ein Feiertag, um Haltung zu zeigen und Halt zu geben
Volksbund gedenkt am Vortag des Volkstrauertages der Opfer von Krieg und Gewalt
Mit Veranstaltungen auf dem Berliner Friedhof Lilienthalstraße, im Ehrenhain in der Schönholzer Heide und am Sowjetischen Ehrenmal in Pankow hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge am Vortag des Volkstrauertages der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht sowie zum Frieden gemahnt. Die Veranstaltung auf der Gedenkstätte Plötzensee fand in einem digitalen Format statt.
Eine Absage des Volkstrauertages wegen Corona-Auflagen? Für Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan ein unvorstellbares Szenario. Und so konnte er am Samstagnachmittag auf dem Standortfriedhof in der Berliner Lilienthalstraße auch knapp 100 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, der Kirchen sowie des Militärs begrüßen. Mehr Personen waren wegen der aktuellen Corona-Auflagen nicht gestattet.
„Der Volkstrauertag im 75. Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist eben kein Tag wie jeder andere. Er ist in diesen Zeit im Umfang reduzierbar, aber man kann und darf ihn nicht einfach streichen", ist Schneiderhan überzeugt. „Dieser Tag ist Ihnen – wie auch mir – sichtbare innere Verpflichtung und Ausdruck einer Haltung, die getragen wird von Versöhnung, dem Willen zum Frieden in den Herzen der Menschen und dem ehrlichen Lernen aus unserer Vergangenheit.“
1.000 metallene Blüten
Nachdem das – pandemiebedingt verkleinerte – Stabsmusikkorps die Bach-Kantate „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ unter pastellfarbenem Himmel bei frühlingshaften 14 Grad intoniert hatte, begrüßte Volksbund-Generalsekretärin Daniela Schily die Gäste, unter ihnen den Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland, den Doyen des ausländischen Militärattaché-Korps, des schwedischen Oberst i.G. Hakan Hedlund, sowie die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl.
Besonders aber freute sich Daniela Schily, weitgereisten Besuch aus Schwaben in Kreuzberg begrüßen zu können: Unternehmer Reinhold Würth und seine Frau Carmen waren nach Berlin gekommen, um den mächtigen Gedenkkranz zu sehen, der in den vergangenen Wochen und Monaten von der Würth-Gruppe und Kunden entworfen und gebaut worden war und den nun 1.000 metallene Vergissmeinnicht und Mohnblumen schmücken.
Sie sind Zeichen der deutsch-britischen Versöhnung, die beim diesjährigen Volkstrauertag im Mittelpunkt steht. Am Sonntag wird der Kranz dann beim Gedenkgottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche stehen und dort auch im Advent zu sehen sein. „Ohne Sie beide, ohne Sie alle“, so Generalsekretärin Schily mit Blick auf das Ehepaar Würth und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wäre dieser Kranz nicht entstanden.
Kein verstaubtes Brauchtum
In seiner Rede machte Präsident Wolfgang Schneiderhan deutlich, dass der Volkstrauertag – wie auch der Volksbund – stetigem Wandel unterworfen ist: „Der Volkstrauertag ist Tradition, kein verstaubtes Brauchtum. Er lebt, er hat sich im Laufe der Jahre verändert und er wird sich weiter verändern." Dieser Feiertag, zu dem am Sonntag Seine Königliche Hoheit, der Prinz von Wales, als Redner im Deutschen Bundestag erwartet wird, sei wie eine Bühne „um Haltung zu zeigen und Halt zu geben“, aber nicht, um moralische Überlegenheit zu zeigen.
Im Schein der Fackeln des Wachbataillons sagte Schneiderhan abschließend: „Wir erkennen das Dunkel der Vergangenheit, sehen aber das Leuchtende der Gegenwart. Der Volksbund will nicht nur über den Gräbern mahnen, er will auch ermutigen, eingeschlagene Wege der Demokratie und des Friedens weiterzugehen.“
Stilles Gedenken im Ehrenhain
Zuvor hatte der Volksbund-Präsident im Ehrenhain für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft auf der Schönholzer Heide die dort liegenden Opfer von Krieg und Gewalt mit einem stillen Gedenken geehrt. Auf einem umzäunten Areal in dem von Joggern und Hundebesitzern frequentierten Park befinden sich 352 Einzelgrabstätten von Zwangsarbeitern, aber auch von Kriegsopfern aus Pankow. Der Grabstein von Anita Fricke etwa verrät, dass sie noch am 8. Mai 1945 sterben musste. Wenige Stunden vor dem Kriegsende. „Die Toten führen die Lebenden zusammen“, sagte Schneiderhan mit Blick auf solche Schicksale.
Das Totengedenken sprach Chantal Zergiebel. Stabsfeldwebel Mike Grünert spielte das „Lied vom Guten Kameraden.“ Viele Monate hatte der Trompeter aus dem Stabsmusikkorps der Bundeswehr nicht auftreten können. „Lediglich bei einigen Beerdigungen konnte ich spielen“, so Grünert. Deshalb sei dieser Tag für ihn so besonders. Der Mann mit dem grünen Barrett spielte gleich zweimal: Zuvor hatte er schon einen Auftritt auf dem benachbarten Gelände des Sowjetischen Ehrenmals gehabt.
„Treppenstufen, die in die Hölle führen”
Hier – zwischen monumentaler Sowjet-Architektur mit dem 33,5 Meter hohen Obelisken aus Syenit und der Statue der russischen „Mutter Heimat“ – haben 13.200 Angehörige der Roten Armee ihre letzte Ruhe gefunden. Die allermeisten starben in den verlustreichen Kämpfen um Berlin. „Deutschland hatte zu diesem Zeitpunkt den Krieg längst verloren“, sagte Präsident Schneiderhan vor rund 40 Besuchern. Mehr durften coronabedingt in diesem Jahr nicht dabei sein.
Schneiderhan erinnerte an den Zweiten Weltkrieg, der 60 bis 70 Millionen Menschen das Leben gekostet habe: „Soldaten und Zivilisten, Bombenopfer und Flüchtlinge, Mordopfer des Holocaust und der Vernichtungsfeldzüge der deutschen Einsatzgruppen.“ Diesem Krieg seien Vorurteile, Hasspropaganda, Desinformation und Gewaltverherrlichung vorausgegangen. „Das sind die Treppenstufen, die hinab in die Hölle führen“, so Schneiderhan.
Gegen die Hetzer und Schwätzer
Im Beisein der Botschafter Russlands, Sergej Netschajew, und von Belarus (Weißrussland), Denis Sidorenko, des Bezirksbürgermeisters von Pankow, Sören Benn, und Bezirksverordnetenvorsteher Michael van der Meer warb der Volksbund-Präsident für Versöhnung: „Dazu gehört auch, den Hetzern und Schwätzern im eigenen Land, die die Leistungen der deutschen Soldaten großreden und den Krieg und Terror der Nationalsozialisten klein reden wollen, entschlossen und mutig entgegenzutreten.“
Daniela Schily, Generalsekretärin des Volksbundes, sagte mit Blick auf das Zusammenkommen am Ehrenmal: „Frieden braucht Mut. Frieden braucht aber auch das Aufeinander zugehen von Vertretern unterschiedlicher Länder. Das ist gerade in diesem Jahr ein ganz wichtiges Signal.“
Gedenken im virtuellen Format
Die Gedenkstunde, die der Jugendarbeitskreis des Landesverbandes Berlin jährlich zum Volkstrauertag in der Gedenkstätte Plötzensee realisiert, ist in jeder Hinsicht stets außergewöhnlich. Doch in diesem Jahr war es eine besondere Herausforderung. Wie kann eine Veranstaltung, die so durch ihre musikalischen und kreativen Vorträge lebt, durchgeführt werden? Das junge Berliner Volksbundteam entschloss sich zu einem Gedenkfilm. Inhaltlicher Schwerpunkt war der Umgang mit Rassismus, Kolonialismus und Ausgrenzung.
Ralf Wieland, Präsident des Abgeordnetenhauses und Schirmherr des Landesverbandes Berlin, war ebenso dabei wie der Landesvorsitzende Dr. Fritz Felgentreu, MdB, der vor der Gedenkstätte Plötzensee sprach. In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand trug die Künstlerin Mona Mur, begleitet von dem Akkordeonspieler Gerhard A. Schiewe, aus Paul Celans Todesfuge vor: „Ich trinke die schwarze Milch der Frühe …“
Paul Celan hatte seine Erlebnisse und Erfahrung der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden in seiner Dichtung verarbeitet. Dafür wurde er später von einigen Seiten hart kritisiert. Marie – Mitglied des Jugendarbeitskreises – begleitete mit Jonathan durch das Programm und gab die Frage an die Zuschauer weiter: Darf die Katastrophe der Shoah künstlerisch verarbeitet werden? Ist nach Ausschwitz noch Geigenspiel, Musik, Dichtung möglich?
Sophie Eisenbarth, langjähriges Mitglied im JAK und schon häufig bei den Gedenkveranstaltungen in Plötzensee dabei, trug ein bewegendes, selbstgeschriebenes Gedicht „Trauer ist uns gemeinsam“ vor.
Den Abschluss des Gedenkfilms bildeten die zahlreichen und international eingesendeten Fotografien mit Gedenkwidmungen. Zu sehen ist das Video des JAK auf youtube.
Die Rede des Volksbund-Präsidenten Wolfgang Schneiderhan, die er am sowjetischen Ehrenmal in Pankow gehalten hat, finden Sie hier.
Text: Harald John / Diane Tempel-Bornett
Aktion Vergissmeinnicht
Das deutsch-britische Gedenken steht am Volkstrauertag 2020 in Berlin im Mittelpunkt. Prinz Charles ist der Gedenkredner der zentralen Veranstaltung im Bundestag. Der Volksbund richtet sie aus und begleitet sie mit einem besonderen Symbol: mit Vergissmeinnicht und Mohnblumen (Poppys). Sie schmücken einen Kranz, der in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche errichtet wird. Vergissmeinnicht sind in Deutschland, Mohnblumen in den Commonwealth-Staaten Symbolblumen für das Gedenken an alle Kriegstoten.
Sie können die Aktion "Vergissmeinnicht" und die Arbeit des Volksbundes mit einer Spende unterstützen – per Überweisung, Bankeinzug oder telefonisch. Seine Arbeit finanziert der Volksbund als gemeinnütziger Verein vor allem aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Mehr Informationen finden Sie unter www.volksbund.de/helfen.