Spuren des nationalsozialistischen Terrors sind in Berlin mitten im Grünen zu finden. Zum Jugend-Seminar des Volksbundes gehörte ein Gedenkgang zur Biographie Albrecht Haushofers. (© Uwe Zucchi)
Gedenkgang in Berlin: Wer war Albrecht Haushofer?
Geograph, Hochschullehrer, Dichter – ermordet wegen Engagements im Widerstand: ambivalente Persönlichkeit im Fokus bei Volksbund-Jugendseminar
20 Jugendliche, viele von ihnen ehrenamtlich in Jugendarbeitskreisen des Volksbundes aktiv, gingen im Rahmen eines Seminars zum Thema „Helden, Täter, Opfer“ auf Spurensuche und verfolgten den Weg von Albrecht Haushofer in den Widerstand gegen das Regime des Nationalsozialismus.
Die Historikerin Dr. Anna Opel erläuterte im „Geschichtspark Zellengefängnis Moabit“ den wenig gradlinigen Lebensweg von Albrecht Haushofer. Dieser „Widerständler“ sei weder von seiner Biografie, noch von seiner Persönlichkeit her leicht zu durchschauen, sagte sie.
Familiäre Kontakte zu Rudolf Hess
Er entstammt einer nationalkonservativen Familie. Sein Vater, der Geopolitiker Karl Haushofer, ist ein enger Freund des Hitler-Vertrauten Rudolf Hess. Albrecht strebt eine Karriere als Politiker an. Ab 1940 ist er Professor für politische Geographie und Geopolitik in Berlin und lehrt an der Hochschule für Politik.
Im Mai 1941 – nach dem Englandflug von Rudolf Hess – wird Albrecht Haushofer zunächst festgenommen, dann freigelassen, aber fortan von der Gestapo überwacht. Er nimmt Kontakt zu konservativen Widerstandskreisen auf. Dort arbeitet er an Plänen für eine Verwaltungsreform mit – für die Zeit nach dem Ende des Dritten Reiches.
Vor der Gestapo versteckt
Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 versteckt sich Haushofer in Bayern. Die Gestapo findet ihn und bringt ihm am 7. Dezember ins Berliner Zellengefängnis Lehrter Straße.
Von diesem Zeitpunkt an bis zu seiner Ermordung Mitte April 1945 dichtet er zahlreiche Sonette. Eine Zeile ist auf einer Mauer in Moabit zu lesen: „Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt, ist unter Mauerwerk und Eisengittern ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern“.
„Operation Gewitter“ gegen Demokratie
Warum wurde der Geograph, Hochschullehrer und Schriftsteller in den letzten Tages des Zweiten Weltkrieges als Mitglied des konservativen Widerstands erschossen? Im Zuge der „Operation Gewitter“ hatte die Gestapo die Verhaftung und Ermordung Tausender Menschen noch wenige Monate vor Kriegsende angeordnet. Der nationalsozialistischen Führung war völlig klar, dass das „Tausendjährige Reich“ in Leid und Tod, in Schutt und Asche enden würde.
Genauso mörderisch, wie sie während ihrer Regierungszeit agierten, wollten die führenden Köpfe mit der Verhaftung und Ermordung der Widerständler alle Pläne für den Aufbau eines demokratischen Nachkriegsdeutschlands verhindern. Von 305 Gefangenen des Moabiter Zellengefängnisses überlebten das nur 35.
Verdeckte Geschichte sichtbar gemacht
Nicht zufällig umrahmt eine Mauer diese Grünanlage. Die Eingänge an der Invalidenstraße, der Lehrter Straße und der Minna-Cauer-Straße führen in eine isolierte Welt. Das hat Tradition, denn der Zweck des von 1842 bis 1849 erbauten Zellengefängnisses Moabit machte Isolation zum obersten Prinzip.
Die Kriminalwissenschaft hatte im 19. Jahrhundert eine Blütezeit erlebt. Eine der fortschrittlicheren Theorien sah Kriminalität als eine Art ansteckende Krankheit. „Ein fauler Apfel steckt 1000 gesunde an“ – dieses Bild wurde gerne genutzt. Fachleute glaubten, die Gefängnisinsassen voneinander trennen zu müssen, um sie vor Rückfällen in die Kriminalität zu schützen. Als modernes Gefängnis bestand dieser Bau daher nicht aus den bis dahin üblichen Gemeinschaftszellen, sondern aus rund 520 Einzelzellen.
Architektur nach Londoner Vorbild
Der Architekt und Schinkel-Schüler Carl Ferdinand Busse (1802–68) hatte sich am Vorbild des Gefängnisses Pentonville in London orientiert. Es gab eine Kirche, eine Schule, Wohngebäude für die Vollzugsbeamten, Gärten, zwei Friedhöfe – und eine Hinrichtungsstätte.
Die Moabiter Haftanstalt galt als Mustergefängnis. 1955 wurde sie geschlossen, die letzten 300 Gefangenen wurden verlegt. 1958 wurde der Komplex bis auf wenige Reste abgerissen.
Lyrik in früherer Zelle
Mit Bodenreliefs, wenigen Bauten und dank der Bepflanzung lässt sich nachvollziehen, dass hier einst ein Gefängnis stand. Betonwände lassen eine frühere Zelle erahnen. Wenn man sie betritt, erklingen Zeilen der „Moabiter Sonette” von Albrecht Haushofer.
Der Gedenkspaziergang mit der Gruppe des Jugendseminars führte zu dem Ort, an dem Albrecht Haushofer am 23. April ohne Gerichtsurteil erschossen wurde. Seine letzte Ruhestätte ist ein Ehrengrab auf dem Friedhof Wilsnacker Straße.
Kranz als Zeichen des Gedenkens
Dort liegen 330 Tote, alle Opfer des Krieges. Sie starben durch Granatsplitter oder als Opfer des Häuserkampfes um Berlin, des Schießbefehls auf Menschen, die weiße Fahnen hissten. Viele Kinder sind unter ihnen, die beim Spielen in den Trümmern verletzt und getötet worden waren.
Am Grab von Haushofer legten die Jugendlichen gemeinsam mit Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan einen Kranz nieder. Die Grabinschrift stammt aus einem seiner Sonette:
„Der Wahn allein war Herr in diesem Land.
In Leichenfeldern schliesst sein stolzer Lauf.
Und Elend, unermessbar, steigt herauf.“
Video und weitere Informationen
Der Gedenkgang war Teil des Volksbund-Programms zum 8. Mai 2022. Mehr dazu sehen Sie im einem Video und lesen weiter im Artikel: „Auftakt zum Gedenken am 8. Mai in Berlin“.