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Stein auf Stein – berührend und verstörend

Auschwitz-Befreiung vor 77 Jahren: Blick nach Amsterdam auf das neue „Holocaust-Namenmonument“

Sie haben ihn über alles geliebt und genau deshalb haben sie sich von ihm getrennt – von ihrem einjährigen Sohn, den sie in fremde Hände gaben. Nathan und Clara Andriesse wurden später in Auschwitz ermordet. Das Konzentrations- und Vernichtungslager wurde am 27. Januar 1945 befreit. Seit September 2021 sind die Namen des jungen Paares in der neuen Gedenkstätte für alle niederländischen Holocaust-Opfer in Amsterdam zu lesen.

Seine und die Geschichte seiner Eltern erzählt Samuel Miel Andriesse in Volksbund-Workcamps und bei internationalen Jugendbegegnungen. 75 Jahre alt musste er werden, bis er den Mut fand, nach Auschwitz zu fahren. Er beschreibt den Berg von Kinderschuhen dort, der ihn so sehr berührte – denn seine hätten dabei sein können. Und er sagt den Jugendlichen und jungen Erwachsenen: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was Eure Eltern getan haben.“ Das neue Mahnmal in Amsterdam bedeutet ihm und unzähligen weiteren Angehörigen sehr viel.
 

Aus rund 102.000 Backsteinen hat der Architekt Daniel Libeskind das „Holocaust-Namenmonument“ im alten jüdischen Viertel in Amsterdam errichtet – auf einem schmalen Grundstück an vielbefahrener Straße. Jeder Stein trägt einen Namen, dazu das Geburtsdatum und – statt des Sterbedatums – das Alter zum Zeitpunkt des Todes.

In den Aufbauten über den Mauern spiegelt sich das Hier und Jetzt: Wohnblocks, Häuser, Bäume, der Himmel. Von oben gesehen bilden sie das hebräische Wort „Gedenken“. Am Fuß der Mauern liegen weiße Steine als stille Zeichen ehrender Erinnerung nach jüdischer Tradition. An diesem Ort hat der Architekt dem Grauen eine nachhaltig und tief wirkende Gestalt gegeben.

Mancher Blick geht ziellos ins Leere

Die alphabetische Ordnung macht es möglich, sich zurecht zu finden. Viele suchen gezielt nach Namen, legen einen Stein oder Blumen nieder, verharren lange in Schweigen, sehr lange. Andere berühren mit der Hand einen Stein, einen Namen. Mancher Blick ist abgewendet und geht ziellos ins Leere. Auch für Besucherinnen und Besucher, deren Schicksale nicht mit diesen Namen verknüpft sind, hat der Ort eine große Wucht – ebenso berührend wie verstörend.

Samuel Miel Andriesse hat bisher nur Fotos gesehen. „Nach jüdischer Tradition ist man vergessen, wenn man keinen Namen mehr hat. Das Memorial sorgt dafür, dass meine Eltern, Großeltern und andere Verwandten wieder einen Namen haben. Dieser Ort sollte uns vor den Folgen von sinnlosem Antisemitismus und Rassismus warnen“, sagt er.

„Es wärmt mein Herz …“

Und: „Es wärmt mein Herz wenn ich daran denke, dass viele Leute – jung und alt – diesen Ort besuchen. Mir wird jedoch kalt, wenn ich mich daran erinnere, dass all die unschuldigen Menschen ermordet wurden, nur weil sie Juden oder Zigeuner waren – kurz gesagt: weil sie anders als das Idealbild der Nazis und ihrer Unterstützer waren. Ich hoffe, dass die heutigen und zukünftigen Generationen daraus lernen und schreien: NIE WIEDER!“

Das sagt der 79-Jährige auch zum 27. Januar, zum Internationalen Holocaust-Gedenktag. Und er sagt es, wenn er mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen an deutschen Kriegsgräbern steht. Im Interview berichtet er von seinem Engagement für den Volksbund und von Reaktionen junger Leute. Einer der bewegendsten Kommentare für ihn: „Deine Mutter hat dir zweimal das Leben geschenkt…“

Das Interview und mehr finden Sie unter „Volksbund-Ansichten“. Der Titel: „Eine bessere Welt? Fangen wir bei uns selbst an“.